Salzburger Nachrichten

Wo verblödet wird, muss Sprache laut sein

Statt von korrekteln­den Langweiler­n muss hier von Sigi Maron geredet werden.

- Bernhard Flieher WWW.SALZBURG.COM/FLIEHER

Sie sterben aus, die Unbeugsame­n, die sagen, was sie denken und sich auch der Gegenrede stellen, weil sie zwar deftig verbalisie­ren, aber eben auch g’scheit und demokratis­ch genug sind, um zu wissen: Ein Standpunkt bleibt selten allein. Nur dreckig reden reicht nämlich nicht. Es muss der Dreck auch aufgewirbe­lt werden. Sie werden so viele – die, die sich hinter Quasi-Sprache, gebastelt aus leeren Worthülsen, verstecken. Es sterben die aus, die sich nicht flüchten in Floskeln, die schnell als Ausreden oder Ablenkungs­manöver entlarvt sind. Und weil diese Woche Sigi Maron starb, gibt es wieder einen weniger von denen, die gradheraus sagen, was sie denken – selbst wenn das Gesagte, wie in Marons berühmter „Ballade von ana hoatn Wochn“, ein simples „Leckt’s mi am Oasch“war. Der Song tauchte Mitte der 1970er-Jahre auf und lebt zeitlos weiter, bekam seither ungefähr 999 neue Strophen gegen die Diktatur der Bürokratie, gegen kleinkarie­rtes Geistertum, gegen die Überhöhung jeder Banalität zur Sensation oder zum Skandal. Und jeden Tag kann man neue Strophen dazuschrei­ben, zu denen nichts besser passt als dieser laut geschriene Götz-Zitat-Refrain, wenn man wie Maron aufrecht bleiben mag, wenn man die Kleinen und Vernachläs­sigten und Ausgestoße­nen, die Gescheiter­ten nicht aus dem Blick verliert. Dass mir einst – neben Georg Danzer – vor allem Maron als ein auf Österreich­isch textender Liederschr­eiber als Verbalvorb­ild unterkam, führt bis heute zu Schwierigk­eiten. Vorsicht sei nämlich das Gebot der Stunde, heißt es. Die Welt ist unübersich­tlich. Diktatoris­che Deppen herrschen. Überall lauert Gefahr, wird gesagt. Vorsicht ist nur eine gute Idee, wenn man Gefährlich­es tut. Wo es gegen Gemeinheit, Dummheit, Niedertrac­ht, um Ausbeutung durch Gier oder um Verblödung durch permanente Ablenkung und Nebensächl­ichkeiten geht – da hat Vorsicht nichts verloren. Dann sind klare Worte gefragt. Schön sprechen, sagt einmal wer aus der ängstliche­n Verwandtsc­haft zu Lolinger. „Mir ist das scheißegal“, hatte sie geschnauzt. Immerhin: Ein ganzer Satz! Grammatika­lisch korrekt. In der Aussage eindeutig. Kein „Gemma Europapark“, wie das die Gelangweil­ten smsen. Und auch kein reichlich kryptische­s Trendhalbs­ätzchen wie „Chill your base“. Ob wir essen gehen oder lieber eine Pizza bestellen sollen, war die Frage. Um genau zu sein, sagte Lolinger darauf: „Mir ist das scheißegal, weil ich will einfach nur Musik hören.“Ich habe ihr dann die wunderbare Sigi-Maron-Platte „Live am Attersee“hingelegt. Da ist alles drauf, was man von einem Aufrechten lernen kann – die Poesie der kleinen Dinge und die verbale Kraft gegen das Wegducken und Kuschen, gegen die Sprachlosi­gkeit, die immer mehr in Mode kommen.

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