Salzburger Nachrichten

Ein Roadmovie durch europäisch­e Betten

Eine Doku zeigt junge Paare aus verschiede­nen Teilen Europas, die von gleichen Problemen getrieben sind.

- Europe, She Loves. Schweiz/ Deutschlan­d 2016. Regie: Jan Gassmann. Start: 17. 6.

WIEN. Dublin, Tallinn, Sevilla, Thessaloni­ki: In „Europe, She Loves“unternimmt der junge Schweizer Dokumentar­ist Jan Gassmann den Versuch, anhand von vier jungen Paaren, die sich in prekären Lebenssitu­ationen befinden, das Europa der Gegenwart zu porträtier­en. SN: Wie entstand das Konzept zu diesem Film? Jan Gassmann: Zu Beginn stand ein Gespräch mit einem anderen Regisseur, der mir gesagt hat: „Die Liebe kann man im Dokumentar­film nicht zeigen.“Das hat mir keine Ruhe gelassen. Die Liebe ist in der Musik, in jedem Spielfilm, die ist überall präsent – warum kommt die im Dokumentar­film so selten vor? Das hat mich interessie­rt, und gleichzeit­ig die wirtschaft­lichen Verwerfung­en in Europa, diese ganzen Hintergrun­dreportage­n über Menschen in der Krise. Ich wollte diese beiden Dinge verschränk­en, weil für mich das Politische gerade im Privaten stattfinde­t. Ich bin dann losgezogen und habe mir unbekannte Städte ausgewählt und dort nach Paaren gesucht. Ich wollte eine Mischung haben: eine junge Liebe, eine junge Familie, bis hin zu einer Beziehung, die fast auseinande­rbricht, verschiede­ne Etappen im Leben zwischen 20 und 30. SN: Was diese vier Paare gemeinsam haben, ist auch, dass sie Sie sehr nah heranlasse­n auch an sehr intime Dinge, vom Streit bis zum Sex. War das eine Bedingung? Ja, schon auf dem Flyer, mit dem ich nach Paaren gesucht habe, stand auch drauf „wir sind alle nackt“. Das hat dann, glaube ich, viel ermöglicht in Bezug auf Beziehungs­gespräche.

Die Hürde war höher angelegt für sie, weil sie wussten, der körperlich­e Aspekt spielt auch eine Rolle in diesem Film. Ich wusste, wenn ich einen Film über eine Liebesbezi­ehung zeige und das Körperlich­e komplett weglasse, wäre das für mich zu sehr wie im Spielfilm, wo Sex dann oft durch die wehende Gardine im Gegenlicht angedeutet wird.

Das Körperlich­e hat ihnen ermöglicht, über das Persönlich­e zu sprechen. Ich war überrascht, dass da dann andere Hürden, die man sich vielleicht verbietet im Kopf, auf einmal weggefalle­n sind. SN: „Europe, She Loves“ist auch ein Roadmovie quer durch Europa: Sie kommen am Weg zu Ihren Protagonis­ten vorbei an sehr unterschie­dlichen historisch prägnanten Orten – am Wrack der „Costa Concordia“, an Auschwitz. Wir sind wirklich den ganzen Weg mit dem Auto gefahren. Ich hatte ein paar feste Punkte, wo ich drehen wollte, und manches haben wir unterwegs gefunden. Die Bilder der „Costa Concordia“und von Auschwitz sind natürlich die explizites­ten, manchmal war es auch ein Karren am Weg zu einer Kirche in Mazedonien. Für mich gehört das zum Versuch, eine Art Porträt von Europa zu schaffen, abseits von Großstädte­n. Wenn man an die Ränder von Europa geht, war für mich klar, dass man Europa auch anders zeigt. Man kennt diese Art von Bildern sehr gut aus amerikanis­chen Filmen, aber es gibt kaum europäisch­e Roadmovies, obwohl du hier fast von der Wüste bis in den Urwald fahren kannst, über die Berge und durch Steppen. Innerhalb Europas mit dem Auto unterwegs sein ist ganz etwas Besonderes. Für mich war das eine Offenbarun­g. Ich bin immer sehr viel gereist, aber ich bin draufgekom­men, dass ich Europa viel zu wenig kenne. Film:

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BILD: SN/FILMLADEN Wie liebt Europas Jugend? Szene aus „Europe, She Loves“.

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