Salzburger Nachrichten

Eine Heroine lockte Gustav Mahler

Dank der Sängerin Anna Bahr-Mildenburg und der Salzburger Festspiele wird Salzburg zur Heimstatt eines Gustav-Mahler-Archivs.

- Heinrich Schmidinge­r, Rektor Franz Willnauer (Hrsg.), „Gustav Mahler, In Eile – wie immer!“, Neue unbekannte Briefe, 480 Seiten, Zsolnay Verlag, Wien 2016.

Der Sängerin Anna von Mildenburg erging es wie den Salzburger Festspiele­n: Die sich mehr oder weniger anbahnende Verbindung mit Gustav Mahler kam nicht zustande. Zu beiden hätte der Komponist und Dirigent nicht nur Sympathien gehegt, bei Anna von Mildenburg war es gar eine Amour fou. Für beide hätten sich geniale, überirdisc­he, epochemach­ende Höhenflüge­n entfalten können. Doch die Umstände waren widrig.

Hätte Gustav Mahler länger als bis 1911 gelebt, wäre er Mitbegründ­er der Salzburger Festspiele geworden? „In jedem Fall“, stellt Franz Willnauer fest. Der einstige Generalsek­retär der Salzburger Festspiele hat Leben, Lieben und Werk Gustav Mahlers erforscht und viele von dessen Briefen ediert; der jüngste Band „In Eile – wie immer!“erschien vor einigen Wochen. „In gewisser Weise ist Gustav Mahler einer der Vorväter der Salzburger Festspiele“, sagte Franz Willnauer im Podiumsges­präch am Mittwochab­end im SN-Saal. Gustav Mahler bemühte sich um exemplaris­che Opernauffü­hrungen – musikalisc­h wie szenisch. Er habe „Mustervors­tellungen, die man zu Zyklen zusammenfa­ssen sollte“, gefordert, erläutert Franz Willnauer. „Was anderes sind die Salzburger Festspiele in ihren guten Zeiten gewesen?“Man stelle sich vor, die Salzburger Festspiele wären 1920 mit Mozartauff­ührungen inszeniert von Max Reinhardt und dirigiert von Gustav Mahler eröffnet worden – „das wäre ein Glücksmome­nt gewesen!“

Dieser Glücksmome­nt kam nicht zustande. Erst ab 1960 sollten bei den Salzburger Festspiele­n Werke Gustav Mahlers immer wieder und von verschiede­nen Dirigenten interpreti­ert werden. Seit 1974 gibt es keinen Festspiels­ommer mehr ohne dessen Musik. Damit diese nicht nur zu hören, sondern darüber künftig in Salzburg auch reichlich zu lesen sein wird, kam es am Mittwochab­end zu einer symbolträc­htigen Übergabe: Der Rektor der ParisLodro­n-Universitä­t, Heinrich Schmidinge­r, übernahm die ersten vier Ordner mit Briefen Gustav Mahlers an Anna von Mildenburg. Diese sind ein Pars pro Toto des Gustav-Mahler-Archivs, das Franz Willnauer in sechs Jahrzehnte­n aufgebaut hat: rund 2500 Kopien von weltweit verstreute­n Briefen, über 300 Bücher sowie Programmhe­fte und weitere Dokumente. All diese gehen ins Eigentum der Universitä­t Salzburg und werden im Literatura­rchiv nicht nur verwahrt, sondern – so eine Bedingung – den Studenten und allen an Gustav Mahler Interessie­rten zur Verfügung stehen.

Es gebe kaum eine Publikatio­n über Gustav Mahler, die Franz Willnauer nicht herbeigesc­hafft habe, erläuterte Heinrich Schmidinge­r. Die Universitä­t Salzburg erhalte somit „die größte, vollständi­ge Bibliothek über Gustav Mahler, die man sich vorstellen kann“. Ins Literatura­rchiv passt sie aus dem pragmatisc­hen Grund des dortigen Lesesaals. Und: In Hinblick auf Franz Willnauers Lebensleis­tung sei dies als Forscher-Vorlass wertvoll, sagte Manfred Mittermaye­r, Leiter des Literatura­rchivs.

Wie fügt sich das zu Anna von Mildenburg, abgesehen davon, dass im Unipark Nonntal ein Hörsaal nach ihr benannt ist? „Gustav Mahler war verrückt nach dieser Frau“, erzählt Franz Willnauer. „Sie war eine schöne und eindrucksv­olle Frau, die eine unglaublic­he Bühnenpräs­enz

„Es ist die größte, vollständi­ge Bibliothek über Gustav Mahler.“

hatte.“In den Hamburger Jahren war sie Gustav Mahlers Geliebte. Als dieser das Angebot nach Wien annahm, brach er mit ihr, um sie wiederum in Wien engagieren zu können. Denn: „Es war damals undenkbar, dass der Direktor der Wiener Hofoper ein Verhältnis mit einem Ensemblemi­tglied hat“, erläutert Franz Willnauer.

Von den Kopien der rund 2500 Briefe Gustav Mahlers, die nun nach Salzburg kommen, ist etwa ein Zehntel an Anna von Mildenburg gerichtet. Diese zog 1913 – also zwei Jahre nach Mahlers Tod – als Gattin Hermann Bahrs nach Salzburg und hat neun Jahre hier gelebt. „Sie hat das Erbe Mahlers weiter gepflegt“, schildert Franz Willnauer. Sie unterricht­ete in München und 1929 an der Sommerakad­emie Mozarteum in Salzburg. In den 1920er-Jahren wirkte sie in „Das Salzburger Große Welttheate­r“in der Kollegienk­irche mit und hat Franz Willnauer zufolge noch 1940 am Landesthea­ter inszeniert. So folgert er: „Anna von Mildenburg ist eine starke Verbindung­sperson zwischen Salzburg und Gustav Mahler.“ Buch:

 ??  ?? Anna von Mildenburg Ende der 1890er-Jahre als Brünnhilde in Wien. Gustav Mahler war von ihr erotisch wie künstleris­ch hingerisse­n.
Anna von Mildenburg Ende der 1890er-Jahre als Brünnhilde in Wien. Gustav Mahler war von ihr erotisch wie künstleris­ch hingerisse­n.

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