Krieg Wir befinden uns im
Nach dem Blutbad von Nizza bekräftigt Frankreichs Präsident François Hollande die Entschlossenheit seines Landes im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus.
Für François Hollande gab es keine Zweifel. Als der französische Präsident, der sofort vom Festival in Avignon nach Paris zurückkehrte, nach einem kurzen Gespräch mit Premier Manuel Valls am frühen Freitagmorgen zu einer kurzen Ansprache an die Franzosen vor die Fernsehkameras trat, stand für ihn fest, dass es sich bei der Bluttat auf der Promenade des Anglais in Nizza um ein Attentat des „islamistischen Terrorismus“handle. „Es ist klar, dass wir alles gegen dieses Übel tun müssen“, sagte der sichtlich erschütterte Präsident. Frankreich werde im Kampf gegen den Terror eine „absolute Wachsamkeit und eine lückenlose Entschlossenheit“beweisen.
Der Ausnahmezustand, der nach den Attentaten vom November 2015 verhängt worden war und der nächste Woche aufgehoben werden sollte, werde um weitere drei Monate verlängert, erklärte Hollande. Ein entsprechendes Gesetz werde die Regierung nächste Woche vorlegen. Zur Verstärkung der inneren Sicherheit werde die „Opération Sentinelle“, auf deren Grundlage Gendarmen und Soldaten mit ihren Waffen an öffentlichen Plätzen und Gebäuden patrouillieren, „auf hohem Niveau“weitergeführt. Zur Unterstützung der Soldaten und Gendarmen sollen zusätzlich 12.000 Reservisten mobilisiert werden. Die Militärschläge gegen Stellungen der Terrormiliz „Islamischer Staat“in Syrien und im Irak würden fortgesetzt und intensiviert, hieß es nach einer Sitzung des Verteidigungsrats. „Wir befinden uns im Krieg“, sagte Innenminister Bernard Cazeneuve.
War Nizza vernachlässigt worden? Hatte man bei all den Vorkehrungen, die nach den Attentaten vom Jänner und November 2015 in Paris getroffen worden waren, mehr an die Sicherheit der Hauptstadt gedacht als an die Städte in der Provinz? Diese Vermutung legt ein Brief nahe, den Christian Estrosi, Präsident der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur und stellvertretender Bürgermeister der 350.0000 Einwohner zählenden Stadt an der französischen Riviera, am Tag vor dem mörderischen Attentat an Staatspräsident François Hollande geschickt hat.
In diesem Schreiben richtete Estrosi, der als einer der bekanntesten Politiker der rechtsbürgerlichen Oppositionspartei „Die Republikaner“angehört, die „dringende Aufforderung“an den Präsidenten, seine Zeit mehr der Verstärkung der öffentlichen Sicherheit zu widmen. Dogmatische und ideologische Bremsen müssten aufgehoben und der Polizei neue technologische Mittel zugänglich gemacht werden.
Ob Estrosi sich durch das Attentat auf der Promenade des Anglais, wo er selbst Augenzeuge des grausigen Geschehens geworden war, bestätigt sieht, ist unbekannt. Möglicherweise werden erst die Ermittlungen zeigen, ob das Blutbad auf der für den Verkehr abgesperrten Straße durch mehr Polizeieinsatz hätte verhindert werden können.
Tatsache ist jedoch, dass man sich in Nizza, dem Austragungsort von vier Spielen der Fußball-Europameisterschaft 2016, auf alle Eventualitäten vorbereitet hatte. Zusätzlich zu den dort stationierten Polizisten waren 1400 weitere Sicherheitskräfte in das Département entsandt worden.
Mit 1250 Videokameras gehört Nizza zu den am besten überwachten Städten. Im März hatte es eine Generalprobe gegeben, bei der alle möglichen Szenarien durchgespielt wurden, selbst Angriffe vom Meer her, Cyberattacken und Überfälle mit nuklearen, biologischen und chemischen Kampfmitteln. Dass es zu einem Attentat erst nach der EM kam, als am Abend des französischen Nationalfeiertags ein Lastwagen eine Todesspur durch eine feiernde Menge zog, hat niemand vorausgesehen.
Der Täter, ein 31-jähriger Tunesier, war der Polizei nur als Kleinkrimineller bekannt, nicht jedoch als radikaler Islamist. Die Vermutung eines terroristischen Hintergrunds war jedoch für Staatspräsident Hollande, seine Regierung und die Ermittler in Nizza sofort naheliegend. Nizza und das Département AlpesMaritimes gelten wie Toulouse, Lyon und der Pariser Norden als Hochburgen der radikalen, gewaltbereiten Islamisten (Dschihadisten).
Nach Erkenntnissen der Geheimdienste stammen zehn Prozent der in den Irak,nach Syrien und Libyen gegangenen französischen Dschihadisten aus der Gegend um Nizza. Auf der Grundlage des seit November geltenden Ausnahmezustands wurden in dem Département fünf der 40 Gebetsstätten geschlossen.
Laut Informationen des für den Radiosender RFI arbeitenden Journalisten David Thomson, Autor eines Buchs über „Les Dschihadistes Français“, erfolgt die Anwerbung von Kämpfern längst nicht mehr in Moscheen, sondern über soziale Netzwerke. Dort warb Omar Omsen, ein 41-jähriger Senegalese aus Nizza, dafür, „die französischen Luftangriffe auf Frauen und Kinder zu vergelten“. Neben den USA ist Frankreich Hauptziel von solchen Angriffen, für die Abu Mohammed al-Adnani, ein Sprecher der IS-Terrormiliz, im September 2014 die Anweisung ausgab: „Schlagt sie mit Steinen tot, erwürgt sie, tötet sie mit dem Messer, fahrt sie mit dem Auto um.“
Am 14. Juli entdeckte RFI-Journalist Thomson im Netz die Aufforderung eines französischen Dschihadisten: „Wirf dein Ticket für die Türkei fort. Das Paradies ist vor dir. Eine Waffe findest du überall.“