Das Gerücht als politisches Kampfmittel
Wie bösartige Geschichten die Glaubwürdigkeit von Menschen schwächen sollen. Und was man dagegen tun kann.
Das Gerücht vom Herrschertod war im Mittelalter besonders beliebt. Die Autoren setzten es in Umlauf, um entweder Revolten anzuzetteln oder deren Entstehen im Nachhinein zu begründen. Tauchte der Totgeglaubte dann plötzlich auf, wurde er entweder tatsächlich gemeuchelt, oder er konnte sich seiner Widersacher entledigen.
Über Kaiser Nero berichtet der römische Historiker Tacitus, dieser sei nicht durch Waffengewalt, sondern durch Gerüchte gestürzt worden. Dem Herrscher wurde in der gnadenlosen Volksprosa die Ermordung seiner eigenen Mutter ebenso nachgesagt wie die Brandschatzung Roms. Oder die Geschichte, er habe im Trinkwasserreservoir der Stadt ein Bad genommen, was damals als Sakrileg galt. Erst diese – von Historikern mehrfach widerlegten – Lügenmärchen brachten das Volk so stark gegen den Cäsar auf, dass sich dieser schließlich selbst umbrachte.
Das Gerücht ist so alt wie die Menschheit. Es wird seit jeher auch als politisches Kampfmittel eingesetzt. Es hält sich hartnäckiger als die Wahrheit. Keine andere kommunikative Waffe ist so effektiv. In unserer Zeit hat es durch die neuen Medien eine andere, größere Dimension erreicht. Schauergeschichten und Verschwörungstheorien erreichen über das Netz in Sekundenschnelle das andere Ende der Welt.
In abgeschlossenen Echoräumen wie Facebook delektiert sich die Gemeinde der Internetgläubigen am geschmacklosen Gemunkel. Man fühlt sich gut im eingeschworenen Kreis der besonders gut Informierten. Die Tatsache, dass sich Qualitätsmedien nicht am Hauen und Stechen beteiligen, wird schlecht ausgelegt. „Die verschweigen etwas.“
Abstruse Meinungen zu verbreiten, ohne sich offenbaren zu müssen, das entspricht dem Zeitgeist. Gerüchte werden von Neidern erfunden, von Dummen verbreitet und von Idioten geglaubt. Ihre zerstörerische Kraft ist grenzenlos und zeitlos geworden. Das Netz vergisst nichts. Wie Zombies hält sich Gerede in den virtuellen Archiven. Wer schon einmal versucht hat, etwas aus dem Internet entfernen zu lassen, weiß, wovon die Rede ist.
Derzeit sind beide Präsidentschaftskandidaten von Gerüchten betroffen, die hier ganz bewusst nicht wiederholt werden. Vor Kurzem noch war es der niederösterreichische Landeshauptmann, einem früheren Salzburger Regierungschef haben Gerüchte eine Wahlniederlage beschert. Die Behauptungen waren und sind allesamt unbewiesen. Aber das macht nichts. Geglaubt wird, was gefällt, und es gefällt, was besonders anrüchig ist. Es kommt nicht darauf an, ob es stimmt, sondern darauf, ob es stimmen könnte.
Deshalb ist es für die Betroffenen auch so schwierig, sich zu wehren. Denn wer sagen will, dass eine Behauptung über ihn unwahr ist, muss die unwahre Behauptung zuerst einmal wiederholen. Mit dem Dementi wird sie noch mehr Menschen bekannt, als sie es ohnehin schon war. Das Opfer erledigt in gewisser Weise die Arbeit des Täters.
Was kann unsere Gesellschaft gegen diese Entwicklung tun? Wohlgemerkt, es geht nicht um harmlosen Tratsch. Der ist kommunikativer Kitt. Und aushaltbar. Es geht um infames Mobbing, das Menschen – egal ob an der Spitze des Staates, in der Führung von Unternehmen oder ganz einfach mitten unter uns – physisch und psychisch vernichten kann.
Soziale Plattformen im Internet müssen endlich so behandelt werden wie die klassischen Medien. Die sind klaren Gesetzen unterworfen. Zeitungen, die – egal ob gedruckt oder digital – unwahre Dinge verbreiten, müssen sich dafür vor Gericht verantworten. Facebook muss hingegen für seine Heckenschützen nicht den Kopf hinhalten. Da klafft eine gewaltige gesetzliche Lücke. Müssten die sozialen Plattformen für jedes Hass- und Lügenposting irregeleiteter Nutzer die Verantwortung übernehmen, würde sich der Spaß rasch aufhören.
An der üblen Nachrede von Mund zu Mund würde das nicht viel ändern, diese ist aber bei Weitem nicht so effizient wie die virtuelle Verunglimpfung.
Am besten ist es, wir halten uns an jene, die darauf spezialisiert sind, Meldungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Das sind die klassischen Medien. Ihnen passieren auch Fehler. Aber sie müssen dafür zumindest geradestehen.
Soziale Medien müssen sich an Gesetze halten