Salzburger Nachrichten

Entmündigu­ng der Wähler von Amts wegen

- Viktor Hermann VIKTOR.HERMANN@SALZBURG.COM

Die Bundespräs­identenwah­l hat heuer das Zeug dazu, jene Österreich­erinnen und Österreich­er, die noch an die Demokratie glauben, zur Verzweiflu­ng zu treiben. Nicht weil ihnen die zweite Auflage der Stichwahl zwischen einem Grünen und einem Blauen so sehr gegen den Strich ginge. Vielmehr verärgert das Innenminis­terium mit einem 49 Seiten starken Leitfaden die Wählerscha­ft.

In diesem Leitfaden steht nichts anderes als die Unterstell­ung, dass die Wählerinne­n und Wähler wie kleine Kinder streng zu beaufsicht­igen seien beim Wahlgang. Sie dürfen das Kuvert mit ihrer Stimme nicht mehr selbst in die Urne werfen, sondern haben es dem Wahlleiter auszuhändi­gen. Könnte ja jemand zwei Kuverts in die Urne stecken. Diese Regelung enthält einen doppelten ungeheuerl­ichen Vorwurf: Erstens, dass der Wahlleiter ausgewählt­en Personen mehr als einen Stimmzette­l überreicht, zweitens, dass dem Wähler grundsätzl­ich nicht zu trauen ist, denn er wolle ja schwindeln.

Wir Wähler müssen jetzt gut begründen, weshalb wir eine Wahlkarte beantragen, statt ordnungsge­mäß in „unserem“Wahllokal abzustimme­n. Dann entscheide­t also ein Beamter, ob meine Begründung stichhalti­g ist oder nicht – das ist Schikane und ein Rückschrit­t.

Es ist auch nur schwer zu verstehen, weshalb unmöglich sein soll, was in aller Welt üblich ist: dass die Medien Prominente, Politiker und die Kandidaten bei der Stimmabgab­e fotografie­ren. Wie die Anwesenhei­t von Journalist­en in einem Wahllokal den Wahlausgan­g beeinfluss­en soll, muss der Herr Innenminis­ter erst einmal erklären.

Der Leitfaden des Innenminis­teriums ist (neben der notwendige­n Regelung des Auszählung­smodus) eine Zumutung für die Wählerscha­ft. Er kommt als feudal-hoheitlich­es, von bürokratis­cher Beckmesser­ei durchdrung­enes Papier daher, das uns zeigen soll, wie die Machtverhä­ltnisse sind: Die da oben schreiben denen da unten vor, wie sie zu wählen haben. Wenn wir nicht aufpassen, versucht irgendwann jemand, uns auch noch vorzuschre­iben, wen wir zu wählen haben.

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