Salzburger Nachrichten

Der Islam ist eine Hürde für die Integratio­n

Die Kinder und Enkel türkischer Zuwanderer leben oft im Spagat zwischen Integratio­n und dem Druck der Eltern, Traditione­n zu pflegen.

- Detlef Pollack, Religionss­oziologe SN, dpa

Die gute Nachricht zuerst: Die überwältig­ende Mehrheit der Menschen türkischer Herkunft (90 Prozent) fühlt sich in Deutschlan­d wohl. Sie und der Rest der Republik werden einander immer ähnlicher. Sie sprechen zunehmend die gleiche Sprache: Deutsch. Und sie nähern sich auch in der Rollenvert­eilung zwischen Mann und Frau stetig an. Die Unterschie­de in puncto Bildung und Arbeit werden allmählich kleiner.

Und jetzt die schlechte Nachricht: Beim Thema Islam finden beide Seiten einfach nicht zusammen. Eine aktuelle Studie der Universitä­t Münster stellt fest: Viele Muslime mit türkischen Wurzeln haben das Gefühl, sie selbst und ihre Religion würden von der Mehrheit der Deutschen nicht anerkannt. Und zumindest, was die Religion angeht, liegen sie auch nicht ganz falsch.

Denn 82 Prozent der deutschen Gesamtbevö­lkerung verbinden den Islam vor allem mit der „Benachteil­igung der Frau“. 72 Prozent denken, wenn sie „Islam“hören, gleich an „Fanatismus“, 64 Prozent an „Gewaltbere­itschaft“. „Friedferti­gkeit, Achtung der Menschenre­chte, Solidaritä­t und Toleranz“assoziiere­n dagegen nur jeweils weniger als neun Prozent der Nichtmusli­me mit dem Islam. Das hat natürlich viel mit dem Terror von Gruppen wie Al Kaida und IS zu tun, auch wenn der überwiegen­de Teil der Muslime diesen selbst ablehnt.

Das Islam-Bild der Gesamtgese­llschaft steht dem Bild, das die aus der Türkei stammenden Muslime von ihrer eigenen Religion haben, diametral entgegen. Nur 18 Prozent von ihnen verbinden den Islam mit Fanatismus. 65 Prozent der von Emnid im Auftrag der Universitä­t befragten Deutschtür­ken nennen die Friedferti­gkeit als typisches Merkmal ihrer Religion. Was kann man da tun? „Hier haben wir wirklich einen Konflikt“, erklärt der Leiter der Untersuchu­ng, der Religionss­oziologe Detlef Pollack. Er betont, „dass wir dieses Gefühl der Nichtanerk­ennung ernst nehmen müssen“. Die Mehrheitsg­esellschaf­t müsse verstehen, „welche besonderen Herausford­erungen die Türkeistäm­migen zu bewältigen haben“. Die Deutschtür­ken sollten sich ihrerseits selbstkrit­ischer als bisher „mit den fundamenta­listischen Tendenzen in den eigenen Reihen auseinande­rsetzen“.

Doch wie misst man „Fundamenta­lismus“überhaupt?

Emnid fragte die türkischen Einwandere­r und ihre Nachkommen zum Beispiel, ob sie dem Satz „Es gibt nur eine wahre Religion“zustimmen. Etwa die Hälfte sagte: Ja. Doch ist das wirklich schon ein Indiz für ein „islamisch-fundamenta­listisches Weltbild“oder sind diejenigen, die zustimmen, vielleicht nur einfach besonders religiös? Und würden gläubige Katholiken die Frage anders beantworte­n?

Toleranz zu messen ist da schon leichter: 80 Prozent der befragten Deutschtür­ken beschriebe­n ihre

„Viele fühlen sich nicht anerkannt von der Mehrheitsg­esellschaf­t.“

persönlich­e Haltung zu Christen positiv. Atheisten bekommen von ihnen dagegen weniger Pluspunkte. 49 Prozent sehen die Andersgläu­bigen sehr positiv oder eher positiv. 27 Prozent haben ein negatives Bild von Atheisten. Immerhin 24 Prozent der Befragten wollten auf diese Frage nicht antworten oder hatten keine Meinung. Auf noch mehr „Antwortver­weigerer“trafen die Meinungsfo­rscher, als sie nach der Einstellun­g zu Juden fragten. 30 Prozent der befragten Menschen mit türkischen Wurzeln wollten hier nicht antworten. Der Religionss­oziologe Olaf Müller schließt daraus auf eine „latente Abwehrhalt­ung“. 21 Prozent der Befragten bezeichnet­en ihre Haltung zu Juden als negativ, 29 Prozent positiv.

Obwohl die türkischen Einwandere­r und ihre Nachkommen die Meinungsfr­eiheit und andere Vorzüge des deutschen Rechtsstaa­ts sehr wohl schätzen, gibt es auch hier Differenze­n, sobald es um religiöse Inhalte geht. Fast drei Viertel der Menschen mit türkischen Wurzeln sind laut Emnid-Umfrage dafür, „Bücher und Filme, die Religionen angreifen und die Gefühle tiefreligi­öser Menschen verletzen“, sollten gesetzlich verboten werden. In der deutschen Mehrheitsg­esellschaf­t fordern laut einer Untersuchu­ng von 2010 lediglich 34 Prozent ein solches Verbot.

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BILD: SN/AP Starke Einflussna­hme von außen: ein Erdoğan-Anhänger in Köln.

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