„Stellen wir die Bühne in den See“
Zum 70-Jahr-Jubiläum beleben die Bregenzer Festspiele ihren Gründungsmythos im Gondelhafen neu.
Zwei dekorierte Kieskähne im Bregenzer Gondelhafen als schwimmende Bühne für Orchester, Ballett und die Mozartoper „Bastien und Bastienne“, Bierbänke auf der Seepromenade für die Zuschauer – so zeigt ein kürzlich entdecktes Foto des Jahres 1946 die Urszene der mittlerweile größten Freilichtbühne der Welt. Es erweist sich als hilfreiches Dokument für das Revival, das Intendantin Elisabeth Sobotka anlässlich des 70-jährigen Bestehens der Bregenzer Festspiele vorhat: „Wir werden ,Bastien und Bastienne‘ wieder auf einem Schotterkahn im Gondelhafen aufführen, mit Mitgliedern unseres Opernstudios, ohne Verstärker, um zu erfahren, wie gut das Wasser trägt, und zu erahnen, wie es damals war. Ein echtes Experiment, denn wir wissen nicht, wie’s ausgeht“, sagt Sobotka. Jedenfalls sei ihr so ein Festakt lieber als Festreden.
„Die Bühnendekoration lehnen wir an die damalige an. Wir haben die Kostüm- und Bühnenbildnerin der ersten Seebühne, Maria Wanda Milliore, kontaktiert. Bierbänke stellen wir auch auf. Es ist eine augenzwinkernde Reverenz an die Menschen, die das Unmögliche für möglich gehalten haben.“
Damals hatten die französischen Alliierten in Bregenz eine provisorische Stadtregierung eingesetzt, die Grenzen nach Deutschland und der Schweiz waren geschlossen, die Brotrationen mager, und doch war die „Kalorien“-Situation durch die nahe Schweiz besser als im viergeteilten Wien. Grund genug für Staatsoperntänzer und Regisseur Kurt Kaiser, nach Bregenz zu ziehen. Andere Theaterleute wie Traute Foresti, Walther Reyer oder Maria Wanda Milliore folgten gerne.
Im Dezember 1945 ruft Kaiser mit nur 1000 Mark Förderung die Vorarlberger Landesbühne ins Leben und leitet sie unter schwierigen Umständen wie Zensur und Veranstaltungsboykott. Gespielt wird im Tonkino Forstersaal und in Gasthäusern und Pfarrsälen der Gemeinden. Gleichzeitig träumt Kaiser von Festspielen mit „Seerosen, Wasserballett, Fontänen und Unterwasserbeleuchtung“und der Landesbühne als Basis.
Mit Hilfe des Kultur- und Bundesrats Eugen Leissing und des Verkehrsvereinsleiters Adolf Salzmann werden Stadtverwaltung und Franzosen vom Fremdenverkehrsaspekt einer Festspielwoche überzeugt. Als am 18. Juni 1946 eine „Festwoche Bregenz“mit Sport- und Kulturveranstaltungen von 4. bis 11. August desselben Jahres beschlossen wird, überschlagen sich die Pläne: „Jedermann“vor dem Treppenaufgang der Herz-Jesu-Kirche? Schillers „Räuber“im Steinbruch Thalbach? Ballett im Stadion? Theater in der Sporthalle, die noch im Bau ist? Die Debatte um eine Freilicht-Spielstätte als Pendant zum Salzburger Domplatz endet mit dem Ausruf des Festwochen-Ausschussmitglieds und Bäckers Alfred Glatthaar: „Stellen wir die Bühne doch in den See.“
Prompt einigt man sich auf eine Pilotenbühne im Gondelhafen und auf Mozarts „Bastien und Bastienne“, kombiniert mit einer getanzten „Kleinen Nachtmusik“mit dem Vorarlberger Rundfunkorchester, Staatsopernsängern und -tänzern (Toni Birkmayer und Lisl Temple) und dem Ballett Grete Wiesenthal, zudem kommen die Wiener Symphoniker mit zwei Konzerten in die Sporthalle, und ebendort gibt es eine Inszenierung der Landesbühne, Max Mells „Sieben gegen Theben“.
Als die Stadt Bregenz im letzten Moment die Pilotierung im Hafen verbietet, wird eine legendäre Idee geboren: ein Schotterkahn für das Orchester, ein zweiter als Bühne. Bald liegt die ganze Stadt im Fieber: Zimmer werden für Künstler und Gäste frei gemacht, Straßen vom Schutt gesäubert, Schaufenster geschmückt, Scheinwerfer nachgebaut, die Grenzen mit französischer Hilfe für Materialbeschaffung und später für Schweizer Gäste (22.398 lösten einen Grenzschein) geöffnet, die ihre Verpflegung selbst mitnehmen müssen. Das Engagement der Wiener Symphoniker, von Burgtheater, Staatsopernballett und Volksoper, die an der „Festspielwoche“(1948), dann „Bregenzer Festspielen“(1949) mitwirkten, ist auch auf die Verpflegung durch die Schweizer Caritas zurückzuführen, erinnert sich Maria Wanda Milliore, die mit 20 und einem Rucksack als Gepäck nach Bregenz kam: „Wir haben uns sehr gerettet gefühlt dort im äußersten Westen. Auch schenkten uns die Schweizer Festspielgäste Schokolade.“
1947 wird die Seebühne für Mozarts „Entführung aus dem Serail“mit den Wiener Symphonikern auf Piloten gebaut und ins Strandbad verlegt, 1950 übersiedelt sie ins heutige Festspielgelände. Aus den 23.493 Besuchern der ersten Festwoche wurden 228.000 im vergangenen Sommer, aus Kieskähnen wurde eine 72 Meter breite, 27 Meter hohe und 55 Meter tiefe Bühne für „Turandot“.
In nächster Zukunft knüpft Intendantin Sobotka an die Anfänge an: „Die Gestaltung der ,Carmen‘ am See 2017/2018 übernimmt Es Devlin – eine tolle Kostüm- und Bühnenbildnerin, erfahren mit Mega-Events und unter anderem verantwortlich für die Fashionshows von Louis Vuitton. Und endlich eine Frau – 70 Jahre nach Maria Wanda Milliore. Meine Vision ist auch, das Orchester wieder sichtbar zu machen – vielleicht auf einem Schiff.“ Oper: Ausstellung und Buch:
„Meine Vision ist, das Orchester wieder sichtbar zu machen.“