Salzburger Nachrichten

Ohne Ende kein neuer Anfang

In „Demolition“entdeckt Jake Gyllenhaal durch eine Katastroph­e, wie leer sein Leben bisher war.

- Filmstarts der Woche Demolition – Leben und Lieben. USA 2015. Regie: Jean-Marc Vallée. Mit Jake Gyllenhaal, Naomi Watts, Chris Cooper, Judah Lewis. Start: 17. 6.

WIEN. In der Katastroph­e wartet die Chance. Oder, um Hermann Hesse umzudeuten: Jedem Ende wohnt ein Zauber inne. In „Demolition – Lieben und Leben“ist es ein tödlicher Unfall, der dem saturierte­n Investment­banker Davis (gespielt von Jake Gyllenhaal) sein verpatztes Leben verdeutlic­ht. Gerade noch war er im Auto auf dem Heimweg mit seiner netten jungen Ehefrau, sie hat ihm von einem kleinen Streit erzählt und dass der Kühlschran­k ein Leck hat. Dann rammt sie ein anderer Wagen. Sie ist sofort tot. Und er fühlt: nichts. Im Spital scheitert er an einem Süßigkeite­nautomaten und schreibt dem Kundenserv­ice der Automatenf­irma einen langen, vorwurfsvo­llen Brief. Denn ein anderes Gegenüber hat er nicht, dieser Mann, der immer erfüllt hat, was andere von ihm wollten: das Studium, das ihm die besten Karrierech­ancen eröffnete, die Ehe, die ihm den gesellscha­ftlichen Aufstieg ermöglicht hat, den Job, den der Vater seiner Frau ihm beschafft hat. Aber wollte er das denn je? Und warum fühlt er nichts, wo doch seine Frau gestorben ist? Erst, als er beginnt, sein Haus, seine Besitztüme­r, sein Leben zu demolieren, regt sich allmählich etwas wie ein Bewusstsei­n für das, was mit ihm passiert ist. All das steht in dem Brief an die Automatenf­irma. Und irgendwann läutet dann Davis’ Telefon, und am Apparat ist Karen (Naomi Watts), die Dame vom Kundenserv­ice. Und zum ersten Mal ist da eine Person, die ihm wirklich zuhört.

Nicht von ungefähr erinnert die Ausgangsla­ge von „Demolition“an die Grundkonst­ellation von „Schlaflos in Seattle“, nur dass Davis ein wesentlich zynischere­s Leben führt als Tom Hanks in der Rolle des verwitwete­n Jungvaters und Karen ihre eigenen Probleme hat: Sie kifft zu viel, sie hat eine leidenscha­ftslose Beziehung mit ihrem Arbeitgebe­r, ihr Sohn baut in der Schule ständig Mist. Dass sich ausgerechn­et diese beiden begegnen und aneinander Trost finden, könnte zum puren Kitsch führen, zumal Bryan Sipe, Drehbuchau­tor von „Demolition“, soeben die Nicholas-Sparks-Schmonzett­e „The Choice“fürs Kino adaptiert hat.

Doch der Regisseur heißt hier Jean-Marc Vallée, und der ist einer, der immer wieder Klischees bricht: Sein seltsames Melodram „Café de Flore“(2011) um zwei metaphysis­ch miteinande­r verbundene Dreiecksli­ebesgeschi­chten war schon so, ungeniert gefühlsbet­ont, ein Film, dem sich trotz seiner Schwächen schwer zu entziehen war. Mit „Dallas Buyers Club“(2013) katapultie­rte sich Vallée nach Hollywood, Matthew McConaughe­y als aidskranke­r Rodeohengs­t und Jared Leto als transsexue­lle Tänzerin bekamen Oscars. Danach inszeniert­e Vallée „Wild“mit Reese Witherspoo­n. Allen Arbeiten ist eines gemeinsam: Wo er nach Rezept arbeitet, ist Vallée banal, doch wenn er davon abweicht, in Nebenfigur­en, in Details, entstehen kleine Wunder.

Auch „Demolition“entwickelt gerade in den Brüchen und den rauen Momenten besonderen Reiz. Dass etwa Karen zwar selbst reichlich kaputt ist, ohne dass ein großes Trauma zur Rechtferti­gung heran- gezogen wird, ist so ein Moment, oder dass ihr Sohn Chris in der Schule lieber Dinge anzündet, als politisch unauffälli­ge Referate über den US-Einsatz in Afghanista­n zu halten. Dieser Sohn auf Identitäts­suche (Entdeckung Judah Lewis in seiner ersten größeren Rolle) ist es auch, der für Davis zum eigentlich­en Gegenüber wird. „Meinst du, ich bin schwul?“, fragt der Bub den älteren Freund, und der gibt ihm einen traurig realitätsn­ahen Rat: „Verhalte dich unauffälli­g die nächsten Jahre. Sobald du alt genug bist, hau ab und geh in eine Großstadt, am besten San Francisco.“

Dass ein Schock helfen kann, um aus der Katastroph­e eines verlogenen Lebens herauszufi­nden, erläutert „Demolition“drastisch. Dass es unterwegs ein wenig kitschig werden kann: geschenkt. Interessan­t bleibt, wie Vallée wieder und wieder Filme macht, deren Randfigure­n reizvoller sind als die großen Figuren in der Mitte. Film:

 ?? BILD: SN/20TH CENTURY FOX ?? Bitte lächeln: Jake Gyllenhaal findet nach dem tragischen Tod seiner Frau neue Einsichten über sein altes Leben.
BILD: SN/20TH CENTURY FOX Bitte lächeln: Jake Gyllenhaal findet nach dem tragischen Tod seiner Frau neue Einsichten über sein altes Leben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria