Die Sonne im Rücken
Der Etschradweg. Vom Tiroler Ort Nauders über den Reschenpass durch das blühende Südtirol bis in die Opernmetropole Verona rollen die E-Bikes – fast – wie von selbst.
„Schau, Nini, des is insa Boch!“erklärt eine Oma ihrer Enkelin am Ufer der Etsch in Glurns. In Reschen – wo die beiden Sommerfrischlerinnen herkommen – entspringt die Etsch, italienisch Adige, als kleines Rinnsal knapp an der Grenze zu Südtirol auf 1525 Metern Seehöhe. Von dort aus schlängelt sie sich durch ganz Südtirol, wächst dann im Trentino und Veneto zu einem großen Fluss an, um schließlich in die Adria zu münden. Aber so weit sind wir noch nicht. Wir haben gerade einmal 30 Kilometer von Nauders nach Glurns zurückgelegt. Bis auf drei hartgesottene Radfahrer, die sich als Rennradler auf die eigene Muskelkraft verlassen, hat sich der Rest der Gruppe für Elektroräder entschieden. Diese „Pedelecs“punkten nämlich durch eine äußerst angenehme „Trittkraftverstärkung“per Elektromotor, die jeder Steigung ihren Schrecken nimmt. Wobei es auf der Tour eigentlich nur 100 Höhenmeter rauf zum Reschenpass zu bewältigen gilt. Ansonsten verläuft die Route Richtung Verona immer angenehm bergab. Aber mit elektrischem Rückenwind fährt es sich einfach bequemer und vor allem schneller. Durstig macht die Fahrt trotzdem. Ein Abstecher führt in Traude Horvaths Salone delle erbe in der Laubengasse in Glurns. Nach hausgemachtem Zitronen-Pfefferminz-Eistee und einem Happen Räucherforellenmus mit Safran-Fenchel und zwei Kartoffelblinis mit Gurkenrahm blickt die gebürtige Burgenländerin in zufriedene Gesichter. In ihren Tees landen ausschließlich die Stilfser Bergkräuter, die ihr Lebensgefährte Siegi Platzer auf 1300 Metern angebaut oder noch höher am Berg wild gesammelt hat.
So hoch müssen wir an diesem Tag zum Glück nicht mehr. Unser nächstes Etappenziel ist der mondäne Kurort Meran. Hier sind wir in bester Gesellschaft, versammelten sich doch in diesem „Nizza Tirols“während der k. u. k. Monarchie der europäische Hochadel und namhafte Künstler. Zu Kaffee und Konzert, zu Plausch und Pferderennen: Neben dem alljährlichen Haflinger Galopprennen am Ostermontag ist das hoch dotierte Hindernisrennen am letzten Sonntag im September die prestigeträchtigste Pferdeveranstaltung Italiens.
Bis dahin ist aber noch reichlich Zeit. Weiter geht es gen Süden nach Trient. Donnerstag ist großer Markttag auf der Piazza Mario Pasi: An den Ständen werden frisches Obst und Gemüse und Jungpflanzen verkauft, aber auch Wein, Käse, Würste und Fisch. Man trifft sich zum zum Einkaufen und Plaudern, Besucher trinken genüsslich Kaffee in einem der kleinen Lokale am Rande der Piazza. Das Mittelmeer lässt bereits grüßen – haben in den Geschäftsauslagen in Meran noch Bergsteigeroutfits dominiert, mischt sich in Trient nun auch leichtes, feminines Schuhwerk dazu. Noch gibt es keine Gelegenheit, die Sportschuhe gegen Pumps zu tauschen, es wird weitergeradelt.
Am nördlichen Ufer des Gardasees verbindet sich auf einzigartige Weise mediterrane Lieblichkeit mit alpiner Schönheit. Im Garten des Hotels Piccolo Mondo in Torbole wachsen Palmen und Olivenbäume und der Seniorchef des Hauses erzählt beim Dessert von den berühmten Radrennfahrern, die in seinem Hotel schon genächtigt haben. Als einst hoher Funktionär des italienischen Teams ist Signore Chiesa mit dem ehemaligen Radsuperstar Francesco Moser befreundet. Und obwohl Moser vor Kurzem seinen 65. Geburtstag feierte, hätte er uns E-Biker sicher locker abgehängt. Meint zumindest der Patron. Wir schlafen einmal drüber, denn vor uns liegt der letzte Teil der Radreise, die Fahrt nach Verona.
In Verona dreht sich alles um große Gefühle. Schuld daran sind Romeo und Julia, das wohl berühmteste Liebespaar der Weltliteratur. Ob es die verfeindeten Familien und deren unglücklich ineinander verliebte Sprösslinge tatsächlich gegeben hat, ist eigentlich egal. Shakespeares Tragödie treibt immer wieder neue Blüten. In der Arena hingegen widmet man sich einer anderen tragisch Liebenden, nämlich Carmen. Zum Auftakt der heurigen Opernsaison wurde die Oper in der ausladenden Inszenierung von Franco Zeffirelli gezeigt. Alles schön bunt. Während feierliche Abendkleidung im Parkett dominiert, geht es auf den Rängen weiter oben lockerer zu. Oper in Verona ist bei Weitem nicht so steif wie in Österreich, sondern hat eher den Charme und Charakter eines Volksfests.
In den Pausen ziehen Bauchladen-Verkäufer mit Bier, Wein und Wasser durch die Ränge, dann wird wieder heftig mitgefiebert, ständig gibt es Szenenapplaus, mitunter wird sogar mitgesungen – es ist fantastisch. Am Ende stirbt Carmen trotzdem, und auch ihr eifersüchtiger Ex José will nicht länger leben. Wir hingegen schon, denn die Nacht ist noch jung und in Italien geht man nach einem Opernabend nicht zum Würstelstand, sondern in eine Konditorei. Italien hat eben Stil.