Labour-Abgeordnete ermordet
Die britische Labour-Abgeordnete Jo Cox stirbt nach einem Attentat in Nordengland. Ganz Großbritannien ist schockiert über diese Gewalttat kurz vor dem EU-Referendum.
In Großbritannien herrscht der emotionale Ausnahmezustand, nachdem die britische Abgeordnete Jo Cox auf offener Straße ermordet wurde.
LONDON. In Großbritannien herrscht der emotionale Ausnahmezustand, seit gestern die Abgeordnete Jo Cox auf offener Straße getötet wurde. Premier David Cameron zeigte sich erschüttert, „wir haben einen großen Star verloren“, sagte er über die „tragischen und furchtbaren Nachrichten“. LabourChef Jeremy Corbyn kämpfte mit Tränen, als er den Angehörigen der 41-Jährigen sein Mitgefühl aussprach. „Die ganze Labour-Partei und Labour-Familie – und gewiss das ganze Land – werden angesichts dieses abscheulichen Mordes an Jo Cox schockiert sein.“
Kurz vor 13 Uhr. Die Sozialdemokratin verließ gerade eine Bücherei inmitten von Birstall – einer beschaulichen Stadt in der nordenglischen Grafschaft West Yorkshire, wo sie zu einer Bürgersprechstunde geladen hatte. Es war Markttag, Menschen gingen in die Mittagspause, besorgten Einkäufe. Ein Mann kam auf Cox zu und zettelte eine heftige Auseinandersetzung an, zitieren Medien Augenzeugen. Dann Schreie, mindestens zwei Schüsse. Und ein Kampf, bei dem der Angreifer offenbar mit einem Messer auf Jo Cox einstach. Die Politikerin lag in einer Blutlache auf dem Gehsteig, „blutete aus der Nase und dem Mund“, sagte Sanjeev Kumar, der in der Nähe ein Geschäft betreibt. Im Krankenhaus erlag Cox, die erst 2015 ins Parlament eingezogen war, ihren Verletzungen.
Ein 52-jähriger Mann wurde kurz nach der Tat festgenommen. Nach weiteren mutmaßlichen Tätern werde nicht gefahndet, gab die Polizei bekannt. Während des Angriffs soll der Angreifer „Britain first“, „Großbritannien zuerst“, gerufen haben – eine mögliche Anspielung auf die gleichnamige rechtsextreme Partei? Sofort begannen Spekulationen, denn die leidenschaftliche Europäerin Cox hatte sich nicht nur für die „Remain“-Kampagne („Bleiben“) eingesetzt, sondern leitete auch die überparteiliche Parlamentariergruppe „Friends of Syria“. Immer wieder forderte die zweifache Mutter mehr Engagement bei der Aufnahme von Flüchtlingen.
Sowohl das Brexit-Lager als auch die Seite, die für den Verbleib in der EU wirbt, sagten ihre Kampagnen auf unbestimmte Zeit ab. Das weitere Vorgehen und ob möglicherweise sogar das Referendum abgesagt oder verschoben werde, blieb offen. Unklar blieb auch, ob die Attacke wirklich mit der Volksabstimmung zusammenhängt. Für Schlussfolgerungen sei es noch zu früh, die Ermittlungen der Polizei dauern an.
Der Polit-Betrieb in Westminster war völlig geschockt. „Im House of Commons fließen die Tränen“, fasste ein Abgeordneter die Stimmung zusammen. Kaum ein Parlamentarier, der nicht über soziale Medien sein Mitgefühl ausdrückte. Cameron beschrieb Cox als „engagierte und warmherzige Parlamentarierin mit viel Mitgefühl und einem großen Herz“. Er sei in Gedanken bei ihrem Ehemann und den Kindern. Der Premier sagte seine Wahlkampfreise nach Gibraltar ab.
Freunde und Kollegen aller Couleur priesen die Abgeordnete als „neuen Stern am Politikerhimmel“. Cox galt durch alle Parteien hinweg als außerordentlich beliebt. Sie engagierte sich besonders für Immigration, Frauen- und Menschenrechte und reiste mehrfach nach Afrika. Vor ihrem Wechsel in die Politik arbeitete sie in der Entwicklungshilfe, etwa für die Nichtregierungsorganisation Oxfam.