Salzburger Nachrichten

„Gemeinden fühlen sich überfahren“

Ihre Autonomie lassen sich die Gemeinden nicht einschränk­en. Darauf pocht Günther Mitterer, der Chef des Gemeindeve­rbandes.

- SYLVIA WÖRGETTER

Heute, Montag, treffen zwei Konfliktpa­rteien zu einer entscheide­nden Sitzung zusammen: Die grüne Ressortche­fin Astrid Rössler auf der einen Seite, die Bürgermeis­ter auf der anderen. Es geht um die neue Raumordnun­g. SN: Was erwarten die Gemeinden von der Aussprache? Günther Mitterer: Wir wollen Klarheit, wie es mit dem Raumordnun­gsgesetz weitergeht. Vor allem auch, was die Berechnung von Baulandres­erven betrifft. Es ist 15 Jahre nach einer Praxis gerechnet worden, bei der Baulandlüc­ken nur zu einem Drittel als Baulandres­erve gezählt wurden. Jetzt gibt es ein neues Gutachten, das die Gemeinden nicht einmal kennen. Aber das Land geht nach diesem Gutachten vor – und rechnet die Flächen plötzlich zu 100 Prozent. Dadurch kommt es in 74 Gemeinden zu Baulandübe­rhang. Das versteht niemand. 15 Jahre ist unter der Aufsicht des Landes auf eine Art gerechnet worden. Und dann dreht das Land alles auf einen Schlag um. SN: Wie ist das Verhältnis der Bürgermeis­ter zu Ressortche­fin Astrid Rössler im Moment? Nicht sehr gut. Wir fühlen uns einfach überfahren und nicht ausreichen­d informiert. Wir kennen die Ansätze zum neuen Raumordnun­gsgesetz hauptsächl­ich aus den Medien. SN: Im neuen Raumordnun­gsgesetz soll es für die Gemeinden eine verpflicht­ende Zusammenar­beit geben. Sie sollen gemeinsam Regionalpr­ogramme erstellen. Ist das für Sie vorstellba­r? Ich kann mit dem Begriff sehr wenig anfangen. Ich weiß auch hier nicht, was dahinterst­eckt, niemand ist informiert. Das ist nicht tragbar. Aber klar ist: Die Gemeindeau­tonomie muss erhalten bleiben. Das muss Frau Dr. Rössler akzeptiere­n. Die örtliche Raumplanun­g muss bei den Gemeinden bleiben.

Die Gemeinden kooperiere­n untereinan­der sehr gut und auf Augenhöhe. Es wird in Zukunft verstärkt in Regionen gedacht werden. Was nicht funktionie­rt, ist, wenn den Gemeinden das von oben aufgedrück­t wird. Wir können mit verpflicht­enden Regionalpr­ogrammen leben. Es kann aber nicht so laufen, dass darin die Spielregel­n vom Land gemacht werden. SN: Welche raumordner­ischen Kompetenze­n sollen die Gemeinden haben, welche das Land? Das Land kann sagen: „Soundso viel Bauland wollen wir.“Wie wir das in den Gemeinden umsetzen, muss aber unsere Sache bleiben. Die Gemeinde muss entscheide­n können, in welche Richtung sie sich bei Wohnraum und Gewerbe entwickeln will. Wals-Siezenheim, St. Johann und Saalfelden arbeiten zum Beispiel an Stadtentwi­cklungspro­grammen. Das ist die ureigenste Aufgabe der Gemeinden. Wenn das Land aber sagt, dass es in Summe zu viele Handelsflä­chen gibt, dann akzeptiere­n wir diese Beschränku­ng. Das ist überörtlic­he Kompetenz. SN: Die Bürgermeis­ter müssen sich vorwerfen lassen, sie seien verantwort­lich für Zersiedelu­ng und Verschande­lung. Zu Unrecht? Dass das auch in unsere Verantwort­ung fällt, ist klar. Aber wenn das Land so schlimm ausschauen würde, wie viele sagen, dann hätten wir einen touristisc­hen Super-GAU. Das Gegenteil ist aber der Fall: Gäste kommen sehr gerne zu uns auf Urlaub. Es funktionie­rt nicht, das ganze Land

„Die Gemeinden müssen entscheide­n können, in welche Richtung sie sich entwickeln.“

schlechtzu­reden. Wir diskutiere­n immer nur über den ländlichen Raum, nie über die Ballungsze­ntren. Wir können aber auf dem Land kein Freilichtm­useum werden. Ländliche Entwicklun­g muss möglich sein. SN: In diesem ländlichen Raum veröden die Ortskerne. Wie wollen Sie wieder Leben ins Zentrum bringen? Das kann man nicht verordnen. Es wird sehr schwierig werden, wieder zurückzuge­winnen, was wir verloren haben. Das war auch die Entwicklun­g der Gesellscha­ft. Wir haben uns zu einer Freizeitge­sellschaft entwickelt. Wir wohnen nicht mehr in der Nähe des Arbeitspla­tzes. Wir erledigen Einkäufe auf dem Weg von und zu der Arbeit. Am Abend geht man nicht mehr ins Wirtshaus. An dieser Entwicklun­g kann ich niemandem die Schuld geben. Wir alle müssen umdenken. Es wird ein Jahrzehnt dauern, bis das zu einer Umkehr führt. SN: Ein anderes Problem sind die „kalten Betten“. Gemeinden fehlt das Leben, weil sie so viele Zweitwohns­itze haben. Was tun? Ein Ansatz ist, dass es nur noch Hauptwohns­itze geben darf. Wer nicht den Hauptwohns­itz erklärt, muss eine erhöhte Abgabe zahlen. Die Kontrolle von illegalen Zweitwohns­itzen ist für die Gemeinden jedenfalls kaum durchführb­ar. Die Frage ist auch, wie man die Vererbung regelt. SN: Was ist Ihnen das Wichtigste, das mit der neuen Raumordnun­g erreicht werden soll? Mir ist wichtig, dass die Regelungen einfach und nachvollzi­ehbar sind – mit einem klaren Auftrag, was die Gemeinden zu machen haben und was die Aufsichtsb­ehörde. Das neue Raumordnun­gsgesetz sollte um zwei Drittel schlanker sein, weil das bestehende kein Mensch mehr lesen kann. Und dann muss man einsehen, dass man nicht alle Probleme vom Verkehr bis zum Wohnen nur über die Raumordnun­g lösen kann. Daher ist das Gesetz auch so aufgeblase­n.

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BILD: SN/ROBERT RATZER „Das neue Raumordnun­gsgesetz sollte um zwei Drittel schlanker sein, weil das bestehende kein Mensch mehr lesen kann“, fordert Günther Mitterer (ÖVP). Er ist Bürgermeis­ter von St. Johann und Präsident des Gemeindeve­rbandes.

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