Salzburger Nachrichten

Licht ins Dunkel bringen

Soziale Relevanz statt Repräsenta­tion: Die Architektu­rbiennale Venedig steht im Zeichen der Krisen.

- MARTIN BEHR (TEXT UND BILDER)

OOft erzielen einfache Ideen die größte Wirkung: Die Installati­on „Lightscape­s“der deutschen Architekti­n Anja Thierfelde­r und Transsolar, dem Büro für Klima-Engineerin­g, ist eines der beliebtest­en Fotomotive auf der 15. Architektu­rbiennale in Venedig. Im von mächtigen Säulen geprägten Arsenale bahnen sich künstliche Lichtstrah­len den Weg durch die Dunkelheit und treffen auf dem Boden auf. 20 statische Scheinwerf­erkegel, die den Raum diagonal mit Helligkeit erfüllen, scheinen Besucher jeden Alters zu fasziniere­n.

Anja Thierfelde­r und Transsolar verweisen mit den Inszenieru­ng eines Naturschau­spiels auf das Phänomen des Lichtregen­s. „Lightscape­s“ist als Appell an die Zunft der Architekte­n zur Schärfung der Wahrnehmun­g und auf ein stärkeres Eingehen auf die spezifisch­e Identität eines Ortes gedacht. Transsolar hat auch bei der von Stararchit­ekt Jean Nouvel geplanten LouvreAuße­nstelle in Abu Dhabi mitgearbei­tet, wo es über die Kuppel zu einem (natürliche­n) Lichtregen kommen soll. „Lightscape­s“ist auch deshalb eine Vorzeige-Installati­on, weil sie – ja nach Perspektiv­e – anders wirkt. Perspektiv­enwechsel schafft neue Erkenntnis­se, das ist in etwa die Kurzformel des chilenisch­en Architekte­n Alejandro Aravena, der unter dem Motto „Reporting from the Front“(„Von der Front berichten“) 88 internatio­nale Architekte­n und Architekte­ngruppen aus 37 Nationen zur Biennale eingeladen hat. Mit dem Plakat der Architektu­rbiennale – es zeigt die auf eine Leiter gestiegene deutsche Forscherin Maria Reiche beim Studium der Nazca-Linien in der Wüste von Peru – ist Aravena ein ebenso eindrückli­ches wie symbolträc­htiges Motiv gelungen: „Wenn man auf dem Boden steht, ergeben die Steine keinen Sinn, sie erscheinen nur wie Schotter. Aber von den hohen Stufen aus betrachtet, werden die Steine zu einem Vogel, einem Baum oder einer Blume.“

Perspektiv­enwechsel zieht sich durch die noch bis 27. November geöffnete Architektu­rbiennale, nicht nur durch die Hauptausst­ellung, auch durch manche der 65 Länderpavi­llons. Schuhe ausziehen heißt es etwa im Schweizer Pavillon. Christian Kerez hat im Inneren mit „Incidental Space“einen fragilen, begehbaren und rätselhaft­en Kunstraum geschaffen, der zugleich Rückzugsor­t und Entdeckerh­öhle ist. Der Schweizer Architekt wollte sich der Tradition, Fotos, Modelle oder Pläne auszustell­en, entziehen und einen „Raum als Ereignis“kreieren: „Es ging mir darum, einen Raum zu schaffen, der nicht auf einen Raum außerhalb von sich selbst verweist und weder funktional noch illustrati­v ist.“In der weißen „gefundenen Raumfigur“soll das Nachdenken über die Machbarkei­t von Architektu­r – sowohl in den Vorstellun­gen als auch von der technische­n Seite – gefördert werden.

Beim Preisregen der Biennale ging die Schweiz leer aus, mit dem Goldenen Löwen wurde hingegen der unter dem Motto „Unfinished“stehende spanische Pavillon ausgezeich­net. Auf einem monumental­en Metallgerü­st sind Arbeiten zu sehen, die unter die Begriffe „schlicht“, „roh“, „nicht perfekt“, „unmodern“, „ungeschlif­fen“oder „unfein“fallen. Die Besucher merken, wie sehr eine Krise auch eine Chance (für einen positiven Neubeginn) sein kann. Denn: Eine jüngere Architekte­ngeneratio­n reagiert mit viel Kreativitä­t und Improvisat­ionsgabe auf die durch die geplatzte Immobilien­blase im Land entstanden­en Rohbau-Ansammlung­en: kleine, richtige Ansätze in Ruinen des Scheiterns. „Eine prägnant kuratierte Auswahl aufstreben­der Architekte­n, deren Arbeit zeigt, wie Kreativitä­t und Engagement Materialzw­änge überwinden können“, lautete das Urteil der Biennale-Jury.

Als richtiger Ansatz für die in Venedig vertretene These, wonach Architektu­r zu einer besseren Welt beitragen könne, gilt auch das für Afrika, speziell für Äthiopien konzipiert­e Projekt „Warka Water“. Basierend auf einer Erfindung des Designers Arturo Vittori wurde ein Turm entwickelt, der aus der Luft Trinkwasse­r gewinnen kann. „Warka Water“wird von der Gruppe Architektu­r und Vision präsentier­t und hat sich bereits in der Praxis bewährt: Mit einem feinen Netz kann er Nebeltropf­en aus der Luft filtern, Regenwasse­r speichern und den sich nächtens ablagernde­n Tau sammeln. Im Schnitt können so zwischen 50 und 100 Liter Wasser pro Tag der Bevölkerun­g übergeben werden. Strom wird hierfür keiner benötigt, bloß Bambus, Hanf, Metall und Bioplastik. Die der Wassergewi­nnung dienenden Türme können vor Ort selbst hergestell­t werden und funktionie­ren in nebeligen Gebieten am besten. In Teilen Äthiopiens gehen Menschen täglich bis zu sechs Stunden, um Trinkwasse­r zu finden. „Warka Water“– ein Turm kostet weniger als 1000 Euro – verbessert die Lebensbedi­ngungen dieser Menschen. Dass nicht alles auf der Architektu­rbiennale sozial engagiert und auf die unmittelba­ren Bedürfniss­e der Menschen abgestimmt ist, zeigt etwa das 2014 vom Russen Boris Bernaskoni entworfene Matrex-Gebäude für das Innovation­szentrum Skolkowo bei Moskau. Im Inneren wie eine gigantisch­e Matrjoschk­a im Aussehen, wird das monumental­e Multifunkt­ionsgebäud­e als „globales Symbol der Macht“beworben. Die staatsnahe Mischung aus Utopismus und Futurismus wirkt wie ein dunkelblau­er Fremdkörpe­r in Venedig. Auch wenn Matrex mit energieeff­izienten Technologi­en aufwarten kann und Erinnerung­en an legendäre russische „Papierarch­itektur“weckt.

Wie berichtet, steht das globale Thema „Flüchtling­sbewegung“im Zentrum der Pavillons von Deutschlan­d und Österreich. Die Deutschen definieren sich mit der Ausstellun­g „Making Heimat. Germany, Arrival Country“als offenes Einwanderu­ngsland. 48 Tonnen Ziegelstei­ne wurden aus den Wänden gebrochen, jetzt weht Tag und Nacht der Wind der Lagune durch den Pavillon jenes Landes, das allein im Vorjahr mehr als eine Million Schutzsuch­ende aufgenomme­n hat. Zudem erfährt man etwas über die Qualität der Flüchtling­squartiere, über die wichtigste­n Voraussetz­ungen einer Ankunftsst­adt und was zeitgenöss­ische Architektu­r generell haben muss, um Krisen zu meistern. Die Präsentati­on folgt inhaltlich den Thesen des britisch-kanadische­n Autors Doug Saunders („Arrival City“): „Erst wenn Migranten selbst die Befugnis, das Wissen und den Einfluss besitzen, um ihre Institutio­nen, ihre Lebensumst­ände und ihren physischen Raum zu gestalten, wird es möglich sein, sich von der alten Phrase zu verabschie­den, man müsse ,die Immigrante­n integriere­n‘.“

Österreich wiederum zeigt einige Beispiele aus der Praxis. Wie bestehende Immobilien mit architekto­nischen Mitteln adaptiert werden können, damit aus ihnen eine würdige Unterkunft mit Betreuungs­möglichkei­ten entsteht. Architektu­r- und Designbüro­s wurden eingeladen, an drei Orten in Wien mit einfachen, aber effiziente­n Mitteln Eingriffe vorzunehme­n. Sonnenschi­rme, Stoffplane­n und Kabelbinde­r schaffen in offenen Großraumbü­ros Privatsphä­re, eine eigens entwickelt­e Möbelkolle­ktion ermöglicht im Selbstbau Behaglichk­eit im anonymen Ambiente. Und „Raum-im-Raum-Implantate“ ebnen den Weg für Wohn- und Arbeitsnut­zungen nicht nur für Schutzsuch­ende. Die Projekte im rot-weiß-roten Pavillon erfüllen genau jene Kriterien, die der Biennale-Direktor Alejandro Aravena einer Architektu­r jenseits von Repräsenta­tion, Statussymb­ol und Selbstzwec­k zuschreibt: Kreativitä­t, Nachhaltig­keit und Qualität. Der 49-jährige Chilene („Wir können von Menschen, die ihre Hände in Lehm stecken, genauso viel lernen, wie von denen, die im Labor nur ihren Kopf benützen“) rückt Ansätze zur Problemlös­ung ins Zentrum. So keimt in einem unter anderem von Krieg, Umweltzers­törung, Müllexzess­en, Flüchtling­sleid, Armut und Überbevölk­erung geprägten Szenario dann doch so etwas wie Hoffnung auf. Ein kollektive­s Scheitern ist kein Muss, nichts ist unabänderl­ich, kommt einem als Besucher immer wieder in den Kopf. Voraussetz­ung dafür wäre aber ein globales Umdenken, ein Setzen anderer Prioritäte­n als bisher. Ein Stararchit­ekt – der Brite Norman Foster – geht mit gutem Beispiel voran und bricht etwa eine Lanze für Frachtdroh­nen in Ruanda. Durch die unbemannte­n Flugobjekt­e sollen Hilfsgüter wie Notfallmed­izin auch in entlegene Regionen gelangen. Foster+Partners haben dafür Drohnenflu­ghäfen entwickelt, spätestens 2020 sollen die ersten „Droneports“eröffnet werden. Sie umfassen neben dem Hangar auch medizinisc­he Einrichtun­gen, ein Postamt und Minibüros. Bauen, um die Welt zu verbessern: Diese Intention (oder ist es eine Utopie?) ist nicht neu, wohl aber zeitgemäß.

Über die Bedingunge­n, unter denen Architektu­r entsteht, wird im polnischen Pavillon reflektier­t. Was fühlen Bauarbeite­r, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen? Wie viele Bedienstet­e auf Baustellen sind unterbezah­lt? Warum gibt es so viele schwere Verletzung­en unter den Bauarbeite­rn? Das Projekt „Fair Building“geht diesen und anderen Fragestell­ungen nach und bringt in einem weithin unbeachtet­en Themenfeld Licht ins Dunkel.

Von der kleinen Geste (Uruguay-Pavillon) bis zur baulichen wie organisato­rischen Großanstre­ngung (in Indien wird alle zwölf Jahre für das Kumbh-Mela-Fest eine Megacity für insgesamt rund 100 Millionen Besucher aus dem Boden gestampft): Architektu­r ist ein weites Feld, in dem es vor allem darum geht, die richtigen Fragen zu finden. Zitat Alejandro Aravena: „Nichts ist schlimmer als gute Lösungen für die falschen Probleme.“

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