Wirtschaft drängt, aber die EU bleibt bei den Sanktionen hart
Russland hofft angesichts der Wirtschaftskrise im Land auf eine Lockerung der EU-Sanktionen. EU-Präsident Juncker zerstört diese Hoffnung und damit auch die vieler Unternehmen.
Bei der Fußball-Europameisterschaft haben sich die russischen Fußballfans durch Vandalenakte und wüste Schlägereien ins Abseits gestellt. Wirtschaftlich will das Reich von Wladimir Putin in Europa aber wieder an den Ball kommen.
Russland steckt tief in der Krise. Mit ein Grund dafür sind die 2014 als Folge der Krim-Annexion und des Konflikts in der Ostukraine verhängten Sanktionen. Unter den Gegensanktionen Moskaus leidet auch die europäische Wirtschaft, die immer stärker auf ein Ende der Eiszeit drängt. „Europa zahlt mit dem Niedergang des Exports, einem Verlust von Einkommen und Jobs, Russland mit Rezession, einem Rückgang von Investitionen, Entwertung des Rubels und Inflation“, kritisierte am Donnerstag einmal mehr OMV-Chef Rainer Seele beim alljährlichen Treffen der russischen Wirtschaftsgrößen in St. Petersburg.
Dorthin war erstmals seit der Krim-Krise auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gereist. Er zerstörte freilich die Hoffnungen vieler Wirtschaftsvertreter in Europa auf ein baldiges Ende der Russland-Sanktionen. Juncker verlangte von Moskau, die Minsker Vereinbarungen für Frieden in der Ukraine vollständig umzusetzen. Erst dann sei an eine Aufhebung zu denken. Zunächst muss die EU aber bis Monatsende entscheiden, ob sie die Sanktionen verlängert, was als sicher gilt.
„Wir haben einfach kein Geld. Wenn wir welches finden, erhöhen wir die Pensionen. Halten Sie durch, alles Gute, seien Sie guter Laune und bleiben Sie gesund.“Dieser Sager des russischen Premiers Dmitri Medwedew auf die Frage einer Pensionistin, wie sie mit 110 Euro im Monat leben solle, sorgt derzeit für Heiterkeit in den sozialen Medien. Das sei die „Lachnummer schlechthin“, erzählt Österreichs Wirtschaftsdelegierter Dietmar Fellner am Donnerstag in St. Petersburg, wo bis Samstag das wichtigste Wirtschaftstreffen Russlands stattfindet.
Generell haben die Russen nach zwei Jahren EU-Sanktionen wegen Krim-Annexion und des Konflikts in der Ostukraine nicht viel zu lachen: Die Wirtschaftsleistung wird heuer erneut schrumpfen, wenn auch laut Weltbank nur um ein Prozent und nicht mehr um 3,7 Prozent wie 2015. Die vor einem Jahr entdeckte neue Liebe Moskaus zu Peking hat mittlerweile einem gewissen Realismus Platz gemacht, nachdem sich die Chinesen statt als lockere Geldgeber als harte Kalkulierer entpuppt haben. Und auch die zuletzt geschürten Hoffnungen auf eine langsame Lockerung der Sanktionen dürften verfrüht gewesen sein, wie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede beim Wirtschaftsforum St. Petersburg deutlich machte. „Unser Weg muss mit der Ukraine beginnen. Daher ist der nächste Schritt klar: die vollständige Umsetzung des Minsker Abkommens. Das ist der einzige Weg, damit wir unsere wirtschaftlichen Sanktionen aufheben.“Zunächst muss die EU in den nächsten Wochen über die Verlängerung entscheiden – und wird das wohl tun.
Dennoch gilt allein die Anwesenheit Junckers in der einstigen Zarenstadt und sein Treffen mit Präsident Wladimir Putin als Zeichen, dass beide Seiten einen Ausweg aus dem Patt suchen. Juncker betonte auch, trotz Misstrauens im Gespräch zu bleiben und die wirtschaftlichen Beziehungen auszubauen. Denn die Sanktionen wirkten sich sehr wohl auf die russische Wirtschaft aus, sagt Fellner, vor allem, weil Moskau sanktionsbedingt kaum an frisches Geld für dringend notwendige Infrastrukturinvestitionen komme und der Staatshaushalt durch die niedrigen Öl- und Gaspreise ohnehin klamm sei. „Die Bevölkerung weiß, dass weniger Geld da ist“, sagt der Wirtschaftsdelegierte. Vielen gehe es zwar nicht mehr so gut wie in den Boomjahren, aber, mit Ausnahme der Pensionisten, „nicht wirklich schlecht“. Und Dietmar Fellner, Delegierter sollten sich der Ölpreis weiter erholen und der Rubel stabilisieren, sei die Talsohle erreicht. Die Russen hätten in den zwei Jahren gelernt, „kleinere Brötchen zu backen“. Umgekehrt haben die russischen Sanktionen für EU-Lebensmittel tiefe Spuren in den Bilanzen der österreichischen Landwirte und Verarbeiter hinterlassen, die ein Ende der Eiszeit fordern. „Gerade im Hinblick auf die Milchkrise ist es höchste Zeit, wieder auf Handelsbeziehungen statt auf Konflikt mit Russland zu setzen“, sagt Michael Blass, Chef der AMA Marketing. Der heimischen Lebensmittelindustrie täten die Sanktionen „extrem weh“, Profiteure seien Dritte, „etwa die USA durch verstärkte Exporte“. Österreichs Lebensmittelausfuhren nach Russland sind im Vorjahr von 187 auf 81 Mill. Euro eingebrochen, und die Preise mit ihnen.
Allein bei Käse fielen durch Russlands Embargo 300.000 Tonnen weg, ein Drittel der gesamten EUExporte, wie Helmut Petschar, Sprecher der heimischen Milchbranche und Chef der Kärntnermilch, sagt. Zum Milchpreisverfall hätten auch das Ende der EU-Milchquote und die Marktschwäche in China beigetragen, räumt er ein. „Das fehlende Russland-Geschäft war aber ein großer Brocken, eine Erleichterung würde uns hier helfen.“Nicht kurzfristig, aber mittelfristig, weil die Russen die eigene Produktion erhöht und neue Handelspartner gefunden haben.
Die Schweinebauern hätten die Handelsbeschränkungen seit August 2014 rund 200 Mill. Euro gekostet, sagt der Chef der Österreichischen Schweinebörse, Hans Schlederer. Bis dahin gingen rund 11.000 Tonnen pro Jahr oder vier Prozent der Produktion nach Russland und brachte ein Schwein am Haken 175 Euro. Danach waren es um 25 Euro weniger. Ein Ende des Embargos wird laut Schlederer die Attraktivität des russischen Marktes nicht zurückbringen: „Die Russen haben ihre Eigenversorgung von 80 auf 90 Prozent gesteigert, den Rest bekommen sie jetzt aus Brasilien.“Die heimischen Schweinebauern haben sich ebenfalls neu orientiert und setzen auf China.
Im Tourismus sorgte primär der schwächelnde Rubel für den Rückgang bei russischen Gästen um rund ein Drittel sowohl 2015 als auch 2014. Ein Ende der Sanktionen würde aber die wirtschaftliche Situation im Reich Putins verbessern und so Urlaub in Österreich für die russische Mittelschicht wieder erschwinglich machen, hofft die Österreich Werbung (ÖW), die weiter im russischen Markt wirbt. Allerdings ist nach Patriotismus-Appellen des Kremls und Terroranschlägen in Ägypten und der Türkei auch bei den Russen Urlaub daheim in.