Kann Kunst bürgerlich sein?
Thomas Mann hat als einer der Letzten versucht, Künstlertum und Bürgerlichkeit zu vereinen.
Thomas Bernhard bezeichnete Thomas Mann als „scheußlich“und „ungeistig“und als einen Autor, „der nur für Kleinbürger geschrieben hat“. Die Gmundner Festwochen und der Philosoph Franz Schuh überprüfen das. SN: Warum haben die Festwochen Gmunden den Großschriftsteller Thomas Mann heuer für ihren Literatur-Schwerpunkt gewählt? Franz Schuh: Der Begriff „Großschriftsteller“stammt aus einer Schriftstellerkonkurrenz: Für Robert Musil war Thomas Mann der typische „Großschriftsteller“– einer, der im Ausland die heimische Kultiviertheit verkörpert, der alle wichtigen Vorworte schreibt, alle Geburtstagsreden hält, nie aufdringlich ist, sondern immer diskret, aber stets omnipräsent. Der Großschriftsteller setzt – in Zeiten „der Großkaufhäuser“– die Maßstäbe, nach denen beurteilt wird.
In dieser Konkurrenz zwischen Robert Musil und Thomas Mann nehme ich mir (als Nachfahre einer Kultur, die nicht mehr existiert) die Anmaßung heraus, auf der Seite von Robert Musil zu stehen. Musil ist der Heroische von beiden. In den Betrieb war er kaum zu integrieren. Sein Werk entsprach der Kompliziertheit der Welt, und es ist wie diese ein Fragment geblieben. SN: Also ein Thomas-MannSchwerpunkt aus Trotz? Immerhin stammt das Trotzigste, das je über Mann gesagt wurde, von einem Großschriftsteller unserer Tage, nämlich von Thomas Bernhard: „. . . ein kleinbürgerlicher Schriftsteller, ein scheußlicher, ungeistiger, der nur für Kleinbürger geschrieben hat“. Und dann kommt auch bei Bernhard „der Großschriftsteller“ vor: „Die haben immer geschaut, dass sie neben dem Staatspräsidenten sitzen, bei jeder blöden Plastikausstellung und Brückeneröffnung.“
Gewiss, diese Art von Aufruhr hat etwas Befreiendes für Leute, die unter dem Joch der kulturellen Autoritäten seufzen. Ich halte es dagegen mit dem Schweizer Martin Meyer, der darauf hingewiesen hat, dass Thomas Mann einer der Letzten war, die versucht haben, Bürgerlichkeit als geistiger Mensch auszuüben. Den Höllengang, den er in dieser Mission aufgeführt hat, das teilweise Manierierte, hoch Geistige, ja Tänzerische zum Beispiel bei Richard Wagner, ihn anzuerkennen, dann ihn doch auch abzulehnen, die Unterschiede zwischen „Kultur“und „Zivilisation“– nach dem Motto: Die Deutschen haben die Kultur, die Franzosen das Wasserklosett –, das ist schon eine Lebensgeschichte. SN: Steht „Felix Krull“für den harmlosen Thomas Mann? Ich würde gern Michael Maertens (Burgschauspieler, Anm.) „Felix Krull“lesen hören. Und warum? Im „Krull“gibt es eine Vielfalt von Figuren und Sprachakzentuierungen – immer leicht manieriert, aber sehr expressiv. Daraus muss man etwas machen. Maertens kann das, aber vor allem kann er diese von Thomas Mann utopisch gefasste Leichtigkeit einer Existenz im Sprachlichen wiedergeben. Das ist ja das Herrliche an der Krull-Figur, dass so jemand auf der Welt nicht existiert. So wie die Micky Maus nicht existiert, kann es auch Felix Krull nicht geben. Alles ist Fiktion.
Aber es ist die fiktive Seite eines jeden, der sich im Kapitalismus oder, wenn man will, im Absolutismus des Wirklichen durchsetzen muss. Jeder muss blenden, jeder muss schauen, dass er nicht zum Militär kommt. Krull bringt sich für die Musterungskommission den epileptischen Zustand bei. Er vertritt nur seine Interessen und die Interessen seiner Launen. Sein Vater war Schaumweinfabrikant, das Leben muss prickelnd sein! SN: Wie passt „Der Zauberberg“dazu? Als Gegensatz. Im „Zauberberg“geht es um die Bildung eines Menschen, darum, wie man ein Mensch wird – der dann möglicherweise im Ersten Weltkrieg sterben wird. Das bleibt im Roman offen. Vorerst gilt, was Julian Nida-Rümelin zur Eröffnung der Salzkammergut-Festwochen Gmunden gesagt hat: Bildung heißt, „dass ich mich forme“, und in diesem Sinne ist der „Zauberberg“ein Bildungsroman. Hans Castorp bekommt auch mit, dass die Kultur ebenso „andere Seiten“hat, eine barbarische, eine physische Krankheit, Tod und Erotik. Seite, SN: Krankheit und Sterben sind Dauerthemen Manns. Davos wollte – anders als heute – viele Jahre nichts von Thomas Mann wissen, weil er ihnen den „Zauberberg“angetan hat. Krank werden darf man ja nicht, und schon gar nicht lungenkrank. Das ist doch eine Unterschichtenkrankheit! Man muss frisch Ski fahren.
Roland Koch (Burgschauspieler) wird das Kapitel „Schnee“lesen: Castorp hat das Skifahren schnell gelernt. Aufgrund wahnwitzigen Schneefalls muss er auf der Piste eine Art Überlebenskampf führen. Er ist also im „Zauberberg“nicht nur den Bildungsweg mit Menschen gegangen, die Dialoge und Erlesenes mögen, er hat auch die Erfahrungsmöglichkeit der eigenen Vernichtung im Kampf „gegen die Natur“gemacht. Das ist viel Bildung, und es ist etwas schematisch.
Thomas Mann, hat Karl Heinz Bohrer gesagt, sei der deutsche Ersatz für die Moderne. Die Deutschen hätten keine Moderne, also keinen Baudelaire, für sie ist Thomas Mann modern genug. SN: Wie? „Doktor Faustus“kein Grundtext der Moderne? Im „Doktor Faustus“wird die Moderne kommentiert. Hier kommt sie nicht mit eigener Kraft vor, wie in den „Blumen des Bösen“(von Charles Baudelaire), sondern als Kommentar: Wer ist dieser Beethoven? Warum führt die Befreiung der Ästhetik von der Religion zur Subjektivierung der Kunst? Kann man diese Subjektivierung rückgängig machen in einer Art von Kult, der nicht Religion ist, sondern Massenbewegung? So ein Kommentar ist anders als die Wucht, die die Moderne etwa im Dadaismus ausspielt. SN: Wird der politische Thomas Mann vorkommen? Es gibt einen Grundtext des Politischen, der ist allerdings furchtbar: „Bruder Hitler“von Thomas Mann. Dieser Text fügt sich nicht in den Kanon ein und hat harte Zurückweisungen gefunden. Aber er ist wichtig, weil er die affirmative Kultur, die Schwärmerei für Kunst und Kultur radikal distanziert. Mann schreibt, dass man als Künstler mit Hitler viel gemeinsam habe. Beide, der Künstler und Hitler, sind faul, nicht zu wirklicher Arbeit zu bewegen, aber für große Streiche sind sie zu haben. Dass zwischen Kunst und Willkürherrschaft ein Zusammenhang besteht, ist eine furchtbare Vorstellung. Aber Thomas Mann hegte, was den Hautgout der Kunst betrifft, schon früh Verdacht. Und er hatte als bürgerlicher Künstler vor der Unbürgerlichkeit des Künstlerberufs einen enormen Spundus.
Vielleicht hat er manchmal geglaubt, dass er bei aller Berühmtheit und Bedeutung, ja beim Nobelpreis, doch falschliegen könnte. Festival:
„Mann hat die Moderne nur kommentiert.“