Endlich Frieden!
Die Welt gratuliert. In Kolumbien beginnt eine neue Ära. Nach fünf Jahrzehnten Krieg und Terror öffnen sich Wege in eine hoffnungsvolle Zukunft.
Der längste und blutigste Bürgerkrieg Lateinamerikas ist Geschichte. Nach 52 Jahren Krieg haben die Linksguerilla FARC und die kolumbianische Regierung Frieden geschlossen. Beide Seiten unterzeichneten am Mittwochabend in Havanna nach fast vierjährigen Gesprächen ein entsprechendes Abkommen, das am 2. Oktober der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden soll. In dem Konflikt zwischen linken Rebellen, Paramilitärs, Drogenmafia und Armee wurden mehr als 260.000 Menschen getötet, 6,9 Millionen wurden vertrieben. „Wir wollen kein einziges Opfer mehr“, heißt es in dem Vertrag, der in Havanna von Vertretern der Garantiestaaten Kuba und Norwegen vorgelesen wurde.
Humberto de la Calle, Chefunterhändler der Regierung, betonte, das Abkommen sei nicht perfekt, das Mögliche sei allerdings erreicht worden. Iván Márquez, der Verhandlungsführer der Rebellen, ergänzte: „Wir haben die schönste aller Schlachten gewonnen.“Und weiter: „Wir können verkünden, dass der Kampf der Waffen endet und der Kampf der Ideen beginnt.“In ganz Kolumbien feierten die Menschen den Frieden. Viele brachen in Tränen aus, anderen tanzten auf den Straßen. Künstler und Musiker traten in mehreren Städten auf, um das Abkommen zu unterstützen.
Präsident Juan Manuel Santos, der den Friedensprozess zur Hauptaufgabe seiner Amtszeit gemacht hatte, sagte in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, dass eine „titanische“Aufgabe bewältigt sei. „Heute beginnt das Ende des Schmerzes, des Leids, der Tragödien und des Kriegs“, betonte er in einer landesweit übertragenen Ansprache. Und der Präsident rief seine Landsleute auf, in gut fünf Wochen beim Referendum über das Abkommen massiv mit Ja zu stimmen: „Das ist die wichtigste Abstimmung in unserem Leben.“
Die Umfragen zum Ergebnis des Plebiszits sind sehr unterschiedlich. Einige sehen ein Patt voraus, andere rechnen mit einer Zweidrittelmehrheit für das Ja. Da das Referendum verpflichtend ist, würde ein Sieg des Nein den gesamten Vertrag kippen. Santos’ Gegner, allen voran der frühere Präsident Álvaro Uribe, machen bereits gegen das Abkommen mobil. Es gewähre der FARC-Guerilla zu viele Zugeständnisse, kritisieren sie.
Allerdings versucht das Übereinkommen vom Mittwoch den Friedensprozess unumkehrbar zu machen. Bereits mehrfach hatten Regierung und Rebellen in der Vergangenheit vergeblich versucht, Frieden zu schließen. Zwei Generationen von Kolumbianern kennen nichts anderes als Krieg, Zerstörung, Mord und Entführung. Mehr als sechs Millionen Binnenvertriebene hat das südamerikanische Land zu verkraften. Wirt- schaft und Infrastruktur des drittbevölkerungsreichsten Staates Lateinamerikas wurden durch den Krieg zurückgeworfen. Jahrzehnte machten Investoren und Unternehmen einen großen Bogen um Kolumbien. Mit dem Beginn der Friedensverhandlungen änderte sich das. Kolumbien gehört heute zu den aufstrebenden Staaten.
Die Friedensgespräche hatten in der Hauptstadt Havanna am 18. Oktober 2012 begonnen. Die Konfliktparteien mussten Einigung in fünf Punkten erzielen: Sie mussten sich auf eine Landreform einigen, einen Kompromiss über die künftige politische Rolle der Rebellen finden, sich Klaus Ehringfeld berichtet für die SN aus Südamerika über neue Wege im Kampf gegen den Drogenhandel verständigen, über die Opferentschädigung befinden und die juristische Verantwortlichkeit der Rebellen klären. Vor allem an diesem letzten Punkt verhandelten die Delegationen in den vergangenen Tagen unter Hochdruck, mitunter bis zu 18 Stunden am Tag.
Um viele der Punkte haben die Parteien viele Monate lang gerungen – und vor allem die FARC musste Zugeständnisse machen, die sie nicht wollte. An anderen Punkten hat sie sich durchgesetzt, vor allem in der Frage der Verantwortlichkeit für ihre Taten und der politischen Beteili- gung. Die „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“werden aufhören, als Guerillaarmee zu existieren, und verwandeln sich innerhalb der kommenden sechs Monate in eine politische Bewegung. Die Frage der juristischen Verantwortung für die Guerilleros war das größte Hindernis, das Rebellen und Regierung aus dem Weg räumen mussten. Die Rebellen pochen darauf, dass sie Opfer waren – und nicht Täter. Für viele Kolumbianer hingegen sind sie schlicht Terroristen.
Das Teilabkommen zur sogenannten Übergangsjustiz sieht vor, dass für politische Straftaten eine weitreichende Amnestie gewährt wird. Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Kriegsverbrechen werden hingegen mit Strafen zwischen fünf und acht Jahren geahndet, wenn die Täter geständig sind und den Opfern Reparation leisten. Ob diese Strafe im Gefängnis verbüßt werden muss, hängt vom Fall ab.
Noch gibt es Punkte, die strittig sind: Vor allem ist unklar, ob die FARC die Waffen vor oder nach dem Referendum Anfang Oktober niederlegen wird. Die Rebellen wollen erst das Ergebnis der Volksbefragung und die Verabschiedung des Amnestiegesetzes im Kongress abwarten, bevor sie in den Demobilisierungsgebieten ihre Waffen an die Vertreter der UNO übergeben.
Niemand wagt daran zu denken, was geschieht, wenn das Volk den Friedensvertrag ablehnt oder die notwendigen 13 Prozent der Wahlberechtigten – 4,38 Millionen Menschen – nicht an die Urnen gehen.