Salzburger Nachrichten

Die Ouverture beginnt mit Entdeckung­en

Die erste Mozart-Matinee mit bizarrem Programm überrascht ebenso wie eine Geigerin beim „Fest zur Festspiele­röffnung“.

-

SALZBURG. Es gibt ja doch noch Neues zu entdecken und wenig Grund, sich im Eh-schon-Wissen auszuruhen. Das bewies aufs Eindrückli­chste der erste Samstag der Salzburger Festspiele. Da gab es eine Mozart-Matinee des Mozarteumo­rchesters unter der kundigen und engagierte­n Leitung Ádám Fischers, der auf sozusagen traditione­llem Boden dirigiert, aber mit einem nicht alltäglich­en Tiefgang.

Das Programm mutete auf den ersten Blick ein wenig bizarr an, vereinte es doch einen pasticcioa­rtigen ersten Teil mit einem so gut wie nie zu hörenden erratische­n und solistenlo­sen MozartKyri­e (KV 421), Teilen aus der Ballettmus­ik zu „Idomeneo“und dem Finale des 2. Akts dieser Oper, in dem die Kreter mit dem von Neptun heraufbesc­hworenen Unwetter samt Ungeheuer konfrontie­rt werden und nicht wissen, wie ihnen geschieht. Nur König Idomeneo selbst weiß, was das bedeutet: Er hat im Trojanisch­en Krieg Kriegsverb­rechen, Verbrechen gegen die Menschlich­keit, begangen. Dagegen waren schon die griechisch­en Götter allergisch!

Die Wucht dieser Szene brachte der Tenor Julian Prégardien als Idomeneo eindrucksv­oll über die Bühne. Das Orchester assistiert­e dem Dirigenten mit großem Einsatz. Nur dem Salzburger Bachchor – insbesonde­re den Bässen – fehlte es hier an Kraft.

Dem folgte nach der Pause das „Schrattenb­ach-Requiem“Johann Michael Haydns, des „Salzburger Haydn“, wie man ihn wegen seines Wirkungsor­tes nannte. Bei dieser sensiblen Musik war der Salzburger Bachchor in seinem Element. Ein wunderbare­s, anrührende­s Werk, dem man seinen Entstehung­szusammenh­ang – den Tod von Michael Haydns einzigem Kind – anhört. Die Musik ist zutiefst anrührend, in einem Maß, das über den profession­ellen Anlass – die Totenfeier für Haydns Dienstherr­n Erzbischof Schrattenb­ach – weit hinausgeht. Und wer weiß, vielleicht hat das Werk – wie vermutet wird – viele Jahre später Wolfgang Amadeus Mozart bei der Kompositio­n seines Requiems beeinfluss­t?

Noch viel Überrasche­nderes förderte am Samstagnac­hmittag in der Kollegienk­irche ein Soloauftri­tt der russischen Geigerin Elena Denisova beim „Fest zur Festspiele­röffnung“zutage: Da gab es doch – noch vor Paganini – einen russischen Geiger und Komponiste­n, von dem wir nicht einmal den Namen kennen: Iwan Chandoschk­in (1747–1804), von dem sich nur wenige Werke erhalten haben. Hier – insbesonde­re in der Sonate op. 3 Nr. 1 – ist der italienisc­he „Teufelsgei­ger“vorweggeno­mmen. Allein die drei Solosonate­n, die in der Kollegienk­irche zu hören waren, lassen das breite Spektrum vermuten, das seine zwischen Noch-Barock und SchonRussi­sch-Angetönt oszilliere­nde Musik ausfüllt. Wie virtuos und ohne Intonation­strübungen die Denisova diese vor Doppelgrif­fen überborden­de Musik darbot, soll nicht verschwieg­en werden.

Eine doppelte Entdeckung also, und mit dem Haydn-Requiem dazu sogar eine dreifache!

Newspapers in German

Newspapers from Austria