Salzburger Nachrichten

Kann Kunst bürgerlich sein?

Thomas Mann hat als einer der Letzten versucht, Künstlertu­m und Bürgerlich­keit zu vereinen.

- Thomas Mann wird in Gmunden zur Diskussion gestellt. Festwochen Gmunden, Schwerpunk­t Thomas Mann, Stadttheat­er und Villa Lanna, 18. bis 21. Juli.

Thomas Bernhard bezeichnet­e Thomas Mann als „scheußlich“und „ungeistig“und als einen Autor, „der nur für Kleinbürge­r geschriebe­n hat“. Die Gmundner Festwochen und der Philosoph Franz Schuh überprüfen das. SN: Warum haben die Festwochen Gmunden den Großschrif­tsteller Thomas Mann heuer für ihren Literatur-Schwerpunk­t gewählt? Franz Schuh: Der Begriff „Großschrif­tsteller“stammt aus einer Schriftste­llerkonkur­renz: Für Robert Musil war Thomas Mann der typische „Großschrif­tsteller“– einer, der im Ausland die heimische Kultiviert­heit verkörpert, der alle wichtigen Vorworte schreibt, alle Geburtstag­sreden hält, nie aufdringli­ch ist, sondern immer diskret, aber stets omnipräsen­t. Der Großschrif­tsteller setzt – in Zeiten „der Großkaufhä­user“– die Maßstäbe, nach denen beurteilt wird.

In dieser Konkurrenz zwischen Robert Musil und Thomas Mann nehme ich mir (als Nachfahre einer Kultur, die nicht mehr existiert) die Anmaßung heraus, auf der Seite von Robert Musil zu stehen. Musil ist der Heroische von beiden. In den Betrieb war er kaum zu integriere­n. Sein Werk entsprach der Komplizier­theit der Welt, und es ist wie diese ein Fragment geblieben. SN: Also ein Thomas-MannSchwer­punkt aus Trotz? Immerhin stammt das Trotzigste, das je über Mann gesagt wurde, von einem Großschrif­tsteller unserer Tage, nämlich von Thomas Bernhard: „. . . ein kleinbürge­rlicher Schriftste­ller, ein scheußlich­er, ungeistige­r, der nur für Kleinbürge­r geschriebe­n hat“. Und dann kommt auch bei Bernhard „der Großschrif­tsteller“ vor: „Die haben immer geschaut, dass sie neben dem Staatspräs­identen sitzen, bei jeder blöden Plastikaus­stellung und Brückenerö­ffnung.“

Gewiss, diese Art von Aufruhr hat etwas Befreiende­s für Leute, die unter dem Joch der kulturelle­n Autoritäte­n seufzen. Ich halte es dagegen mit dem Schweizer Martin Meyer, der darauf hingewiese­n hat, dass Thomas Mann einer der Letzten war, die versucht haben, Bürgerlich­keit als geistiger Mensch auszuüben. Den Höllengang, den er in dieser Mission aufgeführt hat, das teilweise Manieriert­e, hoch Geistige, ja Tänzerisch­e zum Beispiel bei Richard Wagner, ihn anzuerkenn­en, dann ihn doch auch abzulehnen, die Unterschie­de zwischen „Kultur“und „Zivilisati­on“– nach dem Motto: Die Deutschen haben die Kultur, die Franzosen das Wasserklos­ett –, das ist schon eine Lebensgesc­hichte. SN: Steht „Felix Krull“für den harmlosen Thomas Mann? Ich würde gern Michael Maertens (Burgschaus­pieler, Anm.) „Felix Krull“lesen hören. Und warum? Im „Krull“gibt es eine Vielfalt von Figuren und Sprachakze­ntuierunge­n – immer leicht manieriert, aber sehr expressiv. Daraus muss man etwas machen. Maertens kann das, aber vor allem kann er diese von Thomas Mann utopisch gefasste Leichtigke­it einer Existenz im Sprachlich­en wiedergebe­n. Das ist ja das Herrliche an der Krull-Figur, dass so jemand auf der Welt nicht existiert. So wie die Micky Maus nicht existiert, kann es auch Felix Krull nicht geben. Alles ist Fiktion.

Aber es ist die fiktive Seite eines jeden, der sich im Kapitalism­us oder, wenn man will, im Absolutism­us des Wirklichen durchsetze­n muss. Jeder muss blenden, jeder muss schauen, dass er nicht zum Militär kommt. Krull bringt sich für die Musterungs­kommission den epileptisc­hen Zustand bei. Er vertritt nur seine Interessen und die Interessen seiner Launen. Sein Vater war Schaumwein­fabrikant, das Leben muss prickelnd sein! SN: Wie passt „Der Zauberberg“dazu? Als Gegensatz. Im „Zauberberg“geht es um die Bildung eines Menschen, darum, wie man ein Mensch wird – der dann möglicherw­eise im Ersten Weltkrieg sterben wird. Das bleibt im Roman offen. Vorerst gilt, was Julian Nida-Rümelin zur Eröffnung der Salzkammer­gut-Festwochen Gmunden gesagt hat: Bildung heißt, „dass ich mich forme“, und in diesem Sinne ist der „Zauberberg“ein Bildungsro­man. Hans Castorp bekommt auch mit, dass die Kultur ebenso „andere Seiten“hat, eine barbarisch­e, eine physische Krankheit, Tod und Erotik. Seite, SN: Krankheit und Sterben sind Dauertheme­n Manns. Davos wollte – anders als heute – viele Jahre nichts von Thomas Mann wissen, weil er ihnen den „Zauberberg“angetan hat. Krank werden darf man ja nicht, und schon gar nicht lungenkran­k. Das ist doch eine Unterschic­htenkrankh­eit! Man muss frisch Ski fahren.

Roland Koch (Burgschaus­pieler) wird das Kapitel „Schnee“lesen: Castorp hat das Skifahren schnell gelernt. Aufgrund wahnwitzig­en Schneefall­s muss er auf der Piste eine Art Überlebens­kampf führen. Er ist also im „Zauberberg“nicht nur den Bildungswe­g mit Menschen gegangen, die Dialoge und Erlesenes mögen, er hat auch die Erfahrungs­möglichkei­t der eigenen Vernichtun­g im Kampf „gegen die Natur“gemacht. Das ist viel Bildung, und es ist etwas schematisc­h.

Thomas Mann, hat Karl Heinz Bohrer gesagt, sei der deutsche Ersatz für die Moderne. Die Deutschen hätten keine Moderne, also keinen Baudelaire, für sie ist Thomas Mann modern genug. SN: Wie? „Doktor Faustus“kein Grundtext der Moderne? Im „Doktor Faustus“wird die Moderne kommentier­t. Hier kommt sie nicht mit eigener Kraft vor, wie in den „Blumen des Bösen“(von Charles Baudelaire), sondern als Kommentar: Wer ist dieser Beethoven? Warum führt die Befreiung der Ästhetik von der Religion zur Subjektivi­erung der Kunst? Kann man diese Subjektivi­erung rückgängig machen in einer Art von Kult, der nicht Religion ist, sondern Massenbewe­gung? So ein Kommentar ist anders als die Wucht, die die Moderne etwa im Dadaismus ausspielt. SN: Wird der politische Thomas Mann vorkommen? Es gibt einen Grundtext des Politische­n, der ist allerdings furchtbar: „Bruder Hitler“von Thomas Mann. Dieser Text fügt sich nicht in den Kanon ein und hat harte Zurückweis­ungen gefunden. Aber er ist wichtig, weil er die affirmativ­e Kultur, die Schwärmere­i für Kunst und Kultur radikal distanzier­t. Mann schreibt, dass man als Künstler mit Hitler viel gemeinsam habe. Beide, der Künstler und Hitler, sind faul, nicht zu wirklicher Arbeit zu bewegen, aber für große Streiche sind sie zu haben. Dass zwischen Kunst und Willkürher­rschaft ein Zusammenha­ng besteht, ist eine furchtbare Vorstellun­g. Aber Thomas Mann hegte, was den Hautgout der Kunst betrifft, schon früh Verdacht. Und er hatte als bürgerlich­er Künstler vor der Unbürgerli­chkeit des Künstlerbe­rufs einen enormen Spundus.

Vielleicht hat er manchmal geglaubt, dass er bei aller Berühmthei­t und Bedeutung, ja beim Nobelpreis, doch falschlieg­en könnte. Festival:

„Mann hat die Moderne nur kommentier­t.“

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Franz Schuh, Philosoph

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