Der Terror erreicht München Das Hauptziel war ein Einkaufszentrum
Paris, Brüssel, Nizza – und jetzt München? Attentäter erschießen mindestens acht Menschen in der bayerischen Metropole. Wer sie sind, blieb zunächst unklar. Die Polizei sprach von einer „akuten Terrorlage“.
Bei einem für Deutschland beispiellosen Anschlag in der bayerischen Landeshauptstadt sind am Freitag nach Polizeiangaben mindestens acht Menschen ums Leben gekommen, mehrere weitere wurden teilweise schwer verletzt. Die Polizei warnte nach Schüssen im Olympia-Einkaufszentrumn vor einer „akuten Terrorlage“. Es habe aber zunächst keine Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund gegeben. Bis zu drei Männer mit „Langwaffen“seien auf der Flucht, teilte ein Polizeisprecher am späten Abend mit. Man suche im gesamten Stadtgebiet und im Umland nach den Tätern. In Teilen der Stadt herrschte Panik.
Die Polizei erklärte, einen Kilometer vom Einkaufszentrum entfernt sei eine männliche Leiche gefunden worden. Ermittler prüften, ob es einer der Täter war.
Die Sicherheitsbehörden wussten nach Angaben von Kanzleramtsminister Peter Altmaier zunächst konkret nur von einem Täter. „Wir haben von einer Person die Gewissheit“sagte Altmaier am Freitagabend in Berlin. Man wisse nicht mit Sicherheit, ob diese Person Helfer hatte. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und Innenmi- nister Joachim Herrmann setzten ein Krisentreffen in der Staatskanzlei an. Die Bundesregierung in Berlin berief für heute, Samstag, das Sicherheitskabinett ein.
Der öffentliche Nahverkehr – UBahnen, Busse und Straßenbahnen – wurde komplett eingestellt, ebenso der Zugverkehr. Der Münchner Hauptbahnhof wurde evakuiert. Ärzte und Schwestern wurden in die Krankenhäuser gerufen. Restaurants in der Innenstadt schlossen aus Sicherheitsgründen.
Unklar war zunächst, ob es in der Innenstadt eine weitere Schießerei gab. Auch dort kam es zu einem Großeinsatz schwer bewaffneter Polizisten, nachdem Menschen schreiend und in Panik in Richtung Stachus geflohen waren. Ein Polizeisprecher sagte später, Hinweise von Bürgern per Notruf über Schusswechsel an anderen Stellen der Stadt hätten sich nicht bestätigt.
„Wir wissen derzeit nicht, wo sich die Täter befinden. Passt auf Euch auf und meidet nach wie vor die Öffentlichkeit“, schrieb die Polizei rund zwei Stunden nach Beginn der Schießerei auf Twitter. „Starke Polizeikräfte in der gesamten City. Wir fahnden mit Hochdruck nach den Tätern“, hieß es später. Reporter berichteten von Panik in Teilen der Stadt. Nach der Sperre des Hauptbahnhofs seien auch Menschen über die Gleise geflohen.
Nach den Schüssen eilten von überall in der Stadt Polizei- und Rettungskräfte zum Olympia-Einkaufszentrum (OEZ). Die Gegend war abgeriegelt. Über der ganzen Stadt kreisten Hubschrauber. Der Anschlag begann laut Polizei um 17.52 Uhr bei einem Schnellrestaurant. Das OEZ, mit 135 Geschäften eine der größten Shoppingmeilen Münchens, liegt in einem Wohngebiet, zwei U-Bahn-Stationen vom Olympiastadion entfernt.
Terror in München, Angst in der ganzen Stadt. Um 17.52 Uhr geht der erste Alarm bei der Polizei ein. Schüsse nahe einem Einkaufszentrum im Nordosten der Stadt werden gemeldet. Nachrichten über Tote und Verletzte machen über soziale Netzwerke wie ein Lauffeuer die Runde. Die Lage ist unklar, auch Stunden nach dem Alarm noch.
Rund um das Olympia-Einkaufszentrum herrscht Ausnahmezustand. Blitzschnell wird es von der Polizei geräumt, alles ist weiträumig abgesperrt, auch die Straßen rundherum sind dicht. Hunderte Beamte sind im Einsatz, viele schwer bewaffnet und mit schusssicheren Westen ausgerüstet. Doch wo sich die Täter befinden, darüber herrscht zunächst noch völlige Ungewissheit. Bis zu drei Männer sollen es sein, mit Langwaffen auf der Flucht in der Millionenstadt.
Eine Augenzeugin schildert die Situation unmittelbar nach den Schüssen. „Wir waren gerade bei McDonald’s essen“, erzählt die junge Frau. „Dann ist Panik ausgebrochen.“Mitarbeiter seien rausgerannt, Gäste hinterher, berichtet sie in einem Video, das BR24 auf Twitter veröffentlicht hat. „Kinder haben geheult, sind panisch rausgerannt, und man hat drei Schüsse gehört.“Wer geschossen hat, konnte sie allerdings nicht beobachten.
Auf einem anderen Video im Internet war zu sehen, wie ein Mann aus einem McDonald’s-Restaurant kommt und mit einer Handfeuerwaffe wahllos auf Menschen schießt. Die Quelle dieses Videos, das auf Twitter veröffentlicht wurde, war zunächst unklar.
Die Tat hier trifft die Stadt an einem Lebensnerv, Freitagnachmittag herrscht in dem Einkaufszentrum in der Regel Hochbetrieb. Alle großen Ketten haben hier Geschäfte. Dann machen Gerüchte die Runde, auch in der Innenstadt seien Schüsse gefallen. Die Polizei ruft die Menschen dazu auf, zu Hause zu bleiben.
Fast gleichzeitig gibt es auch am Stachus mitten in der City Alarm – aber niemand weiß zunächst etwas Genaues. Menschen flüchten aus der Innenstadt, überall marschieren schwerbewaffnete Polizisten auf. Eine Stadt in Todesangst – zu frisch sind noch die Eindrücke von Nizza und von der Axt-Attacke in Würzburg. Menschen hasten in Bürohäuser und Restaurants. Eine junge Frau setzt sich völlig erschüttert auf die Steintreppen in einem Bürogebäude und weint. „Ich will nicht sterben“, schluchzt sie mit bebender Stimme. „Hier bist Du in Sicherheit“, versucht eine Frau sie zu beruhigen. Auch in den Keller des Restaurants „Il Sogno“flüchteten etwa 20 bis 30 Menschen.
Schreiend laufen gegen 19.00 Uhr Gäste in die Küche der McDonald’s-Filiale Stachus. Ein Mitarbeiter versperrt schnell alle Türen. Auch von der McDonald’s-Verwaltung sei er telefonisch angewiesen worden, geschlossen zu halten, sagt der Mann. Die Stimmung unter den Gästen sei ruhig. „Wir versorgen die Leute mit Getränken und Essen.“
Die Fußgängerzone, auch der Marienplatz in der Innenstadt – sonst Mittelpunkt des städtischen Trubels – sind schnell wie leer gefegt. Im Hofbräuhaus sind gegen 21.00 Uhr keine Gäste mehr da. Das Personal räumt auf, wie Serviceleiter Werner Posselt sagte. „Hier ist zwar nichts passiert, aber es hat sich Panik ausgebreitet.“Angst, Todesangst treibt die Leute weg. Bei Twitter bieten unter dem Hashtag #Offenetür Nutzer sichere Zufluchtsorte für Passanten an.
Eine Touristin aus Italien fragt in der Innenstadt einen Münchner, wo sie sicher ist. „Am besten gehen Sie in ein Restaurant“, lautet die Antwort. Nur runter von der Straße. Die Geschäfte in der Innenstadt schließen weit vor Ladenschluss. Eiserne Gitter werden eilends runtergelassen, manchmal bleiben die Auslagen draußen mit Sonderangeboten stehen. Über der Stadt kreisen Polizeihubschrauber, überall hört man Sirenen von Polizeiund Rettungsfahrzeugen. Auf den Straßen unzählige Staus. UBahn, S-Bahn, Straßenbahnen und Busse – alles steht still. Der Hauptbahnhof wird geräumt, alle Züge umgeleitet. Schnell ist die große Bahnhofshalle menschenleer, die Zugänge werden von Polizisten mit Maschinenpistolen bewacht. Menschen flüchten sogar über die Gleise Richtung Heimat. An den Kreuzungen um den Bahnhof stehen schwer bewaffnete Polizisten.
Eine Touristin war auf einem Bierfest in München und wollte mit ihrem Mann im Zug zurück nach Murnau. Nun sind sie am Bahnhof gestrandet. „Wir sind schockiert, wir hatten einen so friedvollen Tag“, sagt die 51-Jährige.