„Gemeinden fühlen sich überfahren“
Ihre Autonomie lassen sich die Gemeinden nicht einschränken. Darauf pocht Günther Mitterer, der Chef des Gemeindeverbandes.
Heute, Montag, treffen zwei Konfliktparteien zu einer entscheidenden Sitzung zusammen: Die grüne Ressortchefin Astrid Rössler auf der einen Seite, die Bürgermeister auf der anderen. Es geht um die neue Raumordnung. SN: Was erwarten die Gemeinden von der Aussprache? Günther Mitterer: Wir wollen Klarheit, wie es mit dem Raumordnungsgesetz weitergeht. Vor allem auch, was die Berechnung von Baulandreserven betrifft. Es ist 15 Jahre nach einer Praxis gerechnet worden, bei der Baulandlücken nur zu einem Drittel als Baulandreserve gezählt wurden. Jetzt gibt es ein neues Gutachten, das die Gemeinden nicht einmal kennen. Aber das Land geht nach diesem Gutachten vor – und rechnet die Flächen plötzlich zu 100 Prozent. Dadurch kommt es in 74 Gemeinden zu Baulandüberhang. Das versteht niemand. 15 Jahre ist unter der Aufsicht des Landes auf eine Art gerechnet worden. Und dann dreht das Land alles auf einen Schlag um. SN: Wie ist das Verhältnis der Bürgermeister zu Ressortchefin Astrid Rössler im Moment? Nicht sehr gut. Wir fühlen uns einfach überfahren und nicht ausreichend informiert. Wir kennen die Ansätze zum neuen Raumordnungsgesetz hauptsächlich aus den Medien. SN: Im neuen Raumordnungsgesetz soll es für die Gemeinden eine verpflichtende Zusammenarbeit geben. Sie sollen gemeinsam Regionalprogramme erstellen. Ist das für Sie vorstellbar? Ich kann mit dem Begriff sehr wenig anfangen. Ich weiß auch hier nicht, was dahintersteckt, niemand ist informiert. Das ist nicht tragbar. Aber klar ist: Die Gemeindeautonomie muss erhalten bleiben. Das muss Frau Dr. Rössler akzeptieren. Die örtliche Raumplanung muss bei den Gemeinden bleiben.
Die Gemeinden kooperieren untereinander sehr gut und auf Augenhöhe. Es wird in Zukunft verstärkt in Regionen gedacht werden. Was nicht funktioniert, ist, wenn den Gemeinden das von oben aufgedrückt wird. Wir können mit verpflichtenden Regionalprogrammen leben. Es kann aber nicht so laufen, dass darin die Spielregeln vom Land gemacht werden. SN: Welche raumordnerischen Kompetenzen sollen die Gemeinden haben, welche das Land? Das Land kann sagen: „Soundso viel Bauland wollen wir.“Wie wir das in den Gemeinden umsetzen, muss aber unsere Sache bleiben. Die Gemeinde muss entscheiden können, in welche Richtung sie sich bei Wohnraum und Gewerbe entwickeln will. Wals-Siezenheim, St. Johann und Saalfelden arbeiten zum Beispiel an Stadtentwicklungsprogrammen. Das ist die ureigenste Aufgabe der Gemeinden. Wenn das Land aber sagt, dass es in Summe zu viele Handelsflächen gibt, dann akzeptieren wir diese Beschränkung. Das ist überörtliche Kompetenz. SN: Die Bürgermeister müssen sich vorwerfen lassen, sie seien verantwortlich für Zersiedelung und Verschandelung. Zu Unrecht? Dass das auch in unsere Verantwortung fällt, ist klar. Aber wenn das Land so schlimm ausschauen würde, wie viele sagen, dann hätten wir einen touristischen Super-GAU. Das Gegenteil ist aber der Fall: Gäste kommen sehr gerne zu uns auf Urlaub. Es funktioniert nicht, das ganze Land
„Die Gemeinden müssen entscheiden können, in welche Richtung sie sich entwickeln.“
schlechtzureden. Wir diskutieren immer nur über den ländlichen Raum, nie über die Ballungszentren. Wir können aber auf dem Land kein Freilichtmuseum werden. Ländliche Entwicklung muss möglich sein. SN: In diesem ländlichen Raum veröden die Ortskerne. Wie wollen Sie wieder Leben ins Zentrum bringen? Das kann man nicht verordnen. Es wird sehr schwierig werden, wieder zurückzugewinnen, was wir verloren haben. Das war auch die Entwicklung der Gesellschaft. Wir haben uns zu einer Freizeitgesellschaft entwickelt. Wir wohnen nicht mehr in der Nähe des Arbeitsplatzes. Wir erledigen Einkäufe auf dem Weg von und zu der Arbeit. Am Abend geht man nicht mehr ins Wirtshaus. An dieser Entwicklung kann ich niemandem die Schuld geben. Wir alle müssen umdenken. Es wird ein Jahrzehnt dauern, bis das zu einer Umkehr führt. SN: Ein anderes Problem sind die „kalten Betten“. Gemeinden fehlt das Leben, weil sie so viele Zweitwohnsitze haben. Was tun? Ein Ansatz ist, dass es nur noch Hauptwohnsitze geben darf. Wer nicht den Hauptwohnsitz erklärt, muss eine erhöhte Abgabe zahlen. Die Kontrolle von illegalen Zweitwohnsitzen ist für die Gemeinden jedenfalls kaum durchführbar. Die Frage ist auch, wie man die Vererbung regelt. SN: Was ist Ihnen das Wichtigste, das mit der neuen Raumordnung erreicht werden soll? Mir ist wichtig, dass die Regelungen einfach und nachvollziehbar sind – mit einem klaren Auftrag, was die Gemeinden zu machen haben und was die Aufsichtsbehörde. Das neue Raumordnungsgesetz sollte um zwei Drittel schlanker sein, weil das bestehende kein Mensch mehr lesen kann. Und dann muss man einsehen, dass man nicht alle Probleme vom Verkehr bis zum Wohnen nur über die Raumordnung lösen kann. Daher ist das Gesetz auch so aufgeblasen.