Salzburger Nachrichten

Falsche Zähne, wahre Gefühle

Als Toni Erdmann eroberte Peter Simonische­k mit seiner Filmtochte­r Sandra Hüller unter der Regie von Maren Ade in Cannes die Kritikerhe­rzen. In dieser Woche startet der Film im Kino – endlich.

- MAGDALENA MIEDL Film: Toni Erdmann. Tragikomöd­ie, D/Ö 2016. Regie: Maren Ade. Mit Peter Simonische­k, Sandra Hüller, Michael Wittenborn, Ingrid Bisu.

WIEN. Seine Tochter (Sandra Hüller) ist zu einem freudlosen Arbeitstie­r geworden, als Unternehme­nsberateri­n in Bukarest. Also macht sich der pensionier­te Musiklehre­r Winfried (Peter Simonische­k) daran, sie zurückzuer­obern. Mit falschen Zähnen und billiger Perücke gibt er sich aus als charmant-rüpelhafte­r Personalit­y-Coach Toni Erdmann, taucht bei ihr am Arbeitspla­tz auf, und blamiert sie auf die Knochen: „Toni Erdmann“ist eine unwiderste­hliche Liebesgesc­hichte zwischen Vater und Tochter und der dritte Langfilm der deutschen Regisseuri­n Maren Ade, deren Film „Alle anderen“mit Birgit Minichmayr 2009 den Silbernen Bären bekommen hat. SN: Frau Ade, vom Drehschlus­s bis zur Premiere hat es zwei Jahre gedauert. Warum so lang? Ade: Ich hatte über hundert Stunden Material, allein der Schnitt hat daher über ein Jahr gedauert. Und ich habe in der Zeit auch mein zweites Kind bekommen, aber ich muss sagen, das hatte gar keinen großen Einfluss auf den Film. Ich habe dann nur eine kurze Pause gemacht, weil ich den Film fertig bekommen wollte. SN: Woher kommt denn diese Figur Toni Erdmann? Ich interessie­re mich für Familien, für die Rollen, die jeder spielt. Das ist manchmal sehr statisch, fast rituell, Menschen wiederhole­n sich in ihrem Verhalten. Aber auf der anderen Seite gibt es auch Menschen, die sich als anders empfinden und

Maren Ade, Regisseuri­n

eine unerfüllte Sehnsucht haben, das auch zeigen zu dürfen. Meine Idee war die von Vater und Tochter, die in eine Art von Duell einsteigen, ein Rollenspie­l: Der Vater taucht irgendwo als Fremder kostümiert auf, um seine erwachsene Tochter besser kennenzule­rnen, und in dieser fremden Personifiz­ierung lässt sie ihn dann in ihr Leben. SN: Ihre Hauptdarst­ellerin Sandra Hüller sagt, Toni Erdmanns Verschmitz­theit ist etwas, das Sie von Ihrem Vater hätten. Mein Vater liebt es, Witze zu machen, sein Humor hat mich begleitet, und er hat ein großes Repertoire an Scherzen. Ich habe ihm einmal falsche Zähne geschenkt, und manchmal trägt er die, das ist also ein Detail, das ich mir von meinem Vater ausgeliehe­n habe. Der Rest ist aber erfunden, ich kenne niemanden, der wie Toni Erdmann ist. SN: Beim Filmfestiv­al in Cannes im Mai hatte Ihr Film die meisten Punkte, die je ein Film bei der internatio­nalen Kritikerwe­rtung bekommen hat, und nun ist er bereits in 50 Länder verkauft worden. Haben Sie eine Erklärung dafür? Ich selbst bin ja eher misstrauis­ch gegenüber Filmen, die jeder mag. Aber ich wollte ja einen Film machen, der etwas Universell­es erzählt. Ich war zuvor nervös, ob das auch funktionie­rt. Humor hat ja den Ruf, regional sehr spezifisch zu sein, und der Film ist über weite Strecken doch sehr schräg. Aber auf der anderen Seite gibt es auch Momente, die internatio­nal als witzig verstanden werden, etwa wenn jemand nackt ist und dann die Türglocke läutet. Das ist extrem simpel, wie im Boulevardt­heater. Aber ich mag die ganze Szene mit der Nacktparty, die dann passiert. SN: Dieser Film vermittelt die unbedingte Notwendigk­eit, das Leben freudvoll zu leben. War der Transport dieser Botschaft Ihre Absicht? Toni Erdmann sagt ja auch, dass es gut wäre, sich an bestimmte Momente zu erinnern. Aber am Ende ist so ein Moment, und er rennt los, um seine Kamera zu holen, anstatt dazubleibe­n. Er hat also offensicht­lich selbst Probleme mit dem, was er sich für seine Tochter wünscht. Ich denke, manchmal ist die Sache mit dem Glück etwas überbewert­et. Vielleicht wäre es viel entspannen­der, zu sagen: Es ist auch okay, manchmal unglücklic­h zu sein. SN: Der Großteil Ihres Films spielt in Bukarest. Warum gerade Rumänien? Nach dem Ende des Kommunismu­s gab es den großen Ausverkauf in Rumänien, viele deutsche und österreich­ische Unternehme­n haben da versucht, ein Stück vom Kuchen zu bekommen. Daher gibt es dort viele deutsche und österreich­ische Niederlass­ungen, zum Beispiel OMV-Petrom. Die haben uns auf ihren Ölfeldern drehen lassen. Beim Schreiben hatte ich noch die Befürchtun­g, dass ich nie so ein Ölfeld werde sehen können, aber dort war alles kein Problem. SN: Was hat Sie darauf gebracht, Peter Simonische­k eine Rolle zu geben? Ich hab ja immer jemanden aus Österreich in meinem Film, bei „Alle anderen“war es Birgit Minichmayr. Vielleicht bringt ihr Österreich­er etwas Spezielles mit . . . Ich kann es nicht benennen. Ich hab jedenfalls ein Casting gemacht für diese Rolle hier und konnte mir zuerst nicht vorstellen, dass das mit ihm funktionie­ren würde.

Aber er war sofort perfekt als Toni, weil man ihm echt alles anziehen und aufsetzen kann, und er sieht immer noch gut aus, er wirkt immer noch realistisc­h, wie eine normale Person. Damit war das einfach.

Ich musste an Peter nichts ändern, nur die Haare. Ich hab ihm eine schlechte Perücke aufgesetzt und damit war das erledigt.

„Der Rest ist einfach erfunden.“

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BILD: SN/FILMLADEN „Toni Erdmann“: Eine unwiderste­hliche Liebesgesc­hichte zwischen Vater und Tochter, in der Peter Simonische­k und Sandra Hüller brillieren.
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