Bundespräsident: Zukunftshoffnung im Krisenfall
Die Österreicher halten ihr Staatsoberhaupt für einen salbungsvollen Sonntagsredner. Zu Unrecht.
Trotz sinkender Tendenz bewegt sich die Wahlbeteiligung in Österreich noch immer auf einem höheren Niveau als in vielen anderen Ländern. So beteiligte sich etwa an manchen Präsidentschaftswahlen in den USA nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten. Hierzulande verloren vor allem die Wahlen zum Bundespräsidenten immer mehr an Bedeutung. Dies lässt sich nur zum kleineren Teil dadurch erklären, dass 2007 die Wahlpflicht abgeschafft wurde. Der wichtigere Grund für den Verzicht auf das Wahlrecht liegt am Image dieses Amtes. Offensichtlich halten viele Menschen ihren Präsidenten bestenfalls für einen freundlichen Staatsnotar, der außer salbungsvollen Sonntagsreden, gelegentlichen moralischen Appellen und repräsentativen Staatsbesuchen nicht viel zur Zukunft des Landes beitragen kann. Viele Bürgerinnen und Bürger wissen nicht, dass die österreichische Verfassung das Amt des Bundespräsidenten mit einer sehr großen politischen Macht ausstattet. Im Notfall könnte der Präsident bzw. die Präsidentin für eine begrenzte Zeit sogar die politische Steuerung des Landes an sich ziehen. So viel Macht erfordert besonders viel Vertrauen. Deshalb wird der Bundespräsident – im Gegensatz zur Bundesregierung – vom Volk di- rekt gewählt. Bisher schöpfte freilich kein Präsident seine Machtfülle aus. Denn in einem demokratischen System sind tragfähige politische Kompromisse zwischen unterschiedlichen Interessengruppen der Normalfall und präsidiale Dekrete nur der seltene Sonderfall. Es ist zu hoffen, dass der demokratische Konfliktausgleich im operativen Alltag des Parlaments und der Regierung auch zukünftig funktioniert. Aber im Falle einer durchaus möglichen Staatskrise kann der präsidiale Griff zur politischen Notbremse eine zukunftssichernde Chance sein.