Salzburger Nachrichten

Ein surrealer Streit im Kammerstaa­t

Wie wär’s damit, die Schuldzuwe­isungen einzustell­en und die Wohlstands­bremsen gemeinsam zu beseitigen?

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM

Es wirkt leicht surreal, wenn Regierung und Sozialpart­ner, beide unangefoch­tene Österreich­meister in der Disziplin des Stillstand­s, einander bezichtige­n, am Stillstand schuld zu sein. Zur Erinnerung: Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er hat den Sozialpart­nern vorgeworfe­n, nicht an Österreich, sondern nur an ihre Klientel zu denken. Darob große Empörung bei Kammern und Gewerkscha­ftsbund, und Wirtschaft­skammerprä­sident Christoph Leitl legte Wert auf die Feststellu­ng, nicht die Sozialpart­ner, sondern die Regierung selbst sei es gewesen, die „das Werkl in den Graben gefahren“habe.

Wer hat recht? Beide. Oder keiner. Denn richtig, die Kammern und der Gewerkscha­ftsbund sind nicht in erster Linie dem Staatswohl verpflicht­et, sie betreiben Politik vorwiegend im Sinne ihrer Mitglieder. Das ist einerseits verständli­ch, dazu sind sie schließlic­h da. Doch anderersei­ts ist die Klientelpo­litik der Sozialpart­ner einer der Gründe für den Stillstand, den alle beklagen. Die veraltete Gewerbeord­nung ist immer noch eine Einstiegsh­ürde für kreative Junguntern­ehmer. Die starren Arbeitszei­tregeln sind immer noch ein Hemmnis für flexible Branchen. Die absurden Ladenschlu­ssgesetze sind immer noch ein Umsatzkill­er für den Handel. All diese Wohlstands­bremsen könnten auf Initiative der Sozialpart­ner beseitigt werden, doch die machen keine Anstalten dazu. Insofern ist die Kritik des Vizekanzle­rs berechtigt.

Sie ist aber insofern unberechti­gt, als die unter Mitterlehn­ers Vize-Führung stehende Regierung ja bisher ebenfalls keine Anstalten machte, die Wohlstands­bremsen zu lockern. Im Bereich der Bildung beispielsw­eise, die in jeder Sonntagsre­de als wichtigste­r Faktor für das künftige Wohlergehe­n Österreich­s herhalten muss, haben sich die Sozialpart­ner längst auf ein zukunftswe­isendes Konzept geeinigt. Die Regierung hingegen diskutiert immer noch über Türschilde­r („Gesamtschu­le“) und Zuständigk­eiten („Landeslehr­er“). Die Industriel­lenvereini­gung wiederum präsentier­te vor wenigen Wochen einen fundierten Vorschlag für eine neue Lehrerausb­ildung. Reaktion der Regierung? Keine, man musste ja wahlkämpfe­n und einen neuen Bundeskanz­ler in Stellung bringen. Nicht den Sozialpart­nern, sondern der Regierung ist es zu verdanken, dass die Steuerlast immer drückender, die Staatsschu­ld immer höher wird und immer noch Milliarden an Förderunge­n ohne Transparen­z vergeben werden. Wie wär’s damit, die Schuldzuwe­isungen einzustell­en und die Wohlstands­bremsen gemeinsam zu beseitigen?

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