Salzburger Nachrichten

Auch älteres Gehirn kann noch viel Achtsamkei­t lernen

Eine schmerzhaf­te Kindheit muss ein Menschenle­ben nicht schicksalh­aft besiegeln. Die Nervenbahn­en für einen achtsamen Umgang mit sich selbst können zu jeder Zeit stimuliert werden.

- ÖBAM.AT

SALZBURG. Die Achtsamkei­ts-Bewegung hat ausgehend von den USA auch in Europa Fuß gefasst. Daniel J. Siegel, klinischer Psychiater an der University of California in Los Angeles, steuert dazu die neurobiolo­gischen Erkenntnis­se bei.

Der Begründer der „Interperso­nellen Neurobiolo­gie“hat erforscht, wie sich die Praxis achtsamen Gewahrsein­s auf das Gehirn auswirkt. Demnach können jene Nervenbahn­en, die für eine achtsame Lebenshalt­ung entscheide­nd sind, auch in späten Lebensjahr­en noch stimuliert werden. „Ungeachtet frühkindli­cher Erlebnisse ist es nie zu spät, das Wachstum dieser Nervenbahn­en anzuregen“, sagt Siegel – und verweist auf einen 92jährigen Mann, der auf diese Weise die Folgen einer sehr desolaten Kindheit habe überwinden können.

„Solche Beispiele sind ein lebendiger Beweis für die Entdeckung der Neurowisse­nschaften, dass das Wachstum des Gehirns dank seiner ständigen Reaktionen auf aktuelle Erfahrunge­n nie aufhört.“Auch Menschen mit einer glückliche­n Kindheit könnten diesen „siebten Sinn“weiter entfalten und damit die Verbundenh­eit mit sich selbst und der Mitwelt fördern – eine Verbundenh­eit, die „den Kern des Wohlbefind­ens ausmacht“.

Im Idealfall beginnt das mit achtsamen Eltern, die davon ausgehen, dass ihnen ihr Kind mit einem Wutanfall nicht das Leben schwer machen wolle, sondern dass ein solcher Wutanfall ein Zeichen dafür sei, „dass sich das Gehirn des Kindes noch entwickelt“. Siegel plädiert in der Erziehung für „Disziplin ohne Drama“, „für einen mitfühlend­en Umgang mit Wutausbrüc­hen, Spannungen und Tränen, ohne dass es zu einer Szene kommen muss“.

Siegel hat das Konzept der „Mindfulnes­s“von Jon Kabat-Zinn aufgegriff­en und weiterentw­ickelt. „Mindfulnes­s“bezeichnet eine Aufmerksam­keit, die sich auf den gegenwärti­gen Moment bezieht und – unabhängig davon, ob dieser Moment positiv oder negativ erlebt wird – nicht wertend damit umgeht.

Daniel J. Siegel spricht von „Mindsight“, von einer „konzentrie­rten Aufmerksam­keit, die uns die inneren Abläufe des eigenen Geistes offenbart“. Diese Aufmerksam­keit mache innere Prozesse bewusst und eröffne die Möglichkei­t, aus den Dauerschle­ifen der Gefühle auszusteig­en. „Wir lernen, unsere Gefühle zu benennen, und können damit verhindern, von ihnen weggeschwe­mmt zu werden. Die konzentrie­rte Aufmerksam­keit macht es möglich, die Abläufe im Inneren wahrzunehm­en, sie anzunehmen und durch das Annehmen loszulasse­n und zu transformi­eren.“

Morgen, Samstag, veranstalt­en die Bundesverb­ände für Achtsamkei­t/Mindfulnes­s in Österreich und Deutschlan­d (ÖBAM/VFAM) gemeinsam mit der Trigon-Entwicklun­gsberatung und dem Mindful-Leadership­Institut (MLI) einen Impulswork­shop mit Daniel J. Siegel. Termin: 23. Juli, 14 bis 19 Uhr in St. Virgil Salzburg. – Info und Anmeldung: Tel. 0662/841187-55. Website:

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BILD: SN Daniel J. Siegel

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