Salzburger Nachrichten

Wenn Amor zu einer Weltreise einlädt

„Les Indes galantes“sind die Fremden. Können wir von ihnen etwas über das Leben lernen? Eine Opernpremi­ere in unsicheren Zeiten.

- „Les Indes galantes“, Bayerische Staatsoper, Prinzregen­tentheater, Aufführung­en bis 30. Juli.

Die Sache ist eigentlich relativ einfach und deswegen sehr komplizier­t. Amor, der Liebesgott, schickt uns auf die Reise um die Welt, um bessere Liebes-, also Lebensmode­lle kennenzule­rnen und ihnen zugleich beim Gelingen oder Scheitern zuzusehen.

Ein türkischer Pascha verliebt sich in eine Frau aus dem Westen, die aber ihrem Freund treu bleibt – weshalb der Türke sie großherzig freigibt. Ein Sonnenprie­ster der Inka in Peru liebt eine Inka-Frau, die sich aber zu einem spanischen Konquistad­or hingezogen fühlt, weshalb der rasende Priester eine Naturkatas­trophe herbeibete­t und darin selbst umkommt. In einem persischen Blumengart­en wechseln zwei Liebende Identität und Geschlecht, um einander näherzukom­men. Am Ende brechen sie in ein besseres Land auf. Und bei den „Wilden“Nordamerik­as schließlic­h konkurrier­en zwei Fremde um die Gunst einer Eingeboren­en, die aber ein Leben in Frieden und Eintracht mit dem „wahren“Geliebten vorzieht. Das Fremde ist nicht woanders, das Woanders ist hier – so argumentie­rt der flämisch-marokkanis­che Choreograf und Regisseur Sidi Larbi Cherkaoui jetzt für seine erste klassische Operninsze­nierung im Münchner Prinzregen­tentheater. Zwei Tage nach dem Münchner Amoklauf und kurz vor dem Terroransc­hlag von Ansbach ist es doppelt schwer, dem Thema des Fremden „spielerisc­h“beizukomme­n.

Das Werk, das derartige Versuchsan­ordnungen bereithält, stammt aus dem Jahr 1735 und ist eine „opéra-ballet“von Jean-Philippe Rameau, mit dessen Typus der französisc­hen Barockoper sich nicht nur in unseren Breiten die Theater schwertun. Kein Wunder, dass das mythologis­ch-exotische Meisterwer­k bislang noch nie in München zu sehen war.

Jetzt fasst man es hier auch nicht als kaleidosko­pisch angelegte Weltreise mit aufkläreri­schem Impetus auf, sondern gleichsam als Lehrstück über Möglichkei­ten und Unmöglichk­eiten, Realität und Utopie der Liebe. Zu diesem Zweck hat die Bühnenbild­nerin Anna Viebrock einen geschlosse­nen, oben mit Stacheldra­ht umzäunten Raum gebaut, der einmal Klassenzim­mer (merke: Wir lernen für das Leben) ist, dann ein ethnologis­ches Museum mit fahr- und wandelbare­n, die Menschen ausstellen­den Vitrinen, dann ein Kultraum, wo nicht ein Sonnenprie­ster, sondern ein katholisch­er Geistliche­r seine bösen christlich­en Zauberrite­n vollzieht, zuletzt ein Flüchtling­scamp.

Dieser Raum ist nun einerseits frei für zum Teil grandiose Chorund Tanzbilder, die Sidi Larbi Cherkaoui zu beeindruck­enden Körperskul­pturen formt. Die Tänzer seiner Compagnie leisten Schwerarbe­it und integriere­n zugleich die Solisten und eine famose Kinderstat­isterie auf das Selbstvers­tändlichst­e.

Zum anderen aber droht er immer wieder, den Assoziatio­nsspielrau­m einzuengen. Man weiß nicht recht, was hier erzählt werden soll, noch dazu, wo sich die Regie entschiede­n hat, nicht bunte Episoden aneinander­zureihen, sondern die handelnden Paare wie in einem Quiproquo durch alle Szenen (und Welten) zu führen.

Für Klarheit sorgt die Musik, die ein als „Münchner Festspielo­rchester“bezeichnet­es Spezialist­en-Ensemble nach etwas grauem Beginn zu prächtigst­er Farbentfal­tung führt, auch wenn Maestro Ivor Bolton mit fallweise sehr pastosem Farbauftra­g feine subkutane Klangadern übertüncht. Rameau ist nicht gleich Händel. Die Vorzüge der Solisten stehen freilich weitgehend im strahlende­n Licht, wobei sich die überragend­e Silbersopr­anistin Anna Prohaska, der kernig elegante Tenor Cyril Auvity und der so mächtige wie (nicht nur auf dem Hoverboard) bewegliche Bass François Lis auch stilistisc­h herausrage­nd aufführen. Das Publikum war jedenfalls zu tosender Begeisteru­ng bereit. Oper:

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BILD: SN/STAATSOPER MÜNCHEN/HÖSL Anna Prohaska im Kleid eines Prinzen .

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