Ai Weiwei baut Tempel für das Menschliche
Ein Superstar der Kunst rührt zu Tränen: Ai Weiwei versetzt Wien in Aufregung mit Werken, die Welten verbinden.
Nachdem der chinesische Künstler Ai Weiwei, globaler Kunststar, Arbeiten beim Oberen Belvedere präsentiert hatte, ging es am Mittwoch um seinen Ausstellungsparcours „translocation – transformation“im Wiener 21er Haus. Wieder stehen die großen Themen von freiwilligen und unfreiwilligen Ortswechseln und damit implizit die Flucht im Zentrum.
Höchst bewegt von der Arbeit der vergangenen Monate zeigte sich Kurator Alfred Weidinger: „Ich habe nicht gedacht, dass ich mit 55 Jahren noch ein neues Kapitel über Menschlichkeit lernen werde.“Dies sei nicht zuletzt dem beständigen Engagement Ai Weiweis für Flüchtlinge geschuldet.
Zu Tränen gerührt zeigte sich Weidinger angesichts des Shitstorms, der dem Künstler nach dessen fotografischer Reinszenierung des ikonografischen Bildes eines toten Flüchtlingsbuben am Strand entgegengeschlagen ist.
„Wir Menschen haben den Kontakt zum Weg verloren“, bedauerte Weidinger. Anhand der Lebensgeschichte von Flüchtlingen sehe man dessen Bedeutung aber exemplarisch, nicht nur den Fokus auf das Ankommen wie in der westlichen Kultur: „Scheinbar ist nur mehr die Kunst imstande, den Weg zu veranschaulichen.“Ein Beispiel für diese sinnbildliche Verdeutlichung eines zurückgelegten Weges war die Idee, das Hauptwerk der Schau, den Holztempel einer chinesischen Händlerfamilie aus der Ming-Dynastie, auf seinem Transport in 1300 Einzelteilen mittels GPS-Trackings über den parallel zur Ausstellung angelegten Blog live verfolgen zu lassen.
Die Entscheidung, das jahrhundertealte Gebäude in den einstigen Österreich-Pavillon der Weltausstellung 1958 in Brüssel zu bauen, sei dabei in Sekundenschnelle gefallen. „Die beiden Gebäude waren nie zusammen gedacht. Für mich ist es ein Wunder, dass das nun passiert ist“, freute sich Ai Weiwei. Diese Vereinigung sei auch symbolisch ideal, sei der Österreich-Pavillon doch damals als Brückenschlag zwischen Ost und West gedacht gewesen, unterstrich Weidinger.
Der monumentale Tempel, der passgenau das 21er Haus ausfüllt, ist nur eine von mehreren Arbeiten des Künstlers für die Ausstellung. Weit kleiner präsentierten sich zwei Teehäuser aus gepresstem Pu-ErhTee, die ihrerseits auf getrockneten Teeblättern stehen und damit ebenso an den kulturellen Hintergrund des seit dem Vorjahr in Berlin lebenden Künstlers anknüpfen wie ein Feld aus Tausenden abgebrochenen Schnäbeln von Teekannen, die eher die Assoziation eines Knochenfriedhofs hervorrufen.
Die Werke im 21er Haus sind Teil des Ai-Weiwei-Parcours, der sich beim Oberen Belvedere fortsetzt mit einem Rund aus Tierkreiszeichenköpfen um das Belvedere-Wasserbecken sowie einer Installation aus Schwimmwesten von Flüchtlingen, die sich zu einem F formen. Und schließlich schwebt im Treppenhaus des Barockpalais eine mythologische Gestalt („Lu“). „Es war immer schon mein Wunsch, die Häuser miteinander zu verbinden“, unterstrich Belvedere-Direktorin Agnes Husslein-Arco gegenüber der Austria Presse Agentur. Das Konzept habe man mit dem Künstler gemeinsam entwickelt.
Der 58-jährige Ai Weiwei zeigte sich dabei am Mittwoch angesichts seiner eigenen Profession nachdenklich: „Es dauert Jahre, den eigenen Weg zu finden und zu verstehen, was du wirklich willst.“Und das bedeute noch lange nicht, dass man dann auch von der eigenen Kunst leben könne. „Erst seit zehn Jahren glaube ich wirklich, dass ich mich durch Kunst finanzieren kann“, sagte Ai Weiwei. Davor habe er immer wieder mit dem Gedanken gespielt aufzugeben: „Ich befinde mich, ehrlich gesagt, immer noch im inneren Widerstreit, ob ich Künstler sein möchte oder nicht.“Er liebe es, Kunstwerke herzustellen. Aber beständig Hunderte Hände zu schütteln, ohne Freizeit von einer Stadt zur anderen zu hetzen und sich nicht in der eigenen Sprache ausdrücken zu können, „das ist nicht wirklich der Job, der mir gefällt“. Ausstellung:
„Es dauert Jahre, den eigenen Weg zu finden.“