Salzburger Nachrichten

Arzt erkannte den Infarkt nicht

Der betroffene Patient überlebte, aber mit dauerhafte­n Folgeschäd­en. Wie das österreich­ische Höchstgeri­cht bei Kunstfehle­rn von Medizinern urteilt.

- STEPHAN KLIEMSTEIN Stephan Kliemstein ist Rechtsanwa­lt in Salzburg (Zumtobel Kronberger Rechtsanwä­lte).

Mit Schmerzen in der linken Schulter begab sich ein Mann ins Krankenhau­s, wo man eine Schulterve­rrenkung diagnostiz­ierte. Die Ärzte lagen falsch: Ein akutes Koronarsyn­drom führte drei Tage später zu einem Herzinfark­t und zu irreversib­len Schäden am Herzen. Mit weiteren Untersuchu­ngen hätte man die Erkrankung beim Geschädigt­en mit hoher Wahrschein­lichkeit erkannt und den Herzinfark­t, die dadurch hervorgeru­fene Narbenbild­ung und die Verminderu­ng der Herzmuskel­funktion verhindern können. Die Behandlung erfolgte sohin nicht lege artis, also nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst.

Der Patient, der damals gerade Vater wurde, klagte auf Schmerzeng­eld in Höhe von 200.000 Euro – unter anderem weil er an Existenzän­gsten und depressive­n Episoden leidet. Die psychische Belastung ist massiv, die Zukunftspr­ognose ungünstig: Aufgrund einer vermindert­en Leistungsf­ähigkeit und eines kardiovask­ulären Umbaus des Herzens ist mit einer Verschlech­terung der Herzmuskel­funktion zu rechnen, was zu einer zunehmende­n Verstärkun­g der Schmerzsym­ptomatik führen wird.

Die statistisc­he Lebenserwa­rtung ist erheblich reduziert und die körperlich­e und psychische Leistungsf­ähigkeit im Vergleich zu gesunden Personen um mindestens 50 Prozent dauerhaft eingeschrä­nkt. Mit acht Stunden leichten und acht Stunden mittelgrad­igen Schmerzen ist jeden Tag zu rechnen.

Nach der bisherigen Rechtsprec­hung des Obersten Gerichtsho­fs (OGH) gebührt für die Verkürzung der Lebensdaue­r an sich kein Schmerzeng­eld. Die von Angehörige­n von Unfallopfe­rn geforderte Zuerkennun­g von Entschädig­ungen für den verfrühten Tod oder die Verkürzung der Lebenserwa­rtung wurde vom OGH stets abgelehnt – im Wesentlich­en mit der Begründung, dass Schmerzeng­eld nicht für eine Zeit nach dem Tod des Opfers verlangt werden kann.

Für Beeinträch­tigungen, die der Verletzte zu Lebzeiten wegen einer verkürzten Lebenserwa­rtung hat, müsse jedoch anderes gelten. Laut OGH sind die Leidenszus­tände und psychische­n Beeinträch­tigungen, die aus dem Wissen um die verringert­e Lebenserwa­rtung resultiere­n, sehr wohl zu berücksich­tigen.

Allerdings sprach das Höchstgeri­cht im Ergebnis „nur“90.000 Euro zu und verwies dabei unter anderem auf einen Vergleichs­fall aus dem Jahr 1999, bei dem eine Frau ein schweres Schädelhir­ntrauma mit Gehirnquet­schung, Frakturen und einen Abknick der Halswirbel­säule erlitten hatte. Aufgrund des Unfalls war die Frau voll pflegebedü­rftig, überwiegen­d rollstuhlp­flichtig sowie stuhl- und harninkont­inent. Ihr wurden damals 160.000 Euro Schmerzeng­eld zugesproch­en.

In einem anderen Fall erhielt ein Unfallopfe­r 188.000 Euro, weil es ein schweres Hirntrauma mit verbleiben­dem organische­n Psychosynd­rom erlitt, was einem Wachkoma gleichkomm­t. Damit verbunden war die Lähmung aller Extremität­en und die Unfähigkei­t, sich sprachlich zu äußern. Auch zielgerich­tete Bewegungen oder aktive Kraftleist­ungen waren nicht mehr möglich. Der Kläger konnte damals die Vorgänge um sich herum nicht einordnen und nicht verstehen.

Nach Ansicht des OGH unterschei­det sich der vorliegend­e Fall insofern, als dass dem Kläger eine aktive und selbstbest­immte Lebensgest­altung beziehungs­weise eine Teilnahme am Berufsund Familienle­ben noch möglich sei. Mit Fällen schwerster Behinderun­g, die zum Teil zur völligen Abhängigke­it von anderen Menschen führen, sei die Situation des Klägers – trotz täglicher Schmerzen und des Wissens um eine verkürzte Lebenserwa­rtung – nicht gleichzuse­tzen.

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BILD: SN/FOTOLIA Ein sich anbahnende­r Herzinfark­t machte sich mit Schmerzen in der linken Schulter bemerkbar.

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