Wenn Amor zu einer Weltreise einlädt
„Les Indes galantes“sind die Fremden. Können wir von ihnen etwas über das Leben lernen? Eine Opernpremiere in unsicheren Zeiten.
Die Sache ist eigentlich relativ einfach und deswegen sehr kompliziert. Amor, der Liebesgott, schickt uns auf die Reise um die Welt, um bessere Liebes-, also Lebensmodelle kennenzulernen und ihnen zugleich beim Gelingen oder Scheitern zuzusehen.
Ein türkischer Pascha verliebt sich in eine Frau aus dem Westen, die aber ihrem Freund treu bleibt – weshalb der Türke sie großherzig freigibt. Ein Sonnenpriester der Inka in Peru liebt eine Inka-Frau, die sich aber zu einem spanischen Konquistador hingezogen fühlt, weshalb der rasende Priester eine Naturkatastrophe herbeibetet und darin selbst umkommt. In einem persischen Blumengarten wechseln zwei Liebende Identität und Geschlecht, um einander näherzukommen. Am Ende brechen sie in ein besseres Land auf. Und bei den „Wilden“Nordamerikas schließlich konkurrieren zwei Fremde um die Gunst einer Eingeborenen, die aber ein Leben in Frieden und Eintracht mit dem „wahren“Geliebten vorzieht. Das Fremde ist nicht woanders, das Woanders ist hier – so argumentiert der flämisch-marokkanische Choreograf und Regisseur Sidi Larbi Cherkaoui jetzt für seine erste klassische Operninszenierung im Münchner Prinzregententheater. Zwei Tage nach dem Münchner Amoklauf und kurz vor dem Terroranschlag von Ansbach ist es doppelt schwer, dem Thema des Fremden „spielerisch“beizukommen.
Das Werk, das derartige Versuchsanordnungen bereithält, stammt aus dem Jahr 1735 und ist eine „opéra-ballet“von Jean-Philippe Rameau, mit dessen Typus der französischen Barockoper sich nicht nur in unseren Breiten die Theater schwertun. Kein Wunder, dass das mythologisch-exotische Meisterwerk bislang noch nie in München zu sehen war.
Jetzt fasst man es hier auch nicht als kaleidoskopisch angelegte Weltreise mit aufklärerischem Impetus auf, sondern gleichsam als Lehrstück über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, Realität und Utopie der Liebe. Zu diesem Zweck hat die Bühnenbildnerin Anna Viebrock einen geschlossenen, oben mit Stacheldraht umzäunten Raum gebaut, der einmal Klassenzimmer (merke: Wir lernen für das Leben) ist, dann ein ethnologisches Museum mit fahr- und wandelbaren, die Menschen ausstellenden Vitrinen, dann ein Kultraum, wo nicht ein Sonnenpriester, sondern ein katholischer Geistlicher seine bösen christlichen Zauberriten vollzieht, zuletzt ein Flüchtlingscamp.
Dieser Raum ist nun einerseits frei für zum Teil grandiose Chorund Tanzbilder, die Sidi Larbi Cherkaoui zu beeindruckenden Körperskulpturen formt. Die Tänzer seiner Compagnie leisten Schwerarbeit und integrieren zugleich die Solisten und eine famose Kinderstatisterie auf das Selbstverständlichste.
Zum anderen aber droht er immer wieder, den Assoziationsspielraum einzuengen. Man weiß nicht recht, was hier erzählt werden soll, noch dazu, wo sich die Regie entschieden hat, nicht bunte Episoden aneinanderzureihen, sondern die handelnden Paare wie in einem Quiproquo durch alle Szenen (und Welten) zu führen.
Für Klarheit sorgt die Musik, die ein als „Münchner Festspielorchester“bezeichnetes Spezialisten-Ensemble nach etwas grauem Beginn zu prächtigster Farbentfaltung führt, auch wenn Maestro Ivor Bolton mit fallweise sehr pastosem Farbauftrag feine subkutane Klangadern übertüncht. Rameau ist nicht gleich Händel. Die Vorzüge der Solisten stehen freilich weitgehend im strahlenden Licht, wobei sich die überragende Silbersopranistin Anna Prohaska, der kernig elegante Tenor Cyril Auvity und der so mächtige wie (nicht nur auf dem Hoverboard) bewegliche Bass François Lis auch stilistisch herausragend aufführen. Das Publikum war jedenfalls zu tosender Begeisterung bereit. Oper: