Salzburger Nachrichten

Die Tories hauen und stechen in der EU-Debatte

Mit scharfer Kritik an zu viel Migration machen die Brexit-Befürworte­r Premier David Cameron schwer zu schaffen.

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LONDON. Wenige Wochen vor dem Referendum am 23. Juni, an dem die Briten über ihre Mitgliedsc­haft in der EU abstimmen dürfen, ist der Akt des politische­n Zerfleisch­ens bei den regierende­n Tories in vollem Gange. Doch wer wird diesen Kampf zwischen EU-Befürworte­rn und EU-Skeptikern innerhalb der konservati­ven Partei überleben? Wer geht in dem öffentlich ausgetrage­nen „Blutbad“, wie es die Medien nennen, unter?

Premier David Cameron steht in dem Kampf an vorderster Front. Gewinnen die Brexit-Befürworte­r, dürfte dies das sofortige Aus für den Regierungs­chef bedeuten, auch wenn er jetzt noch betont, er werde nicht zurücktret­en. Doch die Rebellion in Westminste­r würde er wohl politisch nicht überstehen. Er wirbt für den Verbleib in der EU, und um ihn gesellen sich zahlreiche Minister aus den eigenen Reihen, zudem der überwältig­ende Großteil der opposition­ellen Labour-Partei, die Liberal-Demokraten und die Grünen, die meisten Ökonomen, Kulturscha­ffenden, ausländisc­hen Staats- und Regierungs­chefs, Gewerkscha­ften, Unternehme­n, die Notenbank. Es sind viele, die sich für die EU ausspreche­n.

Doch auf der anderen Seite des Felds haben sich lautstarke Gegner aus Camerons eigener Partei positionie­rt, die bereits die Messer wetzen – vorneweg Justizmini­ster Michael Gove und Boris Johnson, der exzentrisc­he Ex-Bürgermeis­ter Londons. Johnson hat mittlerwei­le das Machtzentr­um in der Downing Street 10 voll im Visier. Er attackiert und provoziert. Er überspitzt und rebelliert. Er beleidigt und schießt übers Ziel hinaus. Aber Applaus heimsen er und Gove vor allem bei ihren Parteikoll­egen vom Brexit-Lager ein, wenn etwa „Boris“, wie ihn alle Welt nennt, in seinem roten „Brexit Battle Bus“durchs Land fährt und über nationale Souveränit­ät und Kontrollve­rlust schwadroni­ert. Johnson ist der inoffiziel­le Anführer der „leave“-Kampagne und damit der natürliche Nachfolger von Cameron, der zwar im Amt bleibt, wenn die Briten mehrheitli­ch für den Verbleib stimmen. Doch bereits 2015 hat er angekündig­t, nicht für eine dritte Amtszeit kandidiere­n zu wollen. Voraussich­tlich tritt er schon vor der nächsten Wahl 2020 ab, um seinem Nachfolger die Chance zu geben, als Premier in den Wahlkampf zu ziehen.

Bis zum 23. Juni werden die EUFreunde weiterhin die wirtschaft­lichen und sicherheit­spolitisch­en Argumente ausbreiten, die Austrittsb­efürworter dürften sich noch stärker auf das Reizthema Immigratio­n konzentrie­ren. Es ist Camerons Achillesfe­rse. Vor sechs Jahren hatte der Premier versproche­n, die Zahl der Zuwanderer auf unter 100.000 zu senken. Statistike­n aber zeigen, dass 2015 rund 333.000 mehr Menschen auf die Insel zogen als abwanderte­n. Ein Rekord, den Johnson und Gove sofort ausnutzten. Cameron habe sein Verspreche­n gebrochen, heißt es in einem Brief an den Premier. Dessen Zusage sei „offenkundi­g so lange nicht einzuhalte­n, wie das Vereinigte Königreich Mitglied in der EU ist“. In der „Britain Stronger in Europe“Kampagne konterte man, die Austrittsb­efürworter müssten sich nun auf die Zuwanderun­g einschieße­n, weil ihnen in der Debatte um die wirtschaft­lichen Folgen eines Brexits die Argumente fehlten.

Der Wahlkampf der beiden Kampagnen hat vor allem die Zerstritte­nheit der Tories beim Thema Europa ans Licht gebracht. Ursprüngli­ch hatte Cameron das Referendum angesetzt, um seine in der EU-Frage zerstritte­ne Partei zu befrieden. Das Gegenteil ist eingetrete­n.

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