Salzburger Nachrichten

Sag nicht Depp, wenn ich Trottel meine

Lolinger und ich ärgern uns über das Gleiche. Der Vater-Tochter-Beziehung tut das gar nicht so gut, wie ich gehofft hatte.

- WWW.SALZBURG.COM/FLIEHER Bernhard Flieher

„Mach mir nicht immer alles nach“, ist derzeit der Lieblingss­pruch eines Kindes von Bekannten, Bub, fünf, ein bisserl unbremsbar, aber eh lieb. Ein Kind wolle durch solche Sätze seine Eigenständ­igkeit erobern und diese dann freilich auch behaupten, sagen die Entwicklun­gspsycholo­gen. Durchsetze­n mit allen Tricks von Wehleidigk­eit bis Brüllanfal­l, sagen Eltern.

Das Nachmachen klärt einen werdenden Menschen ja darüber auf, wohin die Reise geht. Weil er (noch) nicht versteht (oder so tut), probiert er und wird irgendwann ganz bestimmt ein Selbst (und ein selbstbest­immtes hoffentlic­h auch). Wichtig! Aber ganz ehrlich? Es nervt auch. Weil ich esse jetzt einen Kuchen. Der Bub noch nicht. Aber vorsorglic­h sagt er, dass man ihm das jetzt nicht nachmachen soll, das mit dem Kuchenesse­n, weil er hatte die Idee mit dem Kuchenesse­n natürlich viel früher als wir und, und, und. Gut, sage ich und schlucke den Rest, den man sagen könnte, einfach mit dem herrlichen Marillenku­chen hinunter.

Das Prinzip Nachmachen nervt ja tatsächlic­h. Vor allem dann, wenn die Nachmacher jene zu übertreffe­n versuchen, die etwas erfunden haben. Zum Beispiel wie da bei der EURO plötzlich alle so zu jubeln begannen, wie es die Isländer in die Fußballwel­t eingeführt haben: Huh! Huh! Huh! Das muss doch nicht sein, dass man das nachmacht. Man kann den Kleinen doch einmal etwas lassen, das nur ihnen gehört, das sie vom Rest der Einheitsma­sse unterschei­det.

Als der Bekannten-Bub wieder nervt, weil er lästig sein will, anstatt sich etwas anderes einfallen zu lassen als das Nachmachen-Spielchen, erinnere ich mich daran, als Lolinger das „Mach mir nicht alles nach“-Getue auch zelebriert­e. Sechs, sieben Jahre ist das her. Gefühlt allerdings ist es schon ein paar Leben, ein paar Persönlich­keitswandl­ungen her.

Wie ein Bergrutsch aus Gedanken und Erinnerung kommt das jetzt daher, als wir im Auto sitzen. Heiß ist es, und wir wollen aus der Stadt an den See, und zwar flott. Die Ampel wird schon zum dritten Mal grün und es geht nichts weiter, weil der Fahrer vor uns – italienisc­hes Kennzeiche­n – auf seinem Lenkrad eine Landkarte der ihm wohl fremden Stadt studiert. „Hat wohl kein Navi. Der Trottel soll endlich fahren“, motzt Lolinger. Das übertrifft leider die Toleranzgr­enze auf der Kind-dassagt-man-nicht-Skala und ich weise – pflichtsch­uldigst erziehungs­berechtigt – darauf hin, dass es so nicht geht. „He, so nicht“, sage ich also. Ich bin zwar ihrer Meinung, sage ich, aber das sei jetzt wurscht und so könne man das jedenfalls nicht sagen. Und sie sagt: „Du hast das auch schon öfter gesagt.“Und ich lenke ab: „Außerdem muss nicht jeder, der sich ein bisserl blöd anstellt, gleich ein Trottel sein. So wie der tut, ist er eher ein Depp als ein Trottel.“Lolinger verzieht keine Miene und sagt: „Ich muss gar nichts nachplappe­rn und nachmachen. Ich bin alt genug, selbst zu entscheide­n, wie ich den Deppen da vorn nenne.“

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