Literatur macht Geschichte frisch lesbar
Wie erzählt man Geschichte(n)? Bei den Literaturtagen in Rauris werden bis Sonntag unterschiedliche Antworten gesucht.
Hanna Sukare machte alles richtig. So sieht das die Jury der Rauriser Literaturtage und zeichnet sie deshalb mit dem heurigen Rauriser Literaturpreis aus.
Sukare erzählt in ihrem Roman „Staubzunge“die Geschichte einer Pastorenfamilie. Schauplätze sind Deutschland, Polen und Österreich im 20. Jahrhundert – eine europäische Geschichte also. „Es geht um Normen, Regeln und Strafen, Letztere werden konsequent eingesetzt. Es geht um Lügengebilde, die schwer vor allem auf der Nachkriegsgeneration lasten“, sagte Liliane Studer in ihrer Laudatio auf Sukares Werk bei der Eröffnung der Rauriser Literaturtage am Mittwochabend.
Es gelinge der 1957 in Freiburg geborenen Schriftstellerin, in ihrem „herausragenden Prosadebüt“mit „beeindruckender Genauigkeit und Schärfe“das Handeln der Figuren zu beleuchten. Das schaffe sie, „ohne zu werten oder zu urteilen“. „Staubzunge“sei, sagt Literaturkritikerin, Publizistin und Lektorin Studer, „der gelungene Versuch, Geschichte zu erzählen“.
Damit steht „Staubzunge“, erschienen beim Salzburger Otto Müller Verlag, exemplarisch für das Grundthema der Literaturtage, die bis Sonntag zum 46. Mal in Rauris stattfinden. Nachgespürt wird dort dem, was unter „Geschichte.Erzählen“verstanden werden kann.
Anlass für dieses Thema ist das historische Jubiläumsjahr 2016 – seit 200 Jahren ist das frühere Fürsterzbistum Salzburg ein Teil Österreichs. „Historische Jahrestage sind Anlass zum Feiern, sie lassen uns aber auch darüber nachdenken, wie wir zu unseren Vorstellungen von geschichtlichen Ereignissen gelangen“, schreiben Ines Schütz und Manfred Mittermayer in der Literaturzeitschrift „Salz“. Die beiden leiten die Literaturtage, und wie jedes Jahr widmet sich die aktuelle Ausgabe von „Salz“dem Programm von Rauris. Es spiele beim Blick auf die Geschichte nicht allein die „wissenschaftliche Geschichtsschreibung“eine wichtige Rolle. Historische Stoffe erfreuten sich größter Beliebtheit beim Lesepublikum und bei Autorinnen und Autoren. Das zeige, „wie bedeutsam die Literatur als Vermittlerin historischer Inhalte ist“, sagen Schütz und Mittermayer. In Rauris geht es darum, den „vielen Möglichkeiten, Geschichte literarisch zu erzählen, nachzuspüren“.
„Einmal liefern Fakten die Grundlagen, ein andermal steht die Fiktion im Vordergrund. Ein Einzelschicksal mit seinen aus der Geschichte resultierenden Schädigungen, Verletzungen und Traumata kann historische Vorgänge spiegeln, uns ein Zeitpanorama erfahrbar machen und sozialgeschichtliche Aspekte erschließen.“So könne, meinen Schütz und Mittermayer etwa „über den Blick der Ausgegrenzten, der Außenseiter“, die offizielle Perspektive relativiert werden. Literatur schaffe es damit auch, „Aufmerksamkeit für verdrängte Inhalte zu wecken“.
Rauriser Literaturtage