Flüchtlinge bringen die Kinderehe mit
Unter den Zuwanderern sind viele verheiratete Mädchen, die für eine Ehe nach hier geltendem Recht viel zu jung sind. Was tun?
Viele verheiratete Mädchen sind nach hier geltendem Recht viel zu jung. Was tun?
Im bayerischen Bamberg hat ein Gericht die Ehe einer 14-jährigen Syrerin mit ihrem Cousin anerkannt. Nach einem Schrei der Empörung wird die Frage laut, was zu tun ist. Allein in Deutschland melden die Bundesländer mehr als 1000 Fälle von Kinderehe. Der deutsche Jurist und Islamwissenschafter Mathias Rohe hat sich Gedanken gemacht. SN: Wie soll Deutschland oder auch Österreich mit Paaren umgehen, die für die Ehe nach hier geltendem Recht noch zu jung sind? Rohe: Wir sollten zunächst einmal von unseren eigenen gesetzlichen Regelungen ausgehen. In Deutschland heißt das: Ehemindestalter 18 Jahre, ausnahmsweise 16, wenn die Erziehungsberechtigten oder das zuständige Gericht zustimmen. Fürs Inland sind die Verhältnisse also klar. Aber was machen wir mit Ehen, die nach ausländischem Recht wirksam geschlossen wurden und Minderjährige sind beteiligt? Grundsätzlich sind wir in Privatangelegenheiten bereit, Dinge, die im Ausland wirksam beschlossen wurden, anzuerkennen. Einfach weil wir den Leuten nicht ihr Vertrauen in einmal geschaffene Rechtsverhältnisse wegnehmen wollen. Aber das Ganze hat Grenzen. Wir sind nicht bereit, Dinge anzuerkennen, die im Ergebnis unseren Rechtsvorstellungen widersprechen. Und wir gehen nun einmal davon aus, dass unter 16-Jährige die Tragweite einer Entscheidung wie Heirat noch nicht ermessen können. Das heißt: Selbst wenn sie selbst glauben, sie handeln freiwillig, tun sie es aus unserer Sicht nicht. Über die starke Zuwanderung haben wir nun das Problem, dass die Fallzahl steigt. Die Verwaltungen sind oft hilflos. Wir brauchen klare gesetzliche Regelungen, die auch den Nicht-Spezialisten in den Verwaltungen und den Betroffenen klarmachen, was geht und was nicht. SN: Wie stellen Sie sich diese Regelung vor? Mein Vorschlag wäre: Mindestschwelle 16, darunter keine Anerkennung. Von 16 bis 18 ist Anerkennung möglich, aber im Einzelfall zu beurteilen, und unter Schutz der staatlichen Jugendschutzbehörden. Sie sollen prüfen: Spielt hier das Kindeswohl die maßgebliche Rolle oder geht es um etwas anderes? Zum Beispiel um patriarchalisch geprägte Vorstellungen, die besagen, die Frau soll möglichst schnell verheiratet werden, damit die „Familienehre“nicht in Gefahr gerät. SN: Wie lässt sich aber feststellen, ob das Mädchen freiwillig geheiratet hat? Das ist unheimlich schwierig. Erst einmal muss man von der Sache erfahren. Und dann müssen Sie Gespräche führen, sehr kultursensibel, möglichst ohne Anwesenheit des Ehemannes oder der Schwiegereltern, um langsam rauszukriegen: Wie waren die Umstände? Ich kann Ihnen einen dramatischen Fall aus unserer Umgebung schildern: Ein junges Paar aus dem Irak. Sie war elf, hieß es zunächst, als sie verheiratet wurde, hat dann mit zwölf ein Kind bekommen und ist jetzt mit 13 hier angekommen – mit ihrem Ehemann und den Schwiegereltern. Analphabetin, völlig hilflos. Irgendwann ist das aufgekommen und man hat sich gefragt: Was tun? Ich habe gesagt: „Sofort auseinander.“Die Fortführung einer sexuellen Beziehung unter solchen Umständen ist strafbar in Deutschland. Die Leute haben überhaupt nicht verstanden, warum sich der deutsche Staat einmischt. Die Ehe ist doch Privatsache. Das war ihre Vorstellung. Tatsächlich mischt sich der Staat in vielen Herkunftsländern unter der Schwelle von Mord und Totschlag in der Regel nicht ein. Daher müssen wir kommunizieren, warum wir uns dafür interessieren. Dass es zum Schutz der Schwächeren dient. Aber der Clou an der Sache ist jetzt: Die junge Frau behauptet auf einmal, sie sei 17. SN: Und jetzt? Jetzt müssen wir Untersuchungen machen, Knochenmessungen etwa, um ihr Alter zu bestimmen. Dieser Fall zeigt: Wenn es uns nicht gelingt, die Leute davon zu überzeugen, dass es richtig ist, was wir da tun, und dass wir auch nicht jede denkbare Ehe sofort zerschlagen, werden wir häufig auf eine Mauer des Schweigens stoßen. SN: Bei einem Fall in Aschaffenburg hat das Jugendamt ein Mädchen zu Treffen mit seinem Mann begleitet, um ungeschützten Geschlechtsverkehr zu verhindern. Das ist ein immenser Aufwand. Kann das der Staat überhaupt leisten? Ist das seine Aufgabe? Ich denke, ja. Er wird’s tun müssen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir gerade jetzt in einer Situation sind, in der wir die Chance haben, sehr deutlich zu kommunizieren, was in unseren Ländern die rechtlichen Grundkonstanten sind, über die wir auch nicht verhandeln. SN: Wie ist es dann zu der Entscheidung in Bamberg gekommen, wo das Gericht die Ehe einer minderjährigen Syrerin anerkannt hat? Es ist eine Revision beim Bundesgerichtshof gegen die Entscheidung eingelegt. Die Behörde in Aschaffenburg geht dagegen vor. Ich habe das Urteil sorgfältig gelesen. Das ist mit einer sehr ausführlichen traditionellen Begründung so vertretbar, aber ich halte es im Ergebnis trotzdem für falsch. Die Richter sind letztlich davon ausgegangen, dass es in Syrien die rechtliche Möglichkeit einer Heirat ab 14 gibt. Dazu kann ich nur sagen: Wenn wir eine Gesellschaft haben, in der der individuelle Wille praktisch nichts zählt, und Entscheidungen darauf begründet werden, dann entspricht das nicht unseren Rechtsvorstellungen. Und das hat, glaube ich, das Gericht in Bamberg übersehen. SN: Haben die Gerichte genug rechtliche Handhabe? Sie bräuchten mehr Klarheit. Wir können mit dem vorhandenen Instrumentarium schon agieren, aber es gibt immer wieder Abweichungen in Einzelentscheidungen. Wir sind jetzt doch mit einer Zahl von Fällen konfrontiert, die deutlich größer ist als früher – in Deutschland geht man mittlerweile von mehr als 1000 Fällen plus einer Dunkelziffer aus. Wir brauchen eine klare Regelung, sodass alle Behörden zurechtkommen und die Betroffenen wissen, woran sie sind.