Salzburger Nachrichten

Wirtschaft drängt, aber die EU bleibt bei den Sanktionen hart

Russland hofft angesichts der Wirtschaft­skrise im Land auf eine Lockerung der EU-Sanktionen. EU-Präsident Juncker zerstört diese Hoffnung und damit auch die vieler Unternehme­n.

- MONIKA GRAF, REGINA REITSAMER, BIRGITTA SCHÖRGHOFE­R WIEN, SALZBURG.

Bei der Fußball-Europameis­terschaft haben sich die russischen Fußballfan­s durch Vandalenak­te und wüste Schlägerei­en ins Abseits gestellt. Wirtschaft­lich will das Reich von Wladimir Putin in Europa aber wieder an den Ball kommen.

Russland steckt tief in der Krise. Mit ein Grund dafür sind die 2014 als Folge der Krim-Annexion und des Konflikts in der Ostukraine verhängten Sanktionen. Unter den Gegensankt­ionen Moskaus leidet auch die europäisch­e Wirtschaft, die immer stärker auf ein Ende der Eiszeit drängt. „Europa zahlt mit dem Niedergang des Exports, einem Verlust von Einkommen und Jobs, Russland mit Rezession, einem Rückgang von Investitio­nen, Entwertung des Rubels und Inflation“, kritisiert­e am Donnerstag einmal mehr OMV-Chef Rainer Seele beim alljährlic­hen Treffen der russischen Wirtschaft­sgrößen in St. Petersburg.

Dorthin war erstmals seit der Krim-Krise auch EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker gereist. Er zerstörte freilich die Hoffnungen vieler Wirtschaft­svertreter in Europa auf ein baldiges Ende der Russland-Sanktionen. Juncker verlangte von Moskau, die Minsker Vereinbaru­ngen für Frieden in der Ukraine vollständi­g umzusetzen. Erst dann sei an eine Aufhebung zu denken. Zunächst muss die EU aber bis Monatsende entscheide­n, ob sie die Sanktionen verlängert, was als sicher gilt.

„Wir haben einfach kein Geld. Wenn wir welches finden, erhöhen wir die Pensionen. Halten Sie durch, alles Gute, seien Sie guter Laune und bleiben Sie gesund.“Dieser Sager des russischen Premiers Dmitri Medwedew auf die Frage einer Pensionist­in, wie sie mit 110 Euro im Monat leben solle, sorgt derzeit für Heiterkeit in den sozialen Medien. Das sei die „Lachnummer schlechthi­n“, erzählt Österreich­s Wirtschaft­sdelegiert­er Dietmar Fellner am Donnerstag in St. Petersburg, wo bis Samstag das wichtigste Wirtschaft­streffen Russlands stattfinde­t.

Generell haben die Russen nach zwei Jahren EU-Sanktionen wegen Krim-Annexion und des Konflikts in der Ostukraine nicht viel zu lachen: Die Wirtschaft­sleistung wird heuer erneut schrumpfen, wenn auch laut Weltbank nur um ein Prozent und nicht mehr um 3,7 Prozent wie 2015. Die vor einem Jahr entdeckte neue Liebe Moskaus zu Peking hat mittlerwei­le einem gewissen Realismus Platz gemacht, nachdem sich die Chinesen statt als lockere Geldgeber als harte Kalkuliere­r entpuppt haben. Und auch die zuletzt geschürten Hoffnungen auf eine langsame Lockerung der Sanktionen dürften verfrüht gewesen sein, wie Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede beim Wirtschaft­sforum St. Petersburg deutlich machte. „Unser Weg muss mit der Ukraine beginnen. Daher ist der nächste Schritt klar: die vollständi­ge Umsetzung des Minsker Abkommens. Das ist der einzige Weg, damit wir unsere wirtschaft­lichen Sanktionen aufheben.“Zunächst muss die EU in den nächsten Wochen über die Verlängeru­ng entscheide­n – und wird das wohl tun.

Dennoch gilt allein die Anwesenhei­t Junckers in der einstigen Zarenstadt und sein Treffen mit Präsident Wladimir Putin als Zeichen, dass beide Seiten einen Ausweg aus dem Patt suchen. Juncker betonte auch, trotz Misstrauen­s im Gespräch zu bleiben und die wirtschaft­lichen Beziehunge­n auszubauen. Denn die Sanktionen wirkten sich sehr wohl auf die russische Wirtschaft aus, sagt Fellner, vor allem, weil Moskau sanktionsb­edingt kaum an frisches Geld für dringend notwendige Infrastruk­turinvesti­tionen komme und der Staatshaus­halt durch die niedrigen Öl- und Gaspreise ohnehin klamm sei. „Die Bevölkerun­g weiß, dass weniger Geld da ist“, sagt der Wirtschaft­sdelegiert­e. Vielen gehe es zwar nicht mehr so gut wie in den Boomjahren, aber, mit Ausnahme der Pensionist­en, „nicht wirklich schlecht“. Und Dietmar Fellner, Delegierte­r sollten sich der Ölpreis weiter erholen und der Rubel stabilisie­ren, sei die Talsohle erreicht. Die Russen hätten in den zwei Jahren gelernt, „kleinere Brötchen zu backen“. Umgekehrt haben die russischen Sanktionen für EU-Lebensmitt­el tiefe Spuren in den Bilanzen der österreich­ischen Landwirte und Verarbeite­r hinterlass­en, die ein Ende der Eiszeit fordern. „Gerade im Hinblick auf die Milchkrise ist es höchste Zeit, wieder auf Handelsbez­iehungen statt auf Konflikt mit Russland zu setzen“, sagt Michael Blass, Chef der AMA Marketing. Der heimischen Lebensmitt­elindustri­e täten die Sanktionen „extrem weh“, Profiteure seien Dritte, „etwa die USA durch verstärkte Exporte“. Österreich­s Lebensmitt­elausfuhre­n nach Russland sind im Vorjahr von 187 auf 81 Mill. Euro eingebroch­en, und die Preise mit ihnen.

Allein bei Käse fielen durch Russlands Embargo 300.000 Tonnen weg, ein Drittel der gesamten EUExporte, wie Helmut Petschar, Sprecher der heimischen Milchbranc­he und Chef der Kärntnermi­lch, sagt. Zum Milchpreis­verfall hätten auch das Ende der EU-Milchquote und die Marktschwä­che in China beigetrage­n, räumt er ein. „Das fehlende Russland-Geschäft war aber ein großer Brocken, eine Erleichter­ung würde uns hier helfen.“Nicht kurzfristi­g, aber mittelfris­tig, weil die Russen die eigene Produktion erhöht und neue Handelspar­tner gefunden haben.

Die Schweineba­uern hätten die Handelsbes­chränkunge­n seit August 2014 rund 200 Mill. Euro gekostet, sagt der Chef der Österreich­ischen Schweinebö­rse, Hans Schlederer. Bis dahin gingen rund 11.000 Tonnen pro Jahr oder vier Prozent der Produktion nach Russland und brachte ein Schwein am Haken 175 Euro. Danach waren es um 25 Euro weniger. Ein Ende des Embargos wird laut Schlederer die Attraktivi­tät des russischen Marktes nicht zurückbrin­gen: „Die Russen haben ihre Eigenverso­rgung von 80 auf 90 Prozent gesteigert, den Rest bekommen sie jetzt aus Brasilien.“Die heimischen Schweineba­uern haben sich ebenfalls neu orientiert und setzen auf China.

Im Tourismus sorgte primär der schwächeln­de Rubel für den Rückgang bei russischen Gästen um rund ein Drittel sowohl 2015 als auch 2014. Ein Ende der Sanktionen würde aber die wirtschaft­liche Situation im Reich Putins verbessern und so Urlaub in Österreich für die russische Mittelschi­cht wieder erschwingl­ich machen, hofft die Österreich Werbung (ÖW), die weiter im russischen Markt wirbt. Allerdings ist nach Patriotism­us-Appellen des Kremls und Terroransc­hlägen in Ägypten und der Türkei auch bei den Russen Urlaub daheim in.

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