Wahlanfechtung: Kampf der Argumente
Die Grünen werfen der FPÖ „Taschenspielertricks“in ihrer Wahlanfechtung vor. Sie räumen aber ein, dass die Stimmenauszählung teilweise nicht den Gesetzen entsprochen habe. Nun blicken alle auf den Verfassungsgerichtshof.
WIEN. Wie groß ist die Zahl der Unregelmäßigkeiten, möglichen Manipulationen und Rechtsverstöße rund um die Auszählung der Wahlkartenstimmen für die Stichwahl um den Einzug in die Hofburg? Und: Wie entscheidet der Verfassungsgerichtshof? Die Bundeswahlbehörde zumindest hielt bereits fest, es gebe keinen Grund für eine Wahlwiederholung, alles sei korrekt verlaufen, es gebe keine Hinweise auf Manipulationen.
Die Freiheitlichen hatten in ihrer Wahlanfechtung Hunderttausende von Unregelmäßigkeiten betroffene Wahlkartenstimmen aufgelistet. Der geschäftsführende Parlamentarier der Grünen, Dieter Brosz, zog am Donnerstag zum Gegenangriff aus. Er warf der FPÖ nicht nur eine von langer Hand geplante Desavouierung des Briefwahlsystems und letztlich des Briefwahlergebnisses vor. Er kritisierte auch „Taschenspielertricks“von FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer. Dieser habe Wahlkartenstimmen, bei denen es Unregelmäßigkeiten gegeben haben soll, doppelt gezählt.
Dass es beim Auszählprozedere der Bezirkswahlbehörden zu Abläufen gekommen sei, die deutlich vom Gesetzeswortlaut abgewichen seien, konnte freilich auch Brosz nicht abstreiten. Dies sei aber jeweils von den Bezirkswahlbehörden mit den Stimmen der FPÖ-Vertreter so beschlossen worden. Brosz zeigte sich verwundert, dass FPÖ-Wahlbeisitzer zuerst den ordnungsgemäßen Verlauf der Wahl protokolliert haben und dann als Zeugen für den nicht ordnungsgemäßen Verlauf der Auszählung aufgetreten seien.
Die Wahlanfechtung der FPÖ könnte nun tatsächlich auch die FPÖ-Parteifunktionäre in die Bredouille bringen, die zuerst die Rechtmäßigkeit der Auszählung der Wahlkarten schriftlich bezeugt haben, um sie später zu beanstanden. Sie sind mit strafrechtlichen Anzeigen der Wahlbehörde konfrontiert. Etliche Rechtsexperten hatten sich in den letzten Tagen fassungslos darüber gezeigt, in welchem Ausmaß sich Bezirkswahlbehörden offenbar über die peniblen Vorschriften zur Auszählung der Briefwahlstimmen hinweggesetzt hatten.
Wie sehen die konkreten Vorwürfe aus? Die FPÖ moniert unter anderem, dass in 17 Bezirkswahlbehörden die Briefwahlkarten vor Beginn der Auszählung bereits geöffnet gewesen seien. Davon waren laut FPÖ 120.067 Wahlkarten betroffen. Die FPÖ wendet zudem ein, dass in elf Bezirkswahlbehörden die Wahlkartenkuverts vor der Auszählung geöffnet und die Stimmkuverts aus den Wahlkartenkuverts bereits entnommen waren. Davon betroffen seien 80.953 Wahlkarten. In vier Bezirkswahlbehörden wurden die Wahlkartenstimmen laut FPÖ verfrüht ausgezählt. Davon betroffen laut Freiheitlichen: 30.295 eingelangte Wahlkarten. Zudem wurden laut FPÖ 58.374 Wahlkarten von Nichtbefugten ausgezählt. Macht insgesamt 290.000 Stimmen. Zumindest laut FPÖ.
Stimmt nicht, kontert Brosz. Die FPÖ habe doppelt gezählt, in Wahrheit seien nur 120.000 Stimmen betroffen, von denen man 109.000 ausgezählt habe. Die FPÖ führte in der Wahlanfechtung zudem an, in 82 von 117 Bezirkswahlbehörden seien die Briefwahlkarten zu Beginn der Sitzung der Wahlbehörden bereits in nichtige und auszuzählende Stimmen vorsortiert gewesen. Dies habe 573.275 Stimmen betroffen.
Brosz entgegnet, dass es sich bei der Vorsortierung um einen rechtskonformen Vorgang handle und hiezu auch die Judikatur eindeutig sei. Laut Brosz sei unstrittig, dass die Mehrheit der Österreicher Van der Bellen zum Präsidenten gewählt habe. Es habe zweifellos keine Wahlfälschung oder Manipulation gegeben, „die auch nur ansatzweise zu einer Veränderung des Wahlergebnisses geführt haben könnte“. Der Parlamentarier tritt für eine Plausibilitätsprüfung ein. Auch aus statistisch gebe es keine Hinweise darauf, dass die Unterschiede zwischen Urnenwahlergebnis und Wahlkartenergebnis in den angefochtenen Bezirken ein anderes Muster aufwiesen als die entsprechenden Unterschiede in den restlichen Bezirken. „Wenn die Prämisse ist, dass jede Abweichung zur Neuaustragung einer Wahl führt, haben wir lustige Zeiten vor uns“, sagt Brosz. Dies öffne Tür und Tor für Manipulationen: Ein Wahlkommissionsleiter könnte eine Wahlwiederholung erzwingen, indem er Kuverts bewusst vorzeitig öffne. Abweichungen vom vorgesehenen Prozedere habe es immer wieder gegeben, ohne dass dies Grund für eine Wahlaufhebung geworden sei.
Das Verfassungsgericht hat allerdings eben erst bei der Aufhebung der Bezirksvertretungswahl in Wien-Leopoldstadt bestätigt, dass es für eine Aufhebung ausreicht, wenn eine Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis „von Einfluss sein könnte“. So könnten nachgewiesene gravierende Auszählungsmängel bei der Hälfte der 30.863 Stimmen, die Van der Bellen vor Hofer gelegen ist, reichen. Brosz glaubt, „dass es ein sehr offenes Verfahren wird“, und rechnet mit einer Entscheidung vor dem Angelobungstermin 8. Juli. Bei einer möglichen Aufhebung hält er eine Teilwiederholung der Wahl für sinnvoll. Die 109.000 vorzeitig geöffneten Wahlkarten seien jedenfalls genau zuzuordnen.