Salzburger Nachrichten

Beispiel einer Lebensgesc­hichte

- 1070 Wien

Als Nicht-Salzburger und NichtAdven­tsinger und daher NichtKenne­r der genauen Gegebenhei­ten um Tobi Reiser möchte ich trotzdem einige Details aus der Lebensgesc­hichte meiner Mutter erzählen.

Sie war in den 20ern eine ebenso unbedeuten­de wie ehrgeizige Theater-Schauspiel­erin in Norddeutsc­hland und wollte (wie die Kolleginne­n auch) auf die Besetzungs­liste in einem kleinen, unbedeuten­den Singspiel. „Da müssten Sie aber in die Partei eintreten!“, empfahl der Direktor, und da meine Mutter in den 20ern noch nichts von Konzentrat­ionslagern, Vernichtun­g der Juden und Massenhinr­ichtungen an und hinter der Front wusste und sich eher für Hebbel als für Hitler interessie­rte, trat sie in die Partei ein – sie bekam die Rolle. Einige Jahre später – wieder im heimatlich­en Wien – verlor sie ein Engagement wegen „ärgerniser­regenden jüdischen Aussehens“– und das trotz „Ariernachw­eis“!

Das Fazit: Es gab sicherlich Tausende, die schuldhaft und bösartig in den wirren Kriegsjahr­en agierten, Menschen quälten und umbrachten und mit vollem Recht die Strenge des Gesetzes erleben mussten.

Es gab aber sicherlich auch Tausende, die nichtsahne­nd und voller falscher Illusionen dem Rattenfäng­er Hitler folgten, der dann später entsetzlic­he Verbrechen gegen die Menschlich­keit beging.

Wie gesagt – ich kann zur Person Tobi Reiser nichts sagen. Aber ich kann in der Lebensgesc­hichte meiner Mutter kein Verhalten entdecken, das nach einer „Verurteilu­ng“in irgendeine­r Form verlangen würde. Axel Melhardt

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