Entmündigung der Wähler von Amts wegen
Die Bundespräsidentenwahl hat heuer das Zeug dazu, jene Österreicherinnen und Österreicher, die noch an die Demokratie glauben, zur Verzweiflung zu treiben. Nicht weil ihnen die zweite Auflage der Stichwahl zwischen einem Grünen und einem Blauen so sehr gegen den Strich ginge. Vielmehr verärgert das Innenministerium mit einem 49 Seiten starken Leitfaden die Wählerschaft.
In diesem Leitfaden steht nichts anderes als die Unterstellung, dass die Wählerinnen und Wähler wie kleine Kinder streng zu beaufsichtigen seien beim Wahlgang. Sie dürfen das Kuvert mit ihrer Stimme nicht mehr selbst in die Urne werfen, sondern haben es dem Wahlleiter auszuhändigen. Könnte ja jemand zwei Kuverts in die Urne stecken. Diese Regelung enthält einen doppelten ungeheuerlichen Vorwurf: Erstens, dass der Wahlleiter ausgewählten Personen mehr als einen Stimmzettel überreicht, zweitens, dass dem Wähler grundsätzlich nicht zu trauen ist, denn er wolle ja schwindeln.
Wir Wähler müssen jetzt gut begründen, weshalb wir eine Wahlkarte beantragen, statt ordnungsgemäß in „unserem“Wahllokal abzustimmen. Dann entscheidet also ein Beamter, ob meine Begründung stichhaltig ist oder nicht – das ist Schikane und ein Rückschritt.
Es ist auch nur schwer zu verstehen, weshalb unmöglich sein soll, was in aller Welt üblich ist: dass die Medien Prominente, Politiker und die Kandidaten bei der Stimmabgabe fotografieren. Wie die Anwesenheit von Journalisten in einem Wahllokal den Wahlausgang beeinflussen soll, muss der Herr Innenminister erst einmal erklären.
Der Leitfaden des Innenministeriums ist (neben der notwendigen Regelung des Auszählungsmodus) eine Zumutung für die Wählerschaft. Er kommt als feudal-hoheitliches, von bürokratischer Beckmesserei durchdrungenes Papier daher, das uns zeigen soll, wie die Machtverhältnisse sind: Die da oben schreiben denen da unten vor, wie sie zu wählen haben. Wenn wir nicht aufpassen, versucht irgendwann jemand, uns auch noch vorzuschreiben, wen wir zu wählen haben.