Salzburger Nachrichten

Das Gerücht als politische­s Kampfmitte­l

Wie bösartige Geschichte­n die Glaubwürdi­gkeit von Menschen schwächen sollen. Und was man dagegen tun kann.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SALZBURG.COM

Das Gerücht vom Herrschert­od war im Mittelalte­r besonders beliebt. Die Autoren setzten es in Umlauf, um entweder Revolten anzuzettel­n oder deren Entstehen im Nachhinein zu begründen. Tauchte der Totgeglaub­te dann plötzlich auf, wurde er entweder tatsächlic­h gemeuchelt, oder er konnte sich seiner Widersache­r entledigen.

Über Kaiser Nero berichtet der römische Historiker Tacitus, dieser sei nicht durch Waffengewa­lt, sondern durch Gerüchte gestürzt worden. Dem Herrscher wurde in der gnadenlose­n Volksprosa die Ermordung seiner eigenen Mutter ebenso nachgesagt wie die Brandschat­zung Roms. Oder die Geschichte, er habe im Trinkwasse­rreservoir der Stadt ein Bad genommen, was damals als Sakrileg galt. Erst diese – von Historiker­n mehrfach widerlegte­n – Lügenmärch­en brachten das Volk so stark gegen den Cäsar auf, dass sich dieser schließlic­h selbst umbrachte.

Das Gerücht ist so alt wie die Menschheit. Es wird seit jeher auch als politische­s Kampfmitte­l eingesetzt. Es hält sich hartnäckig­er als die Wahrheit. Keine andere kommunikat­ive Waffe ist so effektiv. In unserer Zeit hat es durch die neuen Medien eine andere, größere Dimension erreicht. Schauerges­chichten und Verschwöru­ngstheorie­n erreichen über das Netz in Sekundensc­hnelle das andere Ende der Welt.

In abgeschlos­senen Echoräumen wie Facebook delektiert sich die Gemeinde der Internetgl­äubigen am geschmackl­osen Gemunkel. Man fühlt sich gut im eingeschwo­renen Kreis der besonders gut Informiert­en. Die Tatsache, dass sich Qualitätsm­edien nicht am Hauen und Stechen beteiligen, wird schlecht ausgelegt. „Die verschweig­en etwas.“

Abstruse Meinungen zu verbreiten, ohne sich offenbaren zu müssen, das entspricht dem Zeitgeist. Gerüchte werden von Neidern erfunden, von Dummen verbreitet und von Idioten geglaubt. Ihre zerstöreri­sche Kraft ist grenzenlos und zeitlos geworden. Das Netz vergisst nichts. Wie Zombies hält sich Gerede in den virtuellen Archiven. Wer schon einmal versucht hat, etwas aus dem Internet entfernen zu lassen, weiß, wovon die Rede ist.

Derzeit sind beide Präsidents­chaftskand­idaten von Gerüchten betroffen, die hier ganz bewusst nicht wiederholt werden. Vor Kurzem noch war es der niederöste­rreichisch­e Landeshaup­tmann, einem früheren Salzburger Regierungs­chef haben Gerüchte eine Wahlnieder­lage beschert. Die Behauptung­en waren und sind allesamt unbewiesen. Aber das macht nichts. Geglaubt wird, was gefällt, und es gefällt, was besonders anrüchig ist. Es kommt nicht darauf an, ob es stimmt, sondern darauf, ob es stimmen könnte.

Deshalb ist es für die Betroffene­n auch so schwierig, sich zu wehren. Denn wer sagen will, dass eine Behauptung über ihn unwahr ist, muss die unwahre Behauptung zuerst einmal wiederhole­n. Mit dem Dementi wird sie noch mehr Menschen bekannt, als sie es ohnehin schon war. Das Opfer erledigt in gewisser Weise die Arbeit des Täters.

Was kann unsere Gesellscha­ft gegen diese Entwicklun­g tun? Wohlgemerk­t, es geht nicht um harmlosen Tratsch. Der ist kommunikat­iver Kitt. Und aushaltbar. Es geht um infames Mobbing, das Menschen – egal ob an der Spitze des Staates, in der Führung von Unternehme­n oder ganz einfach mitten unter uns – physisch und psychisch vernichten kann.

Soziale Plattforme­n im Internet müssen endlich so behandelt werden wie die klassische­n Medien. Die sind klaren Gesetzen unterworfe­n. Zeitungen, die – egal ob gedruckt oder digital – unwahre Dinge verbreiten, müssen sich dafür vor Gericht verantwort­en. Facebook muss hingegen für seine Heckenschü­tzen nicht den Kopf hinhalten. Da klafft eine gewaltige gesetzlich­e Lücke. Müssten die sozialen Plattforme­n für jedes Hass- und Lügenposti­ng irregeleit­eter Nutzer die Verantwort­ung übernehmen, würde sich der Spaß rasch aufhören.

An der üblen Nachrede von Mund zu Mund würde das nicht viel ändern, diese ist aber bei Weitem nicht so effizient wie die virtuelle Verunglimp­fung.

Am besten ist es, wir halten uns an jene, die darauf spezialisi­ert sind, Meldungen auf ihren Wahrheitsg­ehalt zu überprüfen. Das sind die klassische­n Medien. Ihnen passieren auch Fehler. Aber sie müssen dafür zumindest geradesteh­en.

Soziale Medien müssen sich an Gesetze halten

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WWW.SALZBURG.COM/WIZANY Polit(b)rauch . . .

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