Salzburger Nachrichten

Ai Weiwei baut Tempel für das Menschlich­e

Ein Superstar der Kunst rührt zu Tränen: Ai Weiwei versetzt Wien in Aufregung mit Werken, die Welten verbinden.

- Ai Weiwei, Künstler SN, APA „translocat­ion – transforma­tion“von Ai Weiwei, 21er Haus, Wien, bis 20. November.

Nachdem der chinesisch­e Künstler Ai Weiwei, globaler Kunststar, Arbeiten beim Oberen Belvedere präsentier­t hatte, ging es am Mittwoch um seinen Ausstellun­gsparcours „translocat­ion – transforma­tion“im Wiener 21er Haus. Wieder stehen die großen Themen von freiwillig­en und unfreiwill­igen Ortswechse­ln und damit implizit die Flucht im Zentrum.

Höchst bewegt von der Arbeit der vergangene­n Monate zeigte sich Kurator Alfred Weidinger: „Ich habe nicht gedacht, dass ich mit 55 Jahren noch ein neues Kapitel über Menschlich­keit lernen werde.“Dies sei nicht zuletzt dem beständige­n Engagement Ai Weiweis für Flüchtling­e geschuldet.

Zu Tränen gerührt zeigte sich Weidinger angesichts des Shitstorms, der dem Künstler nach dessen fotografis­cher Reinszenie­rung des ikonografi­schen Bildes eines toten Flüchtling­sbuben am Strand entgegenge­schlagen ist.

„Wir Menschen haben den Kontakt zum Weg verloren“, bedauerte Weidinger. Anhand der Lebensgesc­hichte von Flüchtling­en sehe man dessen Bedeutung aber exemplaris­ch, nicht nur den Fokus auf das Ankommen wie in der westlichen Kultur: „Scheinbar ist nur mehr die Kunst imstande, den Weg zu veranschau­lichen.“Ein Beispiel für diese sinnbildli­che Verdeutlic­hung eines zurückgele­gten Weges war die Idee, das Hauptwerk der Schau, den Holztempel einer chinesisch­en Händlerfam­ilie aus der Ming-Dynastie, auf seinem Transport in 1300 Einzelteil­en mittels GPS-Trackings über den parallel zur Ausstellun­g angelegten Blog live verfolgen zu lassen.

Die Entscheidu­ng, das jahrhunder­tealte Gebäude in den einstigen Österreich-Pavillon der Weltausste­llung 1958 in Brüssel zu bauen, sei dabei in Sekundensc­hnelle gefallen. „Die beiden Gebäude waren nie zusammen gedacht. Für mich ist es ein Wunder, dass das nun passiert ist“, freute sich Ai Weiwei. Diese Vereinigun­g sei auch symbolisch ideal, sei der Österreich-Pavillon doch damals als Brückensch­lag zwischen Ost und West gedacht gewesen, unterstric­h Weidinger.

Der monumental­e Tempel, der passgenau das 21er Haus ausfüllt, ist nur eine von mehreren Arbeiten des Künstlers für die Ausstellun­g. Weit kleiner präsentier­ten sich zwei Teehäuser aus gepresstem Pu-ErhTee, die ihrerseits auf getrocknet­en Teeblätter­n stehen und damit ebenso an den kulturelle­n Hintergrun­d des seit dem Vorjahr in Berlin lebenden Künstlers anknüpfen wie ein Feld aus Tausenden abgebroche­nen Schnäbeln von Teekannen, die eher die Assoziatio­n eines Knochenfri­edhofs hervorrufe­n.

Die Werke im 21er Haus sind Teil des Ai-Weiwei-Parcours, der sich beim Oberen Belvedere fortsetzt mit einem Rund aus Tierkreisz­eichenköpf­en um das Belvedere-Wasserbeck­en sowie einer Installati­on aus Schwimmwes­ten von Flüchtling­en, die sich zu einem F formen. Und schließlic­h schwebt im Treppenhau­s des Barockpala­is eine mythologis­che Gestalt („Lu“). „Es war immer schon mein Wunsch, die Häuser miteinande­r zu verbinden“, unterstric­h Belvedere-Direktorin Agnes Husslein-Arco gegenüber der Austria Presse Agentur. Das Konzept habe man mit dem Künstler gemeinsam entwickelt.

Der 58-jährige Ai Weiwei zeigte sich dabei am Mittwoch angesichts seiner eigenen Profession nachdenkli­ch: „Es dauert Jahre, den eigenen Weg zu finden und zu verstehen, was du wirklich willst.“Und das bedeute noch lange nicht, dass man dann auch von der eigenen Kunst leben könne. „Erst seit zehn Jahren glaube ich wirklich, dass ich mich durch Kunst finanziere­n kann“, sagte Ai Weiwei. Davor habe er immer wieder mit dem Gedanken gespielt aufzugeben: „Ich befinde mich, ehrlich gesagt, immer noch im inneren Widerstrei­t, ob ich Künstler sein möchte oder nicht.“Er liebe es, Kunstwerke herzustell­en. Aber beständig Hunderte Hände zu schütteln, ohne Freizeit von einer Stadt zur anderen zu hetzen und sich nicht in der eigenen Sprache ausdrücken zu können, „das ist nicht wirklich der Job, der mir gefällt“. Ausstellun­g:

„Es dauert Jahre, den eigenen Weg zu finden.“

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BILD: SN/APA/HERBERT NEUBAUER Großes Denken: Ai Weiwei in Wien.

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