Auch demokratische Wege können stracks in die Tyrannei führen
Heute braucht es keinen Putsch, um sich als Alleinherrscher zu etablieren. Manchmal reichen auch Wahlen und ein gehöriges Maß an Manipulation.
Der Weg zur politischen Herrschaft führt in zivilisierten, demokratischen Ländern über das Instrument der Wahlen. In gefestigten Demokratien garantieren eine Verfassung und die Trennung der staatlichen Gewalten voneinander den stetigen Wechsel an den Schalthebeln der Macht. Dazu gehört freilich etwas, das in keiner Verfassung festgelegt ist und nur als allgemeine Übereinkunft aller politisch Handelnden existiert: die feste Zusage aller am politischen Prozess Beteiligten, sich an die Spielregeln zu halten und diese Spielregeln auch dann nicht zu ändern, wenn man kurzfristig die dafür erforderliche Mehrheit in einem Parlament hat. Dazu gehört auch, den Wahlsieg des Gegners anzuerkennen, auch wenn einem das gar nicht passt.
Halten sich einzelne Politiker nicht an diese Spielregeln, wächst die Gefahr, dass einzelne Personen oder Parteien sich über das Gesetz erheben und mit allerlei Tricks versuchen, ihre Macht zeitlich unbegrenzt zu behalten.
Man muss nicht in die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts zurückgehen, um Beispiele für solche Machtübernahmen zu finden. Aus Ländern, die eher den Namen Bananenrepublik verdienen als den einer Demokratie, kennen wir das hinreichend auch in diesem Jahrhundert.
Der venezolanische Offizier Hugo Chávez zum Beispiel trat ans Licht einer breiteren Öffentlichkeit, als er 1992 versuchte, durch einen Militärputsch die schwach ausgebildete demokratische Ordnung auszuhebeln. Nach dem Scheitern dieses Putsches verlegte sich Chávez darauf, die Macht demokratisch zu erringen, begann aber unmittelbar nach einer gewonnenen Präsidentschaftswahl damit, die Verfassung zu ändern und damit den Boden zu bereiten für eine lange Periode des „Chavismus“in dem an Erdöl reichen, an politischem Anstand so armen Land.
Russlands neuer Zar, Wladimir Putin, ist auch durch Wahlen an die Macht gekommen. Er hat die Verfassung ausgetrickst, indem er nach zwei Amtsperioden als Präsident Ministerpräsident wurde und seine Marionette Dmitrij Medwedew von diesem Amt aus fernsteuerte, nur um dann wieder ins Präsidentenamt zurückzukehren, ohne dass auch nur irgendein anderer Politiker eine Chance als Gegenkandidat gehabt hätte.
Putin hat als ehemaliger KGB-Offizier die Instrumente der Unterdrückung sozusagen im kleinen Finger. Er hat die Pressefreiheit abgeschafft, die politische Opposition durch Überredung oder Verbote ausgeschaltet und heute waltet er ganz wie einst die Zaren absolutistisch und ohne jede parlamentarische Kontrolle. Dass der Mann dabei nicht nur mächtig, sondern auch noch reich geworden ist, versteht sich fast schon von selbst.
Das jüngste Modell für diesen Vorgang beobachten wir in der Türkei. Auch Recep Tayyip Erdoğan kam als demokratisch gewählter Politiker zunächst als Ministerpräsident an die Regierung. Offenbar kann der Mann nicht genug kriegen vom Geschmack der Macht. Er baut die Türkei um zu einer Präsidialdiktatur und nutzt jetzt den gescheiterten Putsch eines Teils des Militärs dazu, alle politischen Gegner endgültig auszuschalten.
Auch in anderen Ländern versuchen Politiker dasselbe Konzept. Auch Viktor Orbáns Bürgerpartei in Ungarn und die Recht-und-Gerechtigkeits-Partei in Polen versuchen, durch Verfassungsänderungen die Opposition auch in Zukunft von den Hebeln der Macht fernzuhalten. Die Mittel zum Zweck sind überall gleich: Die Herrschenden definieren Kritiker zu „Staatsfeinden“um; sie unterwerfen die unabhängige Gerichtsbarkeit ihrer Kontrolle; sie schaffen die Meinungsfreiheit ab und unterwerfen die Medien staatlicher Kontrolle; sie entfernen Oppositionelle aus den Schaltstellen von Verwaltung, Kultur und dem Bildungsapparat. Und sie appellieren an die Gefühle ihrer Anhänger, indem sie die „Nation“überhöhen und alles Fremde und alle Fremden als Bedrohung darstellen.
Letztlich krallen sie sich mit diesen Methoden an die Macht, die ihnen die Wähler für begrenzte Zeit anvertraut haben, und lassen sie nicht mehr los. Den Wählern bleibt nichts übrig, als schon bei der Wahl dafür zu sorgen, dass solche Typen gar nicht erst an die Macht gelangen. Dann braucht man sich auch hinterher nicht zu „wundern, was alles möglich ist“.