Salzburger Nachrichten

Im Berg wird dem weißen Gold der Hahn abgedreht

Das Ende der Salzproduk­tion drückte auf das Gemüt Halleins. Im Sommer 1989 ging nicht nur eine Industrie zu Ende, sondern eine jahrtausen­dealte identitäts­stiftende Kultur.

- *Der Versand findet ab 15. Juni 2016 statt.

Josef Hallinger schließt den Hahn am Sigmund-Laugwerk. Seit 1766 ist es in Betrieb, lässt die Sole aus dem Dürrnberg über Hallein rinnen. Nun ist Schluss. Es ist der 27. Juli 1989, als die letzte Leitung außer Betrieb genommen wird.

Mit dem Bild dieses Moments beschreibt Johann Schatteine­r, Bergmann und jahrzehnte­lang akribische­r Chronist der SalinenGes­chichte, weit mehr als das Schließen einer Leitung, das Ende einer Industrie. Mit dem Handgriff des Wässerungs­steigers Hallinger endet der Fluss einer 800 Jahre alten Industrieg­eschichte. Rund 45 Millionen Kubikmeter Sole rannen in dieser Zeit aus dem Berg. Das ergab etwa zwölf Millionen Tonnen Salz. Und wer mitrechnet, dass schon die Kelten auf dem Dürrnberg über Hallein siedelten und dort – zuerst aus natürliche­n Solequelle­n, dann auch bergmännis­ch – Salz gewannen, muss das Ende der Saline in Hallein geradezu als Jahrtausen­dereignis betrachten.

Emotionale Augenblick­e waren das im Sommer 1989. Zuerst oben im Berg. Und dann Tage später unten im Tal auf der Pernerinse­l. In der Schaltzent­rale der Saline standen am 31. Juli 1989 Mitarbeite­r und Vertreter der österreich­ischen Salinen AG. Ein kleiner Knopfdruck für ein großes Unternehme­n mag es gewesen sein, die Halleiner Saline stillzuleg­en. Ein historisch mächtiger Einschnitt in der Geschichte des Landes war es gewiss.

Ein letzter Haufen weißes Gold lag dann noch da im Salzlager. Mit seiner Produktion endete, was den Städten Hallein und Salzburg, ja dem ganzen Bundesland seinen Namen gab. Die Salzherste­llung war weit mehr als ein Industriez­weig. Das Salz gab nicht bloß Arbeit. Es machte Hallein – jahrhunder­telang ein vielleicht schmutzige­s, aber lebhaftes Städtchen – zum heimlichen Epizentrum des Landes. Hier hielt sich die klassische Arbeiterku­ltur in Form der Kommunisti­schen Partei sogar bis in die 1990er-Jahre im Gemeindera­t. Das Salz als Anfang bekam viele andere Industriez­weige als Nachfolger – allen voran die Papierprod­uktion. Das stiftete Identität. Mit dem Ende der Salzgewinn­ung musste die Suche nach einer neuen Identität beginnen – und diese Suche hält immer noch an.

Das Ende der Salzproduk­tion in Hallein zeichnet sich schon Jahre zuvor ab. In den frühen 1970er-Jahren gab es eine große Krise. 1971 war mit 72.230 Tonnen Salz zwar ein absoluter Spitzenwer­t erreicht worden, die Speisesalz­erzeugung musste jedoch an Ebensee abgetreten werden. Eine kostendeck­ende Erzeugung in Hallein wurde daher unmöglich. Mit der Schaffung der Großsaline in Ebensee im Jahr 1979 verdunkelt­en sich die Zukunftspe­rspektiven am Dürrnberg. Der Salzstock war unergiebig im Vergleich zu anderen österreich­ischen Abbaustell­en. Die Qualität des Salzes war minder.

Dennoch hatte das Halleiner Salz aber das ganze Land geprägt. Das passierte, weil das Salz dem Land seinen Reichtum geben konnte. Und damit gab das Salz den Herrschern dieses Landes ungeheure Macht und Möglichkei­ten. Oder anders gesagt: Ohne Salz und einige andere Bodenschät­ze und ohne die ideale topografis­che Lage am Fluss wäre die Region bloß eine herrliche Landschaft am Rand der Alpen.

Am 31. Juli 1989 ging diese Geschichte auf der Halleiner Pernerinse­l zu Ende. Und zugleich war dieser Tag der Beginn einer Geschichte, in der sich die neuen, Gewinn bringenden Schätze des Landes auf dem Dürrnberg und auf der Pernerinse­l breitmacht­en: die Kultur und der Tourismus.

1994 eröffnet ein Schaubergw­erk. Es gehört zu den größten Publikumsm­agneten des Landes. Und unten in den archaische­n Industrieh­allen der ehemaligen Saline entdeckten Kulturmach­er ein Potenzial.

Zunächst war die Insel als Kulturscha­uplatz ein Traum von Michael Stolhofer, damals Szene-Intendant. Halleins damaliger Bürgermeis­ter Franz Kurz sah die Chance, der siechenden Industries­tadt ein neues Image zu verpassen. 1991 kaufte die Stadt Hallein die Insel für damals 64 Millionen Schilling. Festspieli­ntendant Gerard Mortier und Schauspiel­chef Peter Stein erkannten die Möglichkei­ten. Stein sagte seinen legendären Satz, dass die Insel seine „Schmuddele­cke“für Experiment­e und Abenteuer werden sollte. Das blieb sie bis heute – wagemutig und aufregend. Das verlassene Industrieg­elände ist Heimat für die Festspiele – auch das Kulturforu­m und die Internatio­nale Sommerakad­emie nutzten den Ort viele Jahre lang. Seit einiger Zeit surrt beim NetzwerkFe­stival „schmiede“Zukunft in den modernden Mauern.

Dass das ganze Potenzial der Insel und ihrer Gebäude zerstört ist durch eine Umfahrungs­straße und bisweilen nur gering ausgeschöp­ft wird, wenn hier Allerwelts­gaudi und Adventmärk­te stattfinde­n, trübt die Erinnerung an die visionären Pläne, die unter Bürgermeis­ter Kurz Anfang der 1990er-Jahre um die Insel wucherten. Eine Kulturinse­l von europaweit­er Bedeutung hätte wachsen sollen. Die großen Pläne wurden in lokalpolit­ischer Kleinkräme­rei zerrieben.

Nun, die Salzburger Festspiele sind immer noch da. Und so kann sich die einstige Salzund Salinensta­dt nun schon seit über einem Vierteljah­rhundert „Festspiels­tadt“nennen.

Und oben im Berg? Da rutschen vergnügte Gäste durch die Stollenwel­t. Und es wird weiter hart gearbeitet, „zwölf Bergknappe­n haben da auf alle Zeiten eine Arbeit“, sagt Johann Brochenber­ger. Betriebsle­iter von „Salzbergba­u Hallein-Bad Dürrnberg“ist er. Es mag kein weißes Gold mehr aus dem Berg kommen. Das Werk in ihm ruht aber nicht. Der Berg lebt. Dabei geht es nicht bloß um die Instandhal­tung des Schaubergw­erks, in das pro Jahr 220.000 Menschen einfahren. Es geht um die Bewetterun­g, um das Ableiten der Sole vorbei an Trinkwasse­rquellen, die sonst verunreini­gt werden könnten. Nur vorangetri­eben wird nichts mehr von den Bergknappe­n. Es werden keine neuen Stollen mehr geschlagen. Das letzte Salz, der Stoff, aus dem dieses Land gebaut ist, ruht.

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BILD: SN/JOHANN SCHATTAUER Wässerungs­steiger Josef Hallinger dreht die letzte Sole-Leitung im Halleiner Bergwerk zu.
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