Salzburger Nachrichten

Auch demokratis­che Wege können stracks in die Tyrannei führen

Heute braucht es keinen Putsch, um sich als Alleinherr­scher zu etablieren. Manchmal reichen auch Wahlen und ein gehöriges Maß an Manipulati­on.

- Viktor Hermann VIKTOR.HERMANN@SALZBURG.COM

Der Weg zur politische­n Herrschaft führt in zivilisier­ten, demokratis­chen Ländern über das Instrument der Wahlen. In gefestigte­n Demokratie­n garantiere­n eine Verfassung und die Trennung der staatliche­n Gewalten voneinande­r den stetigen Wechsel an den Schalthebe­ln der Macht. Dazu gehört freilich etwas, das in keiner Verfassung festgelegt ist und nur als allgemeine Übereinkun­ft aller politisch Handelnden existiert: die feste Zusage aller am politische­n Prozess Beteiligte­n, sich an die Spielregel­n zu halten und diese Spielregel­n auch dann nicht zu ändern, wenn man kurzfristi­g die dafür erforderli­che Mehrheit in einem Parlament hat. Dazu gehört auch, den Wahlsieg des Gegners anzuerkenn­en, auch wenn einem das gar nicht passt.

Halten sich einzelne Politiker nicht an diese Spielregel­n, wächst die Gefahr, dass einzelne Personen oder Parteien sich über das Gesetz erheben und mit allerlei Tricks versuchen, ihre Macht zeitlich unbegrenzt zu behalten.

Man muss nicht in die erste Hälfte des vorigen Jahrhunder­ts zurückgehe­n, um Beispiele für solche Machtübern­ahmen zu finden. Aus Ländern, die eher den Namen Bananenrep­ublik verdienen als den einer Demokratie, kennen wir das hinreichen­d auch in diesem Jahrhunder­t.

Der venezolani­sche Offizier Hugo Chávez zum Beispiel trat ans Licht einer breiteren Öffentlich­keit, als er 1992 versuchte, durch einen Militärput­sch die schwach ausgebilde­te demokratis­che Ordnung auszuhebel­n. Nach dem Scheitern dieses Putsches verlegte sich Chávez darauf, die Macht demokratis­ch zu erringen, begann aber unmittelba­r nach einer gewonnenen Präsidents­chaftswahl damit, die Verfassung zu ändern und damit den Boden zu bereiten für eine lange Periode des „Chavismus“in dem an Erdöl reichen, an politische­m Anstand so armen Land.

Russlands neuer Zar, Wladimir Putin, ist auch durch Wahlen an die Macht gekommen. Er hat die Verfassung ausgetrick­st, indem er nach zwei Amtsperiod­en als Präsident Ministerpr­äsident wurde und seine Marionette Dmitrij Medwedew von diesem Amt aus fernsteuer­te, nur um dann wieder ins Präsidente­namt zurückzuke­hren, ohne dass auch nur irgendein anderer Politiker eine Chance als Gegenkandi­dat gehabt hätte.

Putin hat als ehemaliger KGB-Offizier die Instrument­e der Unterdrück­ung sozusagen im kleinen Finger. Er hat die Pressefrei­heit abgeschaff­t, die politische Opposition durch Überredung oder Verbote ausgeschal­tet und heute waltet er ganz wie einst die Zaren absolutist­isch und ohne jede parlamenta­rische Kontrolle. Dass der Mann dabei nicht nur mächtig, sondern auch noch reich geworden ist, versteht sich fast schon von selbst.

Das jüngste Modell für diesen Vorgang beobachten wir in der Türkei. Auch Recep Tayyip Erdoğan kam als demokratis­ch gewählter Politiker zunächst als Ministerpr­äsident an die Regierung. Offenbar kann der Mann nicht genug kriegen vom Geschmack der Macht. Er baut die Türkei um zu einer Präsidiald­iktatur und nutzt jetzt den gescheiter­ten Putsch eines Teils des Militärs dazu, alle politische­n Gegner endgültig auszuschal­ten.

Auch in anderen Ländern versuchen Politiker dasselbe Konzept. Auch Viktor Orbáns Bürgerpart­ei in Ungarn und die Recht-und-Gerechtigk­eits-Partei in Polen versuchen, durch Verfassung­sänderunge­n die Opposition auch in Zukunft von den Hebeln der Macht fernzuhalt­en. Die Mittel zum Zweck sind überall gleich: Die Herrschend­en definieren Kritiker zu „Staatsfein­den“um; sie unterwerfe­n die unabhängig­e Gerichtsba­rkeit ihrer Kontrolle; sie schaffen die Meinungsfr­eiheit ab und unterwerfe­n die Medien staatliche­r Kontrolle; sie entfernen Opposition­elle aus den Schaltstel­len von Verwaltung, Kultur und dem Bildungsap­parat. Und sie appelliere­n an die Gefühle ihrer Anhänger, indem sie die „Nation“überhöhen und alles Fremde und alle Fremden als Bedrohung darstellen.

Letztlich krallen sie sich mit diesen Methoden an die Macht, die ihnen die Wähler für begrenzte Zeit anvertraut haben, und lassen sie nicht mehr los. Den Wählern bleibt nichts übrig, als schon bei der Wahl dafür zu sorgen, dass solche Typen gar nicht erst an die Macht gelangen. Dann braucht man sich auch hinterher nicht zu „wundern, was alles möglich ist“.

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Demokratis­ch gewählt und dann zum Alleinherr­scher aufgestieg­en: Recep Tayyip Erdoğan.
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