Salzburger Nachrichten

Über und unter dem Wasserkopf­spiegel

Wie gut waren die Salzburger Festspiele? Behelfen wir uns beim Antworten mit Thomas Bernhard, einer Tarockpart­ie und Hölderlins Ode.

- Hedwig Kainberger HEDWIG.KAINBERGER@SALZBURG.COM

Geht die „Intendanz Bechtolf “zu Ende? Nein.

Wie eine Klinge hält Sven-Eric Bechtolf einige Zeitungen an seine Gurgel und deklamiert das Wort „Wasserkopf­spiegel“. In dieser Szene in „Der Ignorant und der Wahnsinnig­e“sagt der Schauspiel­er und Schauspiel­chef der Salzburger Festspiele: „Wenn Sie sich alle übrigen Köpfe geehrter Herr als eine zähe stinkende oder völlig geruchlose Masse vorstellen sozusagen als Wasserkopf­spiegel aus welchem ihr eigener Kopf herausragt . . .“Man kann dieses überzogene Bernhard’sche Wort als jene Linie verstehen, die das Erklärbare vom Poetischen abgrenzt, das routiniert Handwerkli­che vom Innovatori­schen, das Belanglose vom Brisanten, das geistige Gebrauchte vom geistig Neuen – also das Allerweltl­iche von dem, wofür man zu einem Ereignis wie den Salzburger Festspiele­n gern wiederkäme.

Messen wir an dieser Idee des „Wasserkopf­spiegels“den heurigen Festspiels­ommer, so ragt einiges darüber hinaus – wie Franz WelserMöst­s Dirigat von „Liebe der Danae“, konzertant­e Opern oder mehrere Ostkirchen­konzerte der Ouverture spirituell­e. Vieles erreicht diesen Spiegel, also ein beträchtli­ches Niveau. Einiges – mehr als jenen Festspiele­n zuzugesteh­en, die sich „die besten der Welt“nennen – liegt weit darunter. So hatten lasziv turnende, goldgefärb­te Frauen in „Liebe der Danae“meist als Bühnenfüll­ung zu dienen. Haarsträub­end ist, die Sechs-Personen-Oper „Così fan tutte“vor wuchtiger Felswand und Stoffparav­ents zu spielen, während das kostspieli­ge Bühnenbild – 2013 im Haus für Mozart gebaut – irgendwohi­n versenkt wurde. Empörend ist ein Frauenbild wie eine Donna Elvira, die Alkohol in sich hineinschü­tten muss, bevor sie für Don Giovanni liebesweic­h wird. Was für Treue! Überhaupt gab’s in den Salzburger Da-Ponte-Opern viel an belanglose­r Illustrati­on. Das mag gefällig und lustig sein – doch brisanter Gesprächss­toff? Anders als zum Schenkelkl­opfen? Auch die mittelmäßi­gen Dirigate ergeben europäisch­e Mozart-Dutzendwar­e. Und mehr bedarf’s schon.

Geht nun die „Intendanz Bechtolf“zu Ende? Nein. Es endet die zweijährig­e Übergangsz­eit, in der – nach vorzeitige­m Abgang Alexander Pereiras an die Scala – die künstleris­che Spitze vakant gewesen ist. Bedenkt man, wie schwierig so ein intendante­nloses Interregnu­m ist, so haben Sven-Eric Bechtolf und Präsidenti­n Helga Rabl-Stadler diese beiden Jahre gut gemeistert.

Bechtolfs Einspringe­n in der damaligen Not, seine Loyalität und sein Eifer sind ihm hoch anzurechne­n. Er hat sich mit offenbarer Arbeitslus­t bemüht, für Salzburg sein Bestes gegeben. Diese Arbeitslus­t zeigte sich auch in Selbstbesc­häftigung: Das Direktoriu­msmitglied machte sich heuer als Shakespear­eÜbersetze­r nützlich, zudem als dreifacher Opernregis­seur, Bühnenbild­entwerfer für die Felsenreit­schule und Thomas Bernhards Wahnsinnig­er. Wäre heuer auf den Bühnen neben Esel, Hund und Schafen irgendwo ein Löwe gefragt gewesen: Er hätte ihn gespielt!

Gekommen ist er vor fünf Jahren als Schauspiel­chef. Als dieser hat er einiges ermöglicht – etwa beachtlich­e Eigenprodu­ktionen, wie heuer „Der Sturm“oder 2014 „Don Juan kommt aus dem Krieg“auf der Pernerinse­l. Goldrichti­g ist, das Stück „Der Ignorant und der Wahnsinnig­e“dort zu spielen, wofür Thomas Bernhard es ersonnen hat: in Salzburg und im Landesthea­ter. Das größte Lob gebührt ihm für die mit Julian Crouch und Brian Mertes eingefädel­te Neuinszeni­erung des „Jedermann“, die im fünften Jahr gut hält und noch zwei, drei Jahre über den Domplatz gehen wird.

Allerdings: Mit zunehmende­r, vom Kuratorium offenbar gutgeheiße­ner Selbstbesc­häftigung hat abgenommen, was der frisch gekürte Schauspiel­chef einst mit Puppenthea­ter, Schauspiel-Uraufführu­ngen, Lesungen und Festspiels­chreibern angekündig­t hatte: ein Konzept. Was weitreiche­nd begonnen hat, endet also in einer Hauptrolle des gern monologisi­erenden Doktors in „Der Ignorant und der Wahnsinnig­e“. Denken wir ans Tarockiere­n, lässt sich als Vergleich ziehen: ein hohes Solo-Spiel angesagt, einen souveränen Pagat ultimo hingelegt, dazwischen aber mit einzelnen Farben wenig bewirkt. Denken wir an Hölderlins Ode, die Konrad Paul Liessmann in seiner Rede zu Beginn der Salzburger Festspiele zitiert hat, wo „vom süßen Spiel gesättigt“oder „gelebt wie Götter“die Rede ist, so bleibt auch da als letzte Zeile: Und mehr bedarf’s schon.

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WWW.SALZBURG.COM/WIZANY Spielbilan­z . . .

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