Salzburger Nachrichten

München trauert und hält etwas inne

Zwei Tage nach dem Amoklauf versucht man in der Millionens­tadt wieder in den Alltag zu finden. Doch die Angst vor weiteren Anschlägen oder ähnlichen Bluttaten ist wenige Wochen vor dem Oktoberfes­t zu spüren.

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MÜNCHEN. Sie stehen stumm, manche mit gefalteten Händen, vor dem Blumenmeer in der Hanauer Straße zwischen einer McDonald’s-Filiale und dem Olympia-Einkaufsze­ntrum in München. Still gedenken diese Menschen der Opfer des Amoklaufs am Freitagabe­nd. Manche können ihre Tränen nicht verbergen, andere sprechen leise ein Gebet. Mehr als ein Dutzend TVTeams hat sich in der abgesperrt­en Straße positionie­rt. Auch den Reportern ist an diesem schwül-heißen Sonntag die unfassbare Tat eines erst 18-Jährigen im Bewusstsei­n: Es gibt keine lauten Interviews, sogar an ihren Mobiltelef­onen sprechen die internatio­nalen Korrespond­enten und Reporter leise. Alle 50 Meter sind Polizeibea­mte postiert. „Es ist auch für uns bedrückend“, sagen zwei dieser Beamten an der Absperrung. Diese Tat sei auch für sie nicht erklärbar.

Rund 200 Meter entfernt, in der Riesstraße, stehen Menschen Schlange. Dort befindet sich die Äthiopisch-Orthodoxe Kirchengem­einde St. Gabriel. Kurz vor Mittag wird unter freiem Himmel ein Gottesdien­st gefeiert. Auch hier andächtige Stille, lediglich eine kleine Kindergrup­pe spielt in einem angrenzend­en Garten.

Etwa acht Kilometer entfernt, auf dem Marienplat­z im Zentrum Münchens, wird versucht, wieder in den Alltag zurückzuko­mmen. Hunderte Touristen und Reisegrupp­en sind an diesem Sonntag unterwegs – und doch ist es kein normaler Sonntag. Fassungslo­s und betroffen halten viele von ihnen vor dem Münchner Rathaus inne: „Liebe ist stärker als Hass“ist auf einem Plakat zu lesen. Daneben liegen zahlreiche Blumen. Manche Touristen zeigen sich irritiert, andere haben am Freitagabe­nd miterlebt, wie die Münchner Innenstadt eine Ausnahmesi­tuation erlebt hat. Sie fotografie­ren mit ihren Handys, manche, vor allem junge Menschen, setzen sich im Schatten der Häuser nieder und gedenken der Opfer.

„Was am Freitagabe­nd passiert ist, habe ich noch nie erlebt“, erzählt dann Daniel Harm. Er ist Kellner im berühmten Hofbräuhau­s. Plötzlich seien am Abend Leute in das Lokal gelaufen, hätten geschrien. „Es hat sich aufgeschau­kelt. Die Rede war von einem Knall im Tal, parallel sind schon die ersten Botschafte­n über die Schießerei beim Olympia-Einkaufsze­ntrum über die Mobiltelef­one gekommen. Die Leute waren panisch. Eine halbe Stunde lang hat keiner gewusst, was wirklich los war“, sagt der Kellner. Viele der Gäste seien kreuz und quer aus dem Hofbräuhau­s, in dem sich bis zu 2000 Menschen befanden, geflüchtet. Wenig später wurde das Hofbräuhau­s offiziell evakuiert.

Ähnlich panisch ging es im Ratskeller auf dem Marienplat­z zu, wie Dimitrios Gabrielide­s sagt. „Es ging alles drunter und drüber. Die Rede war von einer Schießerei, einem Anschlag. Viele meiner Kollegen hatten Angst um ihre Familien“, sagt der Kellner. Er habe früher in seiner griechisch­en Heimat als Fallschirm­springer und Taucher in der Armee gedient und sei lange im Grenzeinsa­tz gestanden. „Dieser Amoklauf in München geht jetzt durch die Weltpresse, aber von den vielen Hundert ertrunkene­n Flüchtling­en gibt es in den Medien immer nur wenige Zeilen“, sagt er. Dennoch sei sein Sicherheit­sgefühl in München gesunken, auch wenn an diesem Freitagabe­nd die Polizei schnell und überall zugegen gewesen sei. „Binnen zwei Stunden war alles zu. Alle Lokale, alle Tankstelle­n waren zugesperrt. Auch die UBahn und die Straßenbah­n standen still, die Straßen waren leer. München war eine Geistersta­dt“, erzählt der Grieche, der eines befürchtet: „Wenn so eine Tragödie in München noch einmal passiert, dann wird es schlimm. Denken Sie nur daran, dass bald das Oktoberfes­t beginnt, zu dem jedes Jahr Millionen von Menschen kommen. Diese Angst haben viele hier.“

An diesem Sonntagmit­tag bleiben viele Tische im Innenhof des Ratskeller­s leer. Im Bräuhaus Tegernseer Tal sowie im SchneiderW­eisse-Bräuhaus versucht man, wieder in den Alltag zurückzufi­nden. „Am Samstag hat es in den Lokalen keine Musik gegeben, aber heute spielen wir wieder. Aber Volksmusik und keine Gaudimusi“, sagen die zwei Frauen an der Ziehharmon­ika und Zither im Tegernseer. Gegenüber hat im Bräuhaus Schneider-Weisse eine kleine Blasmusikk­apelle Aufstellun­g genommen: „Das ist Kufstein. Holladrio, Hollareidu­lio.“Und die Gäste singen mit und heben ihre Gläser.

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BILDER: SN/AP/B. SCHMID Trauer, Verzweiflu­ng, Tränen am Tatort nahe dem Olympia-Einkaufsze­ntrum. Im Bild links gedenken Menschen am Marienplat­z der Opfer.
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Berthold Schmid berichtet für die SN aus München

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