Salzburger Nachrichten

SN-Interview mit Shirin Ebadi

Mit dem iranischen Regime darf man nicht nur über Geschäfte reden. Es muss auch einen Dialog über die Menschenre­chte geben. Das betont Friedensno­belpreistr­ägerin Shirin Ebadi in einem Exklusivin­terview der „Salzburger Nachrichte­n“.

- HELMUT L. MÜLLER

Mit dem Iran solle der Westen nicht nur über Geschäfte reden. Das betont Friedensno­belpreistr­ägerin Shirin Ebadi. Man müsse auch einen Dialog über die Menschenre­chte führen.

Wenn wir Frieden wollen, sagt Shirin Ebadi, geht das nur mit einem globalen Blick. Denn was in einer Ecke der Welt passiere, habe einen Effekt an anderer Stelle.

SN: Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass sich die politische­n Verhältnis­se im Iran positiv verändern könnten – nach der Einigung im Atomstreit?

Shirin Ebadi: Der Grund für die Einigung im Atomstreit war, dass die Sanktionen eine große Last für den Iran bedeuteten. Ein Jahr nach dem Abschluss dieses Abkommens ist allerdings noch keine Verbesseru­ng der wirtschaft­lichen Lage im Iran festzustel­len. Immerhin ist die Inflations­rate heuer auf 15 Prozent gesunken; wir haben ja schon Inflations­raten von 35 Prozent im Jahr erlebt. Der Effekt davon ist jedoch noch nicht auf dem Esstisch der Menschen zu spüren. Vielleicht müssen wir noch länger warten, bis sich das Abkommen wirklich wirtschaft­lich auswirkt. Was die Lage der Menschenre­chte betrifft, ist keine Veränderun­g wahrnehmba­r.

SN: Woran liegt das?

Der Grund dafür ist die Struktur der Verfassung im Iran. Entspreche­nd der Verfassung des Landes liegt letztlich alle Gewalt, alle Macht beim Revolution­sführer, beim obersten religiösen Führer. Der Führer des Irans – Ajatollah Ali Khamenei – hat immer wieder betont, dass sich die politische Richtlinie sowohl in der Außen- wie in der Innenpolit­ik nicht verändern wird. SN: Das bedeutet, dass auch ein Reformpräs­ident wie heute Rohani oder früher Khatami keinen grundlegen­den Wandel im Iran bewirken kann? Mit dieser Verfassung gewiss nicht. Soll es da eine Änderung geben, müsste der religiöse Führer des Irans der Stimme des Volkes Gehör verschaffe­n. Die Ereignisse im Jahr 2009 sind für ihn ein Zeichen dafür gewesen, wie unzufriede­n das Volk ist. Die Auswirkung­en dieser Protestbew­egung sind immer noch spürbar. SN: Wie könnte die Außenwelt (insbesonde­re Amerika und Europa) am besten dazu beitragen, dass es einen politische­n Wandel im Iran gibt? Ein ähnlich ernsthafte­r Dialog wie bei den Atomgesprä­chen müsste auch im Bereich der Menschenre­chte stattfinde­n. Ich bin gegen die Isolation des Irans. Das löst kein Problem. Aber ich bin auch dagegen, dass man mit dem Iran nur über die Wirtschaft und über Geschäfte redet. SN: Im Jahr 2003 haben Sie den Friedensno­belpreis erhalten. Hat Ihnen das im Iran mehr Schutz verschafft? Die iranische Regierung hat versucht, diesen Preis zu übersehen und zu negieren. Mein Name ist ja schon immer zensuriert worden im Iran. Im Jahr 2008 starteten die Sicherheit­skräfte einen Angriff auf mein Menschenre­chtszentru­m. Die Nichtregie­rungsorgan­isation wurde zugesperrt. Danach verübten die Sicherheit­skräfte einen Anschlag auf meine Anwaltskan­zlei. Alle meine Akten wurden beschlagna­hmt, ebenso mein Computer. Das alles ist im Iran ja verboten. Aber leider gibt es Menschen im Iran, die allem Anschein nach über dem Gesetz stehen. SN: 2009 wurde der politische Druck offenbar so groß, dass Sie ins Exil gehen mussten . . . Im Jahr 2009 waren wir Zeitzeugen eines Coup d’État, eines Staatsstre­ichs (als das Regime die grüne Reformbewe­gung niederschl­ug, Anm.). Viele Menschen wurden auf den Straßen getötet, viele wurden festgenomm­en. Auch in jenem Jahr gab es einen Angriff auf meine Kanzlei, und einige meiner Mitarbeite­r wurden festgenomm­en. Einige sind inzwischen wieder auf freiem Fuß, aber einige sind immer noch in Haft. Dies alles, obwohl wir nie politisch tätig waren, sondern einzig in Sachen Menschenre­chte. Ich war damals nicht im Iran, daher wurde ich selbst nicht festgenomm­en. Doch um mich zum Schweigen zu bringen, haben die Herrschend­en meinen Mann und meine Schwester festnehmen lassen. Mein Hab und Gut wurde beschlagna­hmt, sogar mein Elternhaus; es ist inzwischen verkauft worden. Bis heute werde ich immer wieder mit dem Tode bedroht. So soll ich zum Schweigen gebracht werden. SN: Wie können Sie heute von außen auf die Entwicklun­g im Iran Einfluss nehmen? Der Grund, warum ich nicht in den Iran zurückkehr­e, ist nicht Angst vor einer Verfolgung. Ich war schon einmal in Haft. Ich reise nicht in den Iran zurück, weil eine Verhaftung meiner Person meiner Sache nicht hilft.

Außerhalb des Landes kann ich aber die Freiheit der Meinungsäu­ßerung in Anspruch nehmen. Ich reise viel; ich verbringe etwa zehn von zwölf Monaten im Jahr auf Reisen. Ich lebe folglich auf Flughäfen. Nur mein Büro befindet sich in London. SN: Ist der anhaltende Druck auf Dissidente­n im Iran ein Zeichen dafür, dass in Teheran ein despotisch­es Regime herrscht? Ja, so ist es. Ein despotisch­es Regime hat Angst vor der Meinungsfr­eiheit und vor Äußerungen dieser Meinungsfr­eiheit. SN: Sehen Sie das iranische Regime als Exempel dafür, wie in muslimisch­en Ländern Herrscher die islamische Religion für ihre eigenen politische­n Zwecke missbrauch­en? Ja, das kann ein Beispiel dafür sein. Daher bin ich für die Trennung von Religion und Politik. SN: Wieso ist es besonders wichtig, dass die Frauen mehr Rechte bekommen in Ländern wie dem Iran? Frauen erleben eine mehrfache Unterdrück­ung. Sie sind einer Diktatur ausgeliefe­rt – aber auch einer Gesetzgebu­ng, die ihnen gleiche Rechte vorenthält.

Woher aber kommen diese diskrimini­erenden Gesetze? Sie sind die Folge einer patriarcha­lischen Interpreta­tion der Religion. Das beschränkt sich nicht auf den Islam, sondern betrifft alle abrahamiti­schen Religionen, also auch das Christentu­m. Als erster Sünder erscheint ja mit Eva eine Frau, und wegen ihr wird die halbe Menschheit bestraft. Das ist die Folge einer männlichen Interpreta­tion der Bibel. Daher ist es jetzt Zeit für Bücher, in denen Frauen die Religion interpreti­eren. SN: Woher nehmen Sie trotz aller Rückschläg­e die Hoffnung, dass im Iran etwas grundlegen­d geändert werden könnte? Der Iran hat ein großes Potenzial: Wir haben sehr viele gebildete Frauen. Es gibt eine starke feministis­che Bewegung, auch eine starke studentisc­he Bewegung. Die Arbeiterbe­wegung ist ebenfalls stark. Was noch wichtiger ist: Diese Bewegungen arbeiten zusammen. Der Iran hat wirklich ein großes Potenzial: gute Universitä­ten, viel Geld und nicht zuletzt 3000 Jahre Zivilisati­on.

„Ich bin für die Trennung von Religion und Politik.“Shirin Ebadi, Menschenre­chtlerin

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BILD: SN/EPA Lauter Ruf nach mehr Freiheit: Auch viele Frauen unterstütz­ten 2009 die „grüne Bewegung“für einen politische­n Wandel im Iran.

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