Grasser Auf wartet ein Monsterprozess
Die Anklagebehörde wirft dem Ex-Finanzminister und 15 Personen aus seinem Umfeld Korruption bei öffentlichen Aufträgen vor.
WIEN. Donnerstag am Vormittag wurde es offiziell: Die Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) fuhr mit einem Autobus beim Landesgericht für Strafsachen Wien vor und übergab dort ihre Ermittlungsergebnisse, insgesamt 206 Aktenbände mit jeweils mehreren 100 Seiten. Mit im Gepäck war die vergleichsweise leichtgewichtige Anklageschrift über 825 Seiten gegen Ex-Finanzminister Karl Heinz Grasser, Walter Meischberger, Ernst Karl Plech, Peter Hochegger sowie weitere zwölf Personen.
Die Liste der Anschuldigungen ist umfangreich: Die 16 Beschuldigten müssen sich wegen des Verdachts der Untreue, Geschenkannahme durch Beamte, Bestechung, Unterschlagung, Beweismittelfälschung, Geldwäsche und versuchter Begünstigung verantworten. Ihnen werden Korruptionsdelikte im Zusammenhang mit dem Verkauf von 60.000 Bundeswohnungen (Buwog) im Jahr 2004 und der Einmietung der örtlichen Finanz- und Zolldienststellen in den Linzer Terminaltower im Jahr 2006 vorgeworfen. In beiden Kriminalfällen soll Grasser als Finanzminister seine Hände mit im Spiel gehabt haben. Er amtierte von Februar 2000 bis Jänner 2007 zunächst für die FPÖ, dann für die ÖVP.
Grasser bestritt stets vehement, sich selbst mit Bestechungsgeld bereichert zu haben. Auch die anderen Angeklagten wollen von Schmiergeld oder unsauberen Geschäften nichts wissen. Für alle gilt die Unschuldsvermutung. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft geht von zehn Millionen Euro Schaden aus. Im Falle eines Schuldspruchs drohen den Angeklagten bis zu zehn Jahre Haft.
Das Monsterverfahren wird vor einem Schöffengericht ausgetragen – wann der Prozess startet, ist derzeit noch ungewiss. Denn zunächst muss das Landesgericht den Verteidigern und den Beschuldigten die Anklage zustellen. Dann haben Grasser und Co. 14 Tage Zeit, um die noch nicht rechtskräftige Anklage zu beeinspruchen. Im Falle eines Rechtsmittels verzögert sich das Verfahren wieder, zu erwartende Einsprüche müssen dann vom Oberlandesgericht auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden.
Fast sieben Jahre lang, seit Herbst 2009, hat die Anklagebehörde in dem delikaten Fall ermittelt. „Es handelt sich um ein in Umfang und Komplexität außerordentliches Verfahren“, sagt dazu Ingrid Maschl-Clausen, Sprecherin der WKStA. 156.000 Gigabyte an elektronischen Daten mussten durchleuchtet werden.
700 Einvernahmen von Zeugen, Beschuldigten und Auskunftspersonen seien durchgeführt worden. Zudem habe die Behörde 660 Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen, Sicherstellungen, Telefonüberwachungen und Kontenöffnungen angeordnet und 40 Rechtshilfeersuchen an das Ausland gestellt. Allein 5000 Telefone sollen angezapft worden sein. Von zunächst 55 Verdächtigen sind letztlich 16 übrig geblieben, die vor Gericht müssen.
Den Vorwurf der Verteidiger, es handle sich um ein politisch motiviertes Verfahren, das nur deshalb so lang dauere, weil kein strafrechtlich relevantes Verhalten feststellbar sei, lassen die Ankläger nicht gelten. Vielmehr hätten Grasser und seine Mitangeklagten eine Vielzahl an Rechtsmitteln im Inund Ausland eingebracht. „Diese Anträge haben das Verfahren noch komplexer gemacht und in die Länge gezogen“, erklärt Maschl-Clausen.
Allein heimische Gerichte hätten 100 Rechtsmittel der Beschuldigten darauf überprüft, ob der Verdacht auf eine strafbare Handlung vorliege. In allen Fällen gaben unabhängige Richter den Korruptionsstaatsanwälten recht. Für Maschl-Clausen ein Beweis, dass die „Vorwürfe nicht aus der Luft gegriffen sind“. Und weiter: „Wir haben alle Möglichkeiten ergriffen, die internationale Zusammenarbeit zu beschleunigen und zu fördern.“Sogar Eurojust, die Justizbehörde der Europäischen Union mit Sitz in Den Haag, sei eingeschaltet worden.
Vor dem Strafrichter wird die Buwog-Affäre im Mittelpunkt stehen. Schon aus pragmatischen Gründen. Während beim Linzer Terminaltower 200.000 Euro an Schmiergeld geflossen sein sollen, flossen bei der Buwog-Privatisierung 9,6 Mill. Euro (ein Prozent des Kaufpreises). Die Provision soll die Immofinanz für einen geheimen Tipp bezahlt haben, um den Konkurrenten, die CA Immo, zu übertrumpfen. Den Tipp soll Grasser über den Umweg zweier Vertrauter (Meischberger und Hochegger) gegeben haben – gegen Bares. Die unversteuerte Provision war erst Jahre später zufällig aufgeflogen. Die Immofinanz hatte das Geld an Hocheggers Firma auf Zypern überwiesen. Von dort lenkte Meischberger drei Viertel der Summe auf drei Konten in Liechtenstein – diese werden Grasser, Plech und Meischberger zugerechnet.