Eine Partei zerreißt sich
Der parteiinterne Rivale Ted Cruz verweigert Donald Trump die Unterstützung bei der US-Präsidentschaftskandidatur. Das löst Tumulte in den Reihen der Republikaner aus.
CLEVELAND. Der Satz „God bless America“am Schluss der Rede des texanischen Senators geht in ohrenbetäubendem Lärm unter. Eine Mischung aus hundertfachen Buhs, konkurrierenden „Trump, Trump“und „Cruz“-Sprechchören. Während der erzkonservative Rivale von der Bühne abtritt, brüllt ein junger Delegierter aus Kalifornien in Sternenbanner-Jacke. „Verräter!“
So elektrisiert hat die Quicken Loans Arena kein anderer Redner wie Trumps Rivale bei den Vorwahlen, Ted Cruz. Und das nicht im positiven Sinne. Vielmehr legte dieser mit seinen eloquenten Worten die Sollbruchstellen einer tief gespaltenen Partei offen. Was war geschehen? Cruz hatte Trump am Montag wissen lassen, er werde ihn während seiner Rede zur besten Sendezeit des US-Fernsehens nicht offiziell unterstützen. Der Parteiführung versprach er gleichzeitig, er werde nichts Negatives über den Spitzenkandidaten sagen. Um sich die Peinlichkeit einer Lücke im Abendprogramm des dritten Tages der Convention zu ersparen, entschied Trump, das Risiko einer Cruz-Rede einzugehen.
Der Texaner, der offen mit einem zweiten Anlauf 2020 liebäugelt und auf eine Niederlage Trumps setzt, lieferte eine rhetorisch brillante Bestandsaufnahme konservativer Prinzipien. Eine der wenigen substanziellen Reden des Parteitags, die gleichzeitig einen Kontrast zu dem nationalistischen Populismus Trumps deutlich werden ließ.
Nach fünfzehn Minuten kam Cruz dann zu der Passage in der Rede, auf die die Delegierten gewartet hatten. „Bitte bleibt im November nicht zu Hause“, appellierte der Senator an seine enttäuschten Anhänger, die etwa ein Drittel des Parteitags ausmachen. „Steht dafür ein, sagt und wählt, was euch euer Gewissen sagt. Wählt Kandidaten, denen ihr vertraut, dass sie unsere Freiheit verteidigen und der Verfassung treu bleiben.“
Bei dem Wort „Gewissen“begann der New Yorker Delegiertenblock „Endorse Trump“(ins Deutsche übersetzt: Unterstütze Trump) zu skandieren. „Ich schätze den Enthusiasmus der New Yorker Delegation“, sagte Cruz und provozierte so die „Trumpers“, die wahlweise den Daumen nach unten neigten oder den Mittelfinger aufsteigen ließen.
Mit dem sicheren Instinkt eines Showmans stolzierte inmitten des Chaos Trump mit breitem Grinsen in die Arena. Ganz so, als wollte er persönlich die Kontrolle über den Abend zurückgewinnen. Kurz zuvor setzte er noch eine Kurznachricht über Twitter ab: „Wow, Ted Cruz wird von der Bühne gebuht.“
Trumps Wahlkampfmanager Paul Manafort, der für die Dramaturgie des Parteitags verantwortlich ist, fand, Cruz habe ein sehr schlechtes Urteilsvermögen bewiesen: „Er hat die Einladung, bei dem Parteitag zu sprechen, nicht mit Respekt behandelt.“
Vizepräsidentschaftskandidat Mike Pence, dessen Auftritt von den Tumulten überlagert wurde, zeigte am Donnerstag Verständnis für die Weigerung von Cruz, den Spitzenkandidaten explizit zu unterstützen. „Ich weiß“, sagte er, „dass nach hart ausgefochtenen Wahlkämpfen die Emotionen sehr stark sein können.“
Cruz erklärte seine Nichtunterstützung am Donnerstag unter anderem mit den persönlichen Tiefschlägen Trumps. Dieser hatte Cruz als „Lügner“gebrandmarkt, seine Frau beleidigt und dem Vater unterstellt, ein Komplize beim Mord an John F. Kennedy gewesen zu sein.
Pence versuchte in seiner Rede das Beste aus einer weiteren Parteinacht der Uneinigkeit und Dissonanzen zu machen. Der wie Cruz im evangelikalen Lager verankerte Gouverneur aus Indiana bot sich als Zeuge für den ehrenhaften Charakter Trumps an. Sein Schlüsselsatz: „Er ist ein Macher, kein Redner.“Mit ihm werde Amerika wieder großartig, fügte Pence hinzu.
Zum Schluss seiner Rede tritt Trump auf die Bühne. Er drückt Pence die Hand und fordert das Publikum zu Beifallskundgebungen auf. „Was für ein toller Job!“, sagt er. Keine Siegerpose, kein Auskosten des Moments – Trump verschwindet so schnell, wie er gekommen war.
In einem Ausblick auf seine eigene Rede stellte Trump im Interview mit der „New York Times“die Bündnistreue der USA innerhalb der NATO infrage: Sollte Russland etwa einen der drei baltischen Staaten angreifen, werde ein Präsident Trump erst einmal prüfen, ob diese „ihre Verpflichtungen gegenüber uns erfüllt haben“.
Mit Blick auf die Situation in der Türkei zeigte Trump Sympathien für Erdoğan. „Ich erkenne an, wie er es geschafft hat, diese Situation umzukehren.“Er sehe keinen Anlass, „kluge Ratschläge von außen zu erteilen“.
Auf die Frage, was die Amerikaner vom Parteitag in Cleveland mitnehmen sollten, meinte Trump: „Die Tatsache, dass ich sehr beliebt bin.“
Mit Unverständnis haben die baltischen Staaten auf die Aussagen Trumps zur Bündnisgarantie der NATO reagiert. Zweifel am sicherheitspolitischen Beistand der USA kommen in Litauen, Estland und Lettland trotzdem nicht auf. „Wir vertrauen Amerika – unabhängig davon, welchen Präsidenten Amerika hat“, sagte Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite in Vilnius.