Salzburger Nachrichten

Warum Scheitern im Lebenslauf erlaubt ist

Viele junge Wissenscha­fter haben Angst vor Misserfolg­en und prekären Arbeitsver­hältnissen. Wie ein Lebenslauf des Scheiterns helfen kann.

- Johannes Haushofer, Assistenzp­rofessor in Princeton SN,dpa

HOF. Glänzende akademisch­e Karrieren sind selten, der Druck auf junge Wissenscha­fter ist umso höher. Rückschläg­e verstecken viele. Doch wie wäre es mit einem etwas anderen Lebenslauf? Kann die Idee eines „CV of failures“tatsächlic­h die Rekrutieru­ngspraxis ändern?

Jeder, der sich in einem umkämpften Feld um Stellen bewirbt, dürfte das Gefühl kennen: Die Lebensläuf­e der anderen scheinen makellos zu sein. Der eigene hingegen – na ja. Junge Wissenscha­fter kennen diesen Druck besonders gut. Sie unterricht­en, netzwerken, halten Vorträge und müssen die eigene Forschung vorantreib­en. All das, obwohl sie kaum Aussicht auf eine sichere Zukunft haben. Welche Folgen das haben kann, darauf macht einer aufmerksam, der es geschafft hat: Johannes Haushofer, Assistenzp­rofessor an der Princeton University. Mit seinem „CV of failures“– einem „Lebenslauf des Scheiterns“.

Darin schreibt er zum Beispiel über akademisch­e Stellen, auf die er sich bewarb und die er nicht bekam, über Stipendien, für die er nicht ausgewählt wurde, und über Aufsätze, die er verfasste und die nicht zur Veröffentl­ichung angenommen wurden. Außerdem schreibt er augenzwink­ernd, dass sein Lebenslauf des Scheiterns „wesentlich mehr Aufmerksam­keit“bekommen habe als seine gesamte wissenscha­ftliche Arbeit.

„Ich bin nicht sicher, ob es gut ist, für sich selbst einen zu schreiben“, sagt der 36-Jährige allerdings. „In der Psychologi­e nutzt man ähnliche Übungen, um Leute zu stressen.“ Ihn selbst müssen seine Misserfolg­e nicht allzu sehr belasten. Geboren in Hof, ist er über Oxford und Harvard nach Princeton gelangt. Sein akademisch­er Lebenslauf ist sieben Seiten lang. Seine Gegen-Erzählung, der „CV of failures“, misst zwei Seiten und erregt im Netz Aufsehen.

Zuerst wollte Haushofer nur eine andere Perspektiv­e bieten. Jetzt will er die Aufmerksam­keit für eine Debatte nutzen. „Das meiste von dem, was ich probiere, scheitert“, schreibt Haushofer über seine Liste der Rückschläg­e. „Aber diese Misserfolg­e sind oft unsichtbar, während die Erfolge sichtbar sind.“Andere dächten deshalb oft, es läge an ihnen, wenn sie etwas nicht schaffen. Was sie nicht sehen, betont Haushofer: die Macht des Zufalls, dass Bewerbunge­n auch Glückssach­e sind – und sogar Auswahlkom­itees schlechte Tage haben.

Das wollte schon Melanie Stefan von der University of Edinburgh ändern: Sie machte als Erste die Idee eines „CV of failures“publik. Ihre Begründung: Wer einen Rückschlag erlebe, verstecke ihn, fühle sich allein und entmutigt. „Ich finde den Versuch gut, die teilweise verrückte Idealisier­ung zu durchbrech­en“, sagt Hans-Werner Rückert, der die Psychologi­sche Beratung der Freien Universitä­t Berlin leitet.

Doch er ist skeptisch, ob „CVs of failures“die Rekrutieru­ngspraxis verändern können. In Deutschlan­d gibt es recht viele Doktorande­nund Postdocste­llen, aber befristet auf ein oder zwei Jahre. Professure­n mit dauerhafte­r Anstellung gibt es nur sehr wenige, die Nachfrage ist viel größer als das Angebot. Das führt zu großer Konkurrenz.

Den Druck, den perfekten Lebenslauf zu haben, kennen viele Berufsanfä­nger. „Aber der Unterschie­d zur freien Wirtschaft ist, dass die berufliche Zukunft in der Wissenscha­ft viel länger unsicher bleibt“, sagt der Vizevorsit­zende der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft, Andreas Keller. Für Frauen sei das Problem noch drängender.

„Ich würde mir wünschen, einfach mit ganzem Herzen Wissenscha­fterin sein zu können“, sagt eine junge Historiker­in, die gerade ihren Doktortite­l an einer bayerische­n Universitä­t macht. „In Wirklichke­it habe ich aber Angst vor prekären Arbeitsver­hältnissen und Altersarmu­t trotz hohem Bildungsgr­ad und großem Engagement.“Die junge Frau will ihren Namen nicht mit diesen Zitaten in den Medien veröffentl­ichen.

Es gibt in Deutschlan­d laut der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) keine offizielle­n Zahlen zur psychische­n Gesundheit von Nachwuchsw­issenschaf­tern. Rückert von der Freien Uni Berlin schätzt, dass sich etwa fünf Prozent der jungen Forscher an seiner Uni bei ihm und seinen Kollegen etwa wegen Schlafstör­ungen oder Konzentrat­ionsproble­men Hilfe holen, wobei seiner Meinung nach mehr Probleme haben. Sie gingen lieber zum Hausarzt – oder versuchten, sich selbst zu kurieren oder mit Drogen abzulenken.

„Das meiste von dem, was ich probiere, scheitert.“

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