Eltern sollen wenig zahlen
An die Ganztagsschule knüpft die Politik große Erwartungen, etwa auf mehr Chancengleichheit. Bisher haben sie sich nicht erfüllt. Überhaupt sind die meisten Fragen noch völlig offen.
WIEN. 750 Millionen Euro und ein Ziel: Bis 2025 sollen die ganztägigen Schulangebote für Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter fast verdoppelt werden. Um 120.000 Schülerinnen und Schüler mehr als derzeit sollen dann den ganzen Tag in der Schule verbringen können, verkündete die Regierung am Dienstag. Wie realistisch ist das? Wie hoch ist der Bedarf? Wie hoch sind die Kosten einer ganztägigen Betreuung in der Schule? Zumal die Nachmittage unter „pädagogischer Anleitung“gestaltet werden sollen, also mehr Lehrer gefragt sind.
Wer Antworten auf Fragen wie diese sucht, wird kaum fündig. Das liegt vor allem daran, dass die Daten zu ganztägigen Schulformen außerordentlich dürftig sind. Bei der Statistik Austria heißt es, man erhebe die Zahl der Ganztagsplätze nicht. Aus der jüngsten Schülerstatistik geht aber hervor, dass 2014/15 rund 663.300 Kinder Pflichtschulen (Volksschulen, Neue Mittelschulen, Hauptschulen, Sonderschulen) und die AHS-Unterstufe besuchten. Im Unterrichtsministerium geht man davon aus, dass es aktuell für rund 150.000 Schüler im Pflichtschulalter ganztägige Angebote gab – das würde eine „Ganztagsquote“von um die 22 Prozent bedeuten, die bis 2015 auf 40 Prozent steigen soll.
Zugleich geht aus dem jüngsten (diesen Mai vorgestellten) Nationalen Bildungsbericht hervor, dass nur 13 Prozent der Pflicht- und AHS-Unterstufenschüler Ganztagsangebote nutzten (die Hälfte davon nicht täglich). Am höchsten sei der Anteil ganztags betreuter Kinder in den Sonderschulen, am niedrigsten in den Hauptschulen, die ein Auslaufmodell sind. Insgesamt zeige sich: Je höher der „Sozialstatus“der Eltern, umso eher geben sie ihre Kinder in ganztägig geführte Schulen. Zitat: „Die politische Erwartung, durch Ganztagsschulen Bildungschancen vom sozialen Hintergrund zu entkoppeln, geht . . . derzeit nicht auf.“Verschränkte Ganztagsschulen, in denen sich Unterricht, Freizeit und Lernzeit den ganzen Tag über abwechseln, gibt es laut dem Bericht kaum, möglich sei das nur an etwa zwei Prozent aller Pflichtschulen. Die Daten beziehen sich allerdings auf 2012/13.
Die im Verhältnis zur Schülerzahl mit Abstand meisten Ganztagsangebote gibt es in Wien, die wenigsten in Tirol und Vorarlberg.
Nicht zu finden ist eine generelle Bedarfserhebung, die alle Bundesländer mit einbezieht. Fakt ist aber, dass die Länder bisher die vom Bund kommenden Mittel für den Ausbau der Ganztagsschulen nie zur Gänze abholten. 2014 sollte es sogar zu einer Verdoppelung auf 160 Mill. Euro kommen, der Betrag wurde dann wegen der Geldnot des Ministeriums auf 110 Mill. Euro reduziert; wie viel davon ausbezahlt wurde, ist (noch) nicht bekannt.
Im Unterrichtsministerium heißt es, nun seien die Schulen aufgefordert, ihren Bedarf an Ganztagsplätzen und ihre Konzepte dafür zu melden. Und was dürfte die Nachmittagsbetreuung in der Schule pro Kind und Jahr kosten? Das könne sehr unterschiedlich sein, je nachdem, ob gebaut werden müsse oder nicht, und welche Angebote man wo machen wolle, etwa zusätzlichen Musik- oder Sportunterricht. Fix sei nur, dass die Eltern möglichst wenig zur Kassa gebeten werden sollen und sozial Schwache gar nicht. Starten wolle man mit dem Ausbau im Schuljahr 2017/18.
Gemeindebundpräsident Helmut Mödlhammer – Erhalter der Pflichtschulen sind die Gemeinden, die Lehrer werden von den Ländern eingestellt, die Personalkosten trägt letztlich der Bund – weist auf einen Umstand hin, der den Ausbauplänen nicht förderlich sei: Ganztagsangebote könnten nur dort entstehen, wo sich alle im Schulforum Vereinten – Schulleitung, Lehrer, Eltern – einig seien. Es wäre klug, vom Einstimmigkeitsprinzip abzugehen und die Mehrheit entscheiden zu lassen. Mödlhammer trifft am Montag Unterrichtsministerin Sonja Hammerschmid zu einem ersten Gespräch. Sein Ziel: „Pro neuem Platz und pro Kind einen Betrag auszumachen – sonst haben wir in einem Jahr noch nichts ausgemacht.“
Schulen sollen Bedarf und Konzepte melden