Türkische Frauen schwärmen von „Reformen am Bosporus“
Der Stoff von Leo Falls Operette „Die Rose von Stambul“wirkt heute aktueller denn je.
Es ist schon seltsam, wie schnell es passieren kann, dass der Stoff einer harmlosen Operettenschnulze aus dem vergangenen Jahrhundert politisch aktuell wird. In Leo Falls „Die Rose von Stambul“schwärmen die türkischen Frauen im flotten Zwei-Viertel-Takt von den ersehnten „Reformen am Bosporus“, von der „Freiheit“, vom Ablegen des ungeliebten Schleiers, und die Männer träumen von den „europäischen“Frauen. In dem Stück, das 1916 auf die Bühne kam, wird die großartige „europäische Kultur“bewundert.
Hundert Jahre später, da in der Türkei ein Herrscherfürst namens Erdoğan die Geschichte zurückdrehen und demokratische Errungenschaften zunichtemachen will, steht just diese „Rose von Stambul“beim Lehár-Festival auf dem Spielplan. Wie verkehrt die Welt geworden ist, zeigt sich beim Schauplatz der Handlung: Leo Falls orientalisch-geheimnisvolles Stambul, wo der Mann die Frau zum entspannten Walzertakt mit weißen Rosen umwirbt, steht für Istanbul, jene Metropole, die zuletzt als Schauplatz furchtbarer Terroranschläge traurige Berühmtheit erlangt hat.
Jedoch: Operette will stets ablenken vom oft unschönen Alltag, will allzeit leicht sein. So wird auch bei diesem Unterhaltungsstück genretypisch kokettiert, geliebäugelt, gebusselt, geblödelt. Und nach längerem Hin und Her finden am Schluss genau die Paare zusammen, die zusammengehören.
Unter der Regie des seit vielen Jahren in Bad Ischl wirkenden Leonard Prinsloo wird die Geschichte der selbstbewussten Türkin Kondja (Maya Boog), die sich gegen die arrangierte Ehe wehrt und sich dann doch in den vorgesehenen Ehepartner verknallt, zu einem kurzweiligen Operettenabend. Hinter bunten Schleiern kichert und kreischt der Harem. Dazwischen wird es immer wieder richtig schön kitschig und schmalzig – vor allem wenn der vom Brautvater bestimmte Ehegatte Achmed, verkörpert vom stimmlich überragenden Tenor Alexandru Badea, seine Kondja, die „Rose von Stambul“, im Dreivierteltakt anhimmelt.
Die Stars des Abends sind jedoch Ilia Vierlinger als quirlige, feurige, zickige Midili und Thomas Zisterer, der den Hamburger Unternehmersohn und Parade-Piefke Fridolin Müller verkörpert. Das turtelnde Buffo-Paar, das gemeinsam schwärmerische Terzen auf und ab singt wie Gesangsstudenten im ersten Semester, überzeugt in jeder Hinsicht – stimmlich wie schauspielerisch.
Ebenso erfüllt die Erwartungen das Franz-Lehár-Orchester unter dem Dirigenten Marius Burkert, sowohl bei den orientalischen Motiven wie beim Wiener Walzer. Das Klangnetz der Streicher ist gerade in den stilleren Passagen fein gesponnen, für akustische Überraschungseffekte sorgt der stets exakte Bläsersatz. Dazu passt der sattelfeste, von Gerald Krammer geleitete Chor. Der anhaltende Schlussapplaus für Ensemble und Orchester bei der Premiere am Samstag war redlich verdient. Operette: