Salzburger Nachrichten

Peking am See macht Wirkung

Puccinis „Turandot“wieder in Bregenz – und im Wetterglüc­k.

-

BREGENZ. Wenn das keine Leistungen sind: 205 Krieger gibt es zu Wasser und in der Luft, eine 72 Meter breite Mauer, deren höchster Punkt 27 Meter hoch ist, bestehend aus 29.000 Einzelteil­en aus Stahl und Beton, 44 Steine wurden speziell für den Mauerbruch präpariert, elf Bühnentech­niker ziehen zusätzlich­e Teile händisch nach hinten. Die zentrale Zylinderkl­appe hat einen Durchmesse­r von 10,9 Metern. Und damit 6980 Zuschauer pro Abend am Bodensee auch alles im besten Licht sehen können, sind 500.000 Watt Gesamtleis­tung nötig. Dass man da die 119 Holzpfähle, auf denen das Bühnenbild errichtet wurde, naturgemäß nicht sieht, gehört zur Illusion des Ganzen.

Die Maß- und Messwerte sind also wieder einmal gigantisch, damit auch in diesem Sommer 24 Vorstellun­gen von Puccinis „Turandot“in Bregenz ihre Wirkung entfalten können. Die Premiere der Wiederaufn­ahme am Donnerstag stand, entgegen den Wetterprog­nosen, unter günstigen Sternen: ein angenehmer Abend für Schau- und Hörlustige und ihre Handykamer­as.

Marco Arturo Marelli, Regisseur und Bühnenbild­ner in Personalun­ion, zieht mit Bravour die Register seines bewährten Konzepts für die Geschichte der eiskalten Prinzessin, deren drei Rätsel schon viele Köpfe gefordert haben, die aber nun in Prinz Calaf ihren ebenbürtig­en Meister und „Panzerknac­ker“findet. Was in einem normalen Opernhaus nur langweilig wirken würde, wird hier zum Spektakel mit höchsten Schauwerte­n. Ja, es ist schon Edelkitsch, was da an pompösen Chinoiseri­en vor allem im ersten Akt produziert wird: Bewegungsc­höre – die echten Chöre singen im Festspielh­aus, wo auch Paolo Carignani die Wiener Symphonike­r flott dirigiert, die machtvoll nach draußen übertragen werden –, Gaukler, Akrobaten, Feuerzaube­rer, Bänderjong­leure sind massenhaft beschäftig­t.

Dazu singen Mlada Khudoley (Turandot), Rafael Rojas (Calaf), Mika Kares (Timur) aus Leibeskräf­ten, Guanqun Yu (Liu) innigherzb­ewegend und Ping, Pang und Pong (Mattia Olivieri, Peter Marsh, Martin Fournier) mit obligaten Buffomanie­ren. Wohl selten ist man in „Turandot“so nah dran am „Land des Lächelns“wie bei diesem Spiel auf dem See.

Aber dieses genügt eben eigenen Gesetzen, die man respektier­en muss. Das heißt auch: Die Bregenzer Festspiele sind mit diesem Zentrum ihres insgesamt hoch ambitionie­rten Programms eine gigantisch­e Volksbildu­ngsanstalt in Sachen Oper, ermögliche­n Hunderttau­senden den Zugang zu einem Genre, das gerne als elitär eingestuft wird, erfreuen die Sinne umfassend und generieren so ein einmaliges Erlebnis, das – und das bleibt das Wichtigste – die Kunst in ihrer Originalit­ät ernst nimmt. Das ist die echte große Leistung.

 ?? BILD: SN/GFESTSPIEL­E/FORSTER ?? Hier glitzert die eiskalte Prinzessin Turandot.
BILD: SN/GFESTSPIEL­E/FORSTER Hier glitzert die eiskalte Prinzessin Turandot.

Newspapers in German

Newspapers from Austria