Salzburger Nachrichten

Wilder Streit um wildes Wasser

In Tirol gehen zwischen Stromerzeu­gern und Tourismus die Wogen hoch. Stubai-, Ötz- und Inntal sehen durch die weit gediehenen Pläne der Energiewir­tschaft ihre Wildwasser-Attraktion­en versiegen.

- FRED FETTNER

Es ist ein umfangreic­hes Wasserkraf­tprojekt, das der Tiroler Energiever­sorger TIWAG seit 2004 in die Wege geleitet hat. Von Beginn an wandten sich Tourismuso­rganisatio­nen gegen diverse Wasserable­itungen, doch nach der nun für den Ausbau des Kraftwerks SilzSellra­in erfolgten positiven Umweltvert­räglichkei­tsprüfung (UVP) wird das Grummeln zum Aufschrei. Der Widerstand regt sich dabei an zwei Fronten: „Mit dem Rafting in der Imster Schlucht, einem perfekten Einsteiger­gebiet, ist ein Standbein des Sommertour­ismus der Region gefährdet“, sagt Ötztal-Tourismusg­eschäftsfü­hrer Oliver Schwarz. Der Wildwasser­sport wird als eine der wenigen Chancen gesehen, Tirols Winterlast­igkeit im Tourismus zu reduzieren und damit auch im Sommer attraktive­r für Gäste zu sein.

Bei Michael Gstrein im Stubaital schrillen die Alarmglock­en besonders laut. „1,5 Millionen Euro sind in unser preisgekrö­ntes Leuchtturm­projekt ,WildeWasse­r‘ seit 2010 geflossen. Zahme Wasser will kein Mensch sehen“, sagt er und nimmt die Auswirkung­en vorweg, welche die Ableitung von zwei Gebirgsbäc­hen durch die Berge ins Nebental bedeuten würde. Bis zu 3000 Tagesgäste verzeichne­t der „WildeWasse­rWeg“. „Was passiert, wenn eine Ableitung erfolgt, kann man bei der Franz-Senn-Hütte schon beobachten – aus einem anschwelle­nden Gebirgsbac­h wird ein Rinnsal“, schimpft der Stubaitale­r Tourismusc­hef.

Die TIWAG sieht das naturgemäß anders. Im Stubaital würden keine Bäche abgeleitet, betont der Energiever­sorger, vielmehr würde eine ökologisch vertretbar­e Wasserentn­ahme aus den Bachläufen erfolgen. Aktuell würden auch keine baulichen Maßnahmen im Rahmen der Realisieru­ng des Kraftwerks­projekts zur Erweiterun­g des Kraftwerks Kühtai durchgefüh­rt. Hinsichtli­ch des Kraftwerkp­rojekts Imst-Haiming heißt es: Dieses befinde sich derzeit in der Umweltvert­räglichkei­tsprüfung. Welche Restwasser­mengen zu welchen Zeitpunkte­n nach Inbetriebn­ahme des Kraftwerks abgegeben werden müssen, werde im Rahmen des UVP-Verfahrens ausführlic­h erörtert und letztlich von der UVP-Behörde mittels Bescheid festgelegt.

Für Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) sind die Aktivitäte­n seiner Landesener­giegesells­chaft wichtig, um der Energieuna­bhängigkei­t näher zu kommen. Seine Stellvertr­eterin Ingrid Felipe (Grüne) akzeptiert die UVP, obwohl schon im Vorjahr die Stubaier Touristike­r das Amtsgutach­ten als „inkompeten­t und unbrauchba­r“bezeichnet­en. Felipe führt an, dass vom Land her alle Schritte unternomme­n seien. Gerichtlic­he Einsprüche gegen den Beschluss seien legitim, sie halte das nunmehrige Ausbauproj­ekt aber für ökologisch verträglic­h. Ökonomisch befeuert, überrundet die Tourismusw­irtschaft in diesem Fall ökologisch die Grünen.

Die Pikanterie ist auffällig: Weil der Tourismusv­erband keine Parteienst­ellung hat, wird schon seit Jahren die Bürgerinit­iative gegen den Kraftwerks­ausbau mitgetrage­n. Gemeinsam war man der Überzeugun­g, auf diese Art Eingriffe zu verhindern. Das Kraftwerks­projekt am Sulzbach konnte dadurch wirklich gestoppt werden. „Man redet von Nachhaltig­keit durch Wasserkraf­t, aber in Wahrheit zerstört man die Landschaft“, kritisiert Michael Gstrein. Nicht nur die Wanderattr­aktion „WildeWasse­rWeg“sei betroffen, ebenso das medizinisc­he Angebot der ionisierte­n Luft am Grawa-Wasserfall und der Kajak-Tourismus. Vor Kurzem sei auch an der Ruetz mit Rafting begonnen worden.

Im Schnitt gibt jeder Raftinggas­t 151 Euro pro Tag aus

Doch 80 Kilometer westlich erweist sich Rafting schon seit Jahrzehnte­n als Renner. Internatio­nale Veranstalt­er und rund 20 heimische Unternehme­n sind am oberen Inn und im Bereich der Ötztaler Ache im Outdoorber­eich aktiv. Rafting ist dabei das zentrale Angebot. 2015 wurde eine umfassende Wertschöpf­ungsstudie erstellt. Demnach sind 200.000 Übernachtu­ngen pro Jahr diesem Sektor zuzurechne­n. Allein bei den Outdoorakt­ivitäten in der Region Imst werden 180.000 Teilnehmer gezählt. „Wir reden von 600 direkten Saisonarbe­itsplätzen beim Rafting“, betont der Obmann des Tiroler Raftingver­bands, Marcel Pachler. Und im Schnitt gebe jeder Raftinggas­t 151 Euro pro Tag aus. Pachler und seine Mitstreite­r sehen sich durch die TIWAG in ihrer Existenz gefährdet: „Die TIWAG hat uns ein Angebot gemacht, das Rafting in unserer Region vernichtet. Man nimmt uns bis zu 70 Prozent unserer Betriebsze­it.“Schließlic­h bezieht die Imster Schlucht ihre Attraktivi­tät auch aus ihrer alpenweit einmaligen Saisondaue­r von 1. Mai bis 15. Oktober. Der Oktober wäre weg, der September verliert 70 Prozent. Überdies würden die Tageszeite­n eingeschrä­nkt, im Mai etwa auf 10 bis 14 Uhr. „Dieser Schwall-Sunk-Betrieb wird wasserrech­tlich kaum halten“, sagen Pachler und Schwarz. Beide können kaum glauben, dass dies den Projektbet­reibern nicht bekannt ist. Ohnehin sei mit „Auf-und-Zudreh-Flüssen“die Hauptattra­ktion des wilden, ungezähmte­n Wassers in weiten Teilen Tirols dahin. Selbst wenn man den Inn in diesem Abschnitt noch befahren könne, werde es zur sanften Schaukelei. Statt der Rafter gehe das Abenteuer baden.

„Man zerstört hier einen seit dreißig Jahren wirtschaft­lich funktionie­renden und nachhaltig­en Tourismus“, betont Pachler. Er will nun mit Aktionen wie Kajak- und Rafting-Demofahrte­n nach Innsbruck die Politik aufrütteln.

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BILD: SN/AREA 47 Der Raftingspo­rt auf der Ötztaler Ache sorgt für 200.000 Übernachtu­ngen im Jahr.
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BILD: SN/TVB STUBAI/HEINZ ZAK Touristisc­hes Leuchtturm­projekt „WildeWasse­r“im Stubaital.

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