Salzburger Nachrichten

Zeitloses frommes Echo aus russischen Kathedrale­n

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SALZBURG. Das nennt man wohl Institutio­n, ein Chor, der 1479 auf Befehl des Zaren Iwan III. in Moskau gegründet wurde. 1703 zog der erste profession­elle Chor Russlands in die neu gegründete Stadt St. Petersburg um und wirkte weiter als Aushängesc­hild russischer Chorkunst. Seit 1974 leitet Vladislav Chernushen­ko den rund fünfzig Sängerinne­n und Sänger umfassende­n Chor der Staatliche­n Kapelle St. Petersburg, er hat eine gewisse Ähnlichkei­t mit Bernard Haitink und hält mit sparsamer suggestive­r Zeichengeb­ung das Klangbild kompakt.

Der Salzburger Festspiela­uftritt der ernsten Damen mit Goldborten und Männer mit verzierten mönchische­n Langmäntel­n am Samstag in der Kollegienk­irche verzaubert­e die Zuhörer mit einer enorm wohlklinge­nden musikalisc­hen Zeitreise. Nicht nur einzelne Habsburger­herrscher komponiert­en, auch Zar Iwan IV. mit dem gruseligen Beinamen „der Schrecklic­he“hinterließ im 16. Jahrhunder­t einen Hymnus, genannt Sticheron, auf die Gottesmutt­er, einen einnehmend einfachen Männergesa­ng. Eine russische Passion aus der Zeit von Boris Godunow eines Mönches Christophe­r erforderte einen Vorsänger, und das war ein Bass, wie es besser kaum mehr geht. Der ungenannte Bassist verfügte über eine abgrundtie­fe Stimme wie ein Didgeridoo, er bildete auch im Konzert das unüberhörb­are „russische“Bassfundam­ent.

Das Programm war sinnreich zusammenge­stellt, auch namhafte Komponiste­n – hierzuland­e der prominente­ste ist Sergej Rachmanino­w – hatten die Qualitäten der russischen Chormusik für sakrale Beiträge inspiriert. Großen, hymnischen Männerchor nützte Georgi Swiridow, mit dem der Dirigent noch persönlich gearbeitet hatte. In voller Besetzung erklangen effektvoll­e Konzertkom­positionen etwa von Stepan Degtjarjow, der wiederum zu mehreren Komponiste­n des 18. Jahrhunder­ts gehörte, die nach Italien-Aufenthalt­en der russischen Kirchenmus­ik Neues zuführten.

Der fabelhafte Chor ist in der enorm kontrastre­ichen Literatur zu Hause, fast jede und jeder kam zu solistisch­en Einsätzen, um sich danach wieder ins farbenreic­he Gesamtklan­gbild einzufügen. Bei den Soli ließen sich durchwegs großartige Stimmen entdecken, ein „Engelssopr­an“erklang von der Kanzel und wurde vom summenden Chor umrahmt, für Rachmanino­ws „Nunc dimittis“trat ein Tenor an die Rampe, für Alexander Archangels­kis jubelndes „Credo“ein markanter Bariton. Ein 2010 in Novi Sad vom Chor uraufgefüh­rtes Stück des Roma-Komponiste­n Zoran Mulic in Roma-Sprache war zuletzt ein ergreifend­er Beitrag unserer Zeit. Ein hinreißend­er Auftakt zur Ouverture spirituell­e, diese geistliche Chormusik aus dem Osten.

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BILD: SN/SN/MICHAEL PÖHNSF/MICHAEL PÖHN Chor der Staatliche­n Kapelle St. Petersburg.

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