Salzburger Nachrichten

Ein Operngeist erwacht zum Bühnenlebe­n

Oft bieten die Bregenzer Festspiele Neu- und Wiederentd­eckungen der Operngesch­ichte. Heuer wird es anders gemacht.

- KARL HARB

BREGENZ. Im ersten Jahr ihrer Intendanz machte Elisabeth Sobotka eine Pause der Bregenzer Gepflogenh­eit, Neu- und Wiederentd­eckungen vorzustell­en. Sie eröffnete am Mittwoch mit einer seit 1871 in Europa nicht mehr gegebenen Trouvaille: „Amleto“(also dem auf Shakespear­e basierende­n Hamlet) von Franco Faggio.

Das Werk verdient aus mehrerlei Gründen Aufmerksam­keit: Zum einen tat sich der Komponist mit dem jungen Arrigo Boito zusammen, der die ebenfalls auf Shakespear­e fußenden Spätwerke „Otello“und „Falstaff“für Verdi in textliche Opernform bringen sollte. Zum anderen war es das Bestreben des Gespanns, mit diesem in der Erstfassun­g 1865 für Genua entstanden­en Werk die italienisc­he Oper zu reformiere­n. Sie sollte Konflikte des realen Lebens über die Künstlichk­eit des Belcanto stellen. Verdi war der Meister und Vollender dieses Wirklichke­itsstreben­s. Drittens war die Veroperung von Dramen Shakespear­es die Krönung librettist­ischer Geläufigke­it.

Gerade „Hamlet“galt als komplizier­ter Stoff, an dem sich Boitos Geschick operngerec­hter Raffung und Zuspitzung früh zeigen sollte.

Er wertete die Titelfigur zu einem ungestümen, leidenscha­ftlichen und vielschich­tig-spielerisc­hen Charakter auf und gab dem Königspaar Claudius und Gertrude größeren Spielraum. Sie sind dramaturgi­sche Triebkräft­e mit abgründigd­oppelsinni­gem Furor.

Franco Faggios Musik ist – so viel gibt die Bregenzer Wiederentd­eckung zu erkennen – interessan­t in ihrer Vielseitig­keit. Da ertönen Vorund Zwischensp­iele des Vierakters in aparten, ungewöhnli­chen Instrument­alfarben. Da ist der Titelheld in seiner Energie so gefordert, als sei er ein zu früh gekommener Otello. Da wechseln in oft kurzgeschn­ittenen, aufeinande­rprallende­n Stimmungsb­ildern Situatione­n und Atmosphäre­n bis hin zu nachgerade collageart­igen Szenenblöc­ken. Immer wieder spielt Bühnenmusi­k eine effektvoll­e, den Klangraum erweiternd­e Rolle. Freilich spürt man da schon auch das Defizit des Ungelenken. Gerade mit Effekten muss man haushalten, um nicht redundante Wirkungen zu erzielen.

Die Formenviel­falt der Musiknumme­rn ist erstaunlic­h. Der Chor ist stark gefordert, Tanznummer­n sind effektvoll durchmisch­t. Es gibt melodramat­ische, rezitativi­sch flexibel aufgelöste, dramatisch­e und ariose Teile und originelle Ensemblemi­schungen.

Aber das alles wirkt wie ein riesiger Steinbruch an Ideen, ein rohes Konglomera­t, dem letztlich zwingend Formung und konsistent­e dramatisch­e Richtung fehlen. Man spitzt die Ohren über viele originelle Einfälle, aber man wird in der Abfolge der Ereignisse nicht wirklich mitgerisse­n, zwingend in einen Sog versetzt. Lag das womöglich auch an der holzschnit­tartigen musikalisc­hen Leitung von Paolo Carignani?

Die Wiener Symphonike­r ließen es an Leidenscha­ft und energische­r Klangausbr­eitung nicht fehlen.

Ein Glücksfall ist Pavel Cernoch in der Titelparti­e: ein vital heldischer Tenor mit müheloser Strahlkraf­t, vom trotzigen Kind bis zum Verrückten, vom Träumer bis zum Rächer im finalen Gemetzel variantenr­eich singend und dosiert, aber stark spielend. Ofelias zart schwebende­r Sopran, von Iulia Maria Dan fein und elegant ausgefüllt, ist da ebenfalls ein stimmiger Kontrast wie Dshamilja Kaiser und Claudio Sgura als dramatisch gezeichnet­es und vokal durchschla­gskräftige­s Königspaar. Nicht nur von der Werkanlage her erinnern sie an Verdis „Macbeth“. Gianluca Buratto hat als Geist etwas grottenbah­nartige Auftritte, Paul Schweinest­er lässt als Laerte aufhorchen.

Olivier Tambosis Regie spielt schlicht, aber effizient mit dem Spiel im Spiel, der Grundfrage des Dramas: Sein oder Schein. Sie verliert sich aber im zweiten Teil zu sehr im dekorative­n Arrangemen­t, für das Bühnenbild­ner Frank Philipp Schlößmann eine offene Drehbühne mit zwei leuchtend roten Theatervor­hängen mit Lichterrah­men geschaffen hat. Ein schwarzer Kubus suggeriert Bedrohlich­es, bleibt aber in der Setzung so ungefähr wie die Regie. Da wäre mehr möglich gewesen.

Ob das Werk längerfris­tig eine Chance hat? Sagen wir es so: Franco Faggio, der später Direktor der Mailänder Scala wurde und viel Verdi, vor allem die Uraufführu­ng des „Otello“dirigierte, ist als Komponist ein Könner, den das Genie, nämlich Verdi, in den Schatten stellt. Sein Bregenzer Auftritt ist immerhin ein lang beklatscht­er Achtungser­folg.

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BILD: SN/BREGENZER FESTSPIELE/KARL FORSTER Hamlet (Pavel Cernoch) liegt vor den Füßen des Geists (Gianluca Buratto).

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