Im Berg wird dem weißen Gold der Hahn abgedreht
Das Ende der Salzproduktion drückte auf das Gemüt Halleins. Im Sommer 1989 ging nicht nur eine Industrie zu Ende, sondern eine jahrtausendealte identitätsstiftende Kultur.
Josef Hallinger schließt den Hahn am Sigmund-Laugwerk. Seit 1766 ist es in Betrieb, lässt die Sole aus dem Dürrnberg über Hallein rinnen. Nun ist Schluss. Es ist der 27. Juli 1989, als die letzte Leitung außer Betrieb genommen wird.
Mit dem Bild dieses Moments beschreibt Johann Schatteiner, Bergmann und jahrzehntelang akribischer Chronist der SalinenGeschichte, weit mehr als das Schließen einer Leitung, das Ende einer Industrie. Mit dem Handgriff des Wässerungssteigers Hallinger endet der Fluss einer 800 Jahre alten Industriegeschichte. Rund 45 Millionen Kubikmeter Sole rannen in dieser Zeit aus dem Berg. Das ergab etwa zwölf Millionen Tonnen Salz. Und wer mitrechnet, dass schon die Kelten auf dem Dürrnberg über Hallein siedelten und dort – zuerst aus natürlichen Solequellen, dann auch bergmännisch – Salz gewannen, muss das Ende der Saline in Hallein geradezu als Jahrtausendereignis betrachten.
Emotionale Augenblicke waren das im Sommer 1989. Zuerst oben im Berg. Und dann Tage später unten im Tal auf der Pernerinsel. In der Schaltzentrale der Saline standen am 31. Juli 1989 Mitarbeiter und Vertreter der österreichischen Salinen AG. Ein kleiner Knopfdruck für ein großes Unternehmen mag es gewesen sein, die Halleiner Saline stillzulegen. Ein historisch mächtiger Einschnitt in der Geschichte des Landes war es gewiss.
Ein letzter Haufen weißes Gold lag dann noch da im Salzlager. Mit seiner Produktion endete, was den Städten Hallein und Salzburg, ja dem ganzen Bundesland seinen Namen gab. Die Salzherstellung war weit mehr als ein Industriezweig. Das Salz gab nicht bloß Arbeit. Es machte Hallein – jahrhundertelang ein vielleicht schmutziges, aber lebhaftes Städtchen – zum heimlichen Epizentrum des Landes. Hier hielt sich die klassische Arbeiterkultur in Form der Kommunistischen Partei sogar bis in die 1990er-Jahre im Gemeinderat. Das Salz als Anfang bekam viele andere Industriezweige als Nachfolger – allen voran die Papierproduktion. Das stiftete Identität. Mit dem Ende der Salzgewinnung musste die Suche nach einer neuen Identität beginnen – und diese Suche hält immer noch an.
Das Ende der Salzproduktion in Hallein zeichnet sich schon Jahre zuvor ab. In den frühen 1970er-Jahren gab es eine große Krise. 1971 war mit 72.230 Tonnen Salz zwar ein absoluter Spitzenwert erreicht worden, die Speisesalzerzeugung musste jedoch an Ebensee abgetreten werden. Eine kostendeckende Erzeugung in Hallein wurde daher unmöglich. Mit der Schaffung der Großsaline in Ebensee im Jahr 1979 verdunkelten sich die Zukunftsperspektiven am Dürrnberg. Der Salzstock war unergiebig im Vergleich zu anderen österreichischen Abbaustellen. Die Qualität des Salzes war minder.
Dennoch hatte das Halleiner Salz aber das ganze Land geprägt. Das passierte, weil das Salz dem Land seinen Reichtum geben konnte. Und damit gab das Salz den Herrschern dieses Landes ungeheure Macht und Möglichkeiten. Oder anders gesagt: Ohne Salz und einige andere Bodenschätze und ohne die ideale topografische Lage am Fluss wäre die Region bloß eine herrliche Landschaft am Rand der Alpen.
Am 31. Juli 1989 ging diese Geschichte auf der Halleiner Pernerinsel zu Ende. Und zugleich war dieser Tag der Beginn einer Geschichte, in der sich die neuen, Gewinn bringenden Schätze des Landes auf dem Dürrnberg und auf der Pernerinsel breitmachten: die Kultur und der Tourismus.
1994 eröffnet ein Schaubergwerk. Es gehört zu den größten Publikumsmagneten des Landes. Und unten in den archaischen Industriehallen der ehemaligen Saline entdeckten Kulturmacher ein Potenzial.
Zunächst war die Insel als Kulturschauplatz ein Traum von Michael Stolhofer, damals Szene-Intendant. Halleins damaliger Bürgermeister Franz Kurz sah die Chance, der siechenden Industriestadt ein neues Image zu verpassen. 1991 kaufte die Stadt Hallein die Insel für damals 64 Millionen Schilling. Festspielintendant Gerard Mortier und Schauspielchef Peter Stein erkannten die Möglichkeiten. Stein sagte seinen legendären Satz, dass die Insel seine „Schmuddelecke“für Experimente und Abenteuer werden sollte. Das blieb sie bis heute – wagemutig und aufregend. Das verlassene Industriegelände ist Heimat für die Festspiele – auch das Kulturforum und die Internationale Sommerakademie nutzten den Ort viele Jahre lang. Seit einiger Zeit surrt beim NetzwerkFestival „schmiede“Zukunft in den modernden Mauern.
Dass das ganze Potenzial der Insel und ihrer Gebäude zerstört ist durch eine Umfahrungsstraße und bisweilen nur gering ausgeschöpft wird, wenn hier Allerweltsgaudi und Adventmärkte stattfinden, trübt die Erinnerung an die visionären Pläne, die unter Bürgermeister Kurz Anfang der 1990er-Jahre um die Insel wucherten. Eine Kulturinsel von europaweiter Bedeutung hätte wachsen sollen. Die großen Pläne wurden in lokalpolitischer Kleinkrämerei zerrieben.
Nun, die Salzburger Festspiele sind immer noch da. Und so kann sich die einstige Salzund Salinenstadt nun schon seit über einem Vierteljahrhundert „Festspielstadt“nennen.
Und oben im Berg? Da rutschen vergnügte Gäste durch die Stollenwelt. Und es wird weiter hart gearbeitet, „zwölf Bergknappen haben da auf alle Zeiten eine Arbeit“, sagt Johann Brochenberger. Betriebsleiter von „Salzbergbau Hallein-Bad Dürrnberg“ist er. Es mag kein weißes Gold mehr aus dem Berg kommen. Das Werk in ihm ruht aber nicht. Der Berg lebt. Dabei geht es nicht bloß um die Instandhaltung des Schaubergwerks, in das pro Jahr 220.000 Menschen einfahren. Es geht um die Bewetterung, um das Ableiten der Sole vorbei an Trinkwasserquellen, die sonst verunreinigt werden könnten. Nur vorangetrieben wird nichts mehr von den Bergknappen. Es werden keine neuen Stollen mehr geschlagen. Das letzte Salz, der Stoff, aus dem dieses Land gebaut ist, ruht.