Salzburger Nachrichten

„Man muss auch an die Spitze wollen“

Arbeitnehm­er und Betriebe seien fleißig und flexibel, sagt der scheidende Wifo-Chef Karl Aiginger, aber die Politik sei zu selbstzufr­ieden.

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SN: Als Sie 2005 Wifo-Chef wurden, stand Österreich wirtschaft­lich besser da als Deutschlan­d. Ein Jahrzehnt später hat sich das gedreht. Was ist da falsch gelaufen? Aiginger: Ich würde es anders formuliere­n. Von 2003 bis 2012 ist Österreich­s Wirtschaft rascher gewachsen als die deutsche, als Folge der hohen Kosten der Wiedervere­inigung. Auch heute hat Österreich noch ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als Deutschlan­d. Bis 2012 hatten wir einen halben Prozentpun­kt Wachstumsb­onus gegenüber Westeuropa, blieben aber die vergangene­n zwei Jahre unter dem europäisch­en Durchschni­tt. Warum? Sowohl der Bonus als auch die Delle sind teils außenwirts­chaftlich bedingt. Zuerst tat sich im Osten jedes Jahr ein neuer Markt auf, aber in den vergangene­n Jahren ist mit dem Schwarzmee­rraum der nächste Wachstumsm­arkt durch politische Unruhen zusammenge­brochen. SN: Reicht das als Erklärung dafür, warum Österreich sein Potenzial nicht ausschöpft? Nein, dazu kommt, dass wir die Zeit nicht genützt haben, um fernere Märkte zu bearbeiten – China, Indien und Südamerika. Zudem hat Österreich dort, wo es Stärken hatte, diese nicht durch intelligen­te Diversifiz­ierung vertieft. Man hat sich damit begnügt, bei Forschung und Bildung, im Umweltbere­ich und bei der Digitalisi­erung eine mittlere Position erreicht zu haben, und nicht zur Spitze vorzustoße­n. Dafür gab es Ansätze, bei der Forschung sind wir bis 2010 unter die Top 5 vorgerückt, seither fallen wir in den Innovation­srankings wieder zurück. SN: Österreich­s Wirtschaft­spolitik gibt sich also mit dem Erreichten zu schnell zufrieden? Mit der Mittelmäßi­gkeit. Man verzichtet, an die Spitze zu kommen. Ein Land, das in den Top 5 der Einkommen ist, muss bei den entscheide­nden Faktoren an Stelle 3 liegen. SN: Was ist zu tun, um die Wachstumsb­remsen zu lösen? Das Grundprobl­em ist, dass Aufgaben, die nicht mehr nötig sind, nicht aufgegeben werden. Man muss den Reformstau lösen und im öffentlich­en Sektor umschichte­n. Wir haben hundert Mal gesagt, es sollte weniger Beamte geben und ihre Lohnanstie­ge sollten geringer sein. Tatsächlic­h ist die Zahl der Beamten gleich geblieben und der öffentlich­e Konsum steigt oft stärker als der private. Man ist auf der Angebotsse­ite zu wenig ehrgeizig und löst Blockaden nicht auf, wie starre Gewerbeber­echtigunge­n und hohe Hürden für Unternehme­nsgründer. SN: Und bei der Nachfrage? Der Konsum steigt nicht, weil die Einkommens­schere auseinande­rgeht und die Realeinkom­men in den vergangene­n fünf Jahren gesunken sind. Zum einen, weil die Steuern auf den Faktor Arbeit stetig steigen, und weil die Inflation in Österreich höher ist als in anderen Ländern. Dahinter steckt vor allem, dass der öffentlich­e Sektor eher Gebühren erhöht, als dass er rationalis­iert. Österreich ist lebenswert, aber man achtet dabei zu wenig auf Effizienz. Wir verlieren auch im Umweltbere­ich an Boden, da waren wir 2000 bei den Besten, jetzt sind wir bestenfall­s im Mittelfeld. Das ist nicht nur für die Umwelt schlecht, es kostet auch Wachstum, weil die Technologi­en für den Export fehlen. SN: Das Wirtschaft­swachstum ist zu gering, um die Arbeitslos­igkeit zu senken. Müssen wir uns auf Dauer mit so hohen Arbeitslos­enraten abfinden? Wenn die Wirtschaft nicht stärker wächst und das Wachstum nicht arbeitsint­ensiver wird, werden wir bei 10 Prozent (zuletzt 9,2) Arbeitslos­enrate nach nationaler Rechnung landen. Um sie zu senken, bräuchten wir mehr als zwei Prozent Wirtschaft­swachstum und eine Umstellung von einer arbeitsspa­renden zu einer material- und energiespa­renden Produktion. Technische­r Fortschrit­t ist für die Konkurrenz­fähigkeit wichtig. Dass unser Steuersyst­em den Faktor Arbeit so stark belastet, ist besonders unintellig­ent. Man sollte die Abgabenquo­te senken und dabei von Arbeit zu Material, Energie und Public Bads wie Alkohol und Rauchen verlagern. Derzeit macht Österreich das Gegenteil. SN: Die Folgen der Digitalisi­erung auf dem Arbeitsmar­kt spalten auch Ökonomen. Jedenfalls stellt sich die Frage der Finanzieru­ng des Sozialstaa­ts neu. Was schlagen Sie vor? Man kann die Sozialausg­aben senken, durch mehr Wachstum und weniger Arbeitslos­igkeit. Man sollte die Menschen fit halten, um die Gesundheit­sausgaben zu senken. Und man sollte die moderne Medizin nützen, um die Pflege von teuren Heimen in den häuslichen Bereich zu verlagern. Bei den Pensionen sind höhere Aufwendung­en nicht mehr drinnen. Mit der jetzigen Gesetzgebu­ng steigt der Sozialaufw­and und das ist nicht finanzierb­ar ohne höheres Abgabenniv­eau, das kontraprod­uktiv wäre. SN: Ist die Wertschöpf­ungsabgabe der richtige Ansatz? Nein, da geht es um die Investitio­nen, um Zinsen und Pachten, und Gewinne. Ich würde nicht empfehlen, diese Komponente­n höher zu besteuern, dafür ist nicht der richtige Zeitpunkt. Geringere Sozialabga­ben für Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r sollte man durch Steuern auf Emissionen kompensier­en. SN: Was gibt Ihnen Hoffnung, dass es Österreich ökonomisch wieder an die Spitze schafft? Ich glaube, Österreich hat gute Voraussetz­ungen, die Menschen arbeiten viel und flexibel, aber sie werden oft behindert. Was wir in der Wirtschaft­spolitik brauchen, ist mehr Mut, an die Spitze zu kommen und alte Zöpfe abzuschnei­den, sowie eine konsistent­e Strategie. Karl Aiginger (*1948)

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BILD: SN/FOTOLIA
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