Salzburger Nachrichten

Wenn Notenbanke­r und Politiker dem Rausch der Sinne erliegen

Beim jährlichen Stelldiche­in der Notenbanke­r wird klar: Es wird ein böses Erwachen aus dem Drogenraus­ch des billigen Geldes geben.

- WWW.SALZBURG.COM/WIENS

Jackson Hole – der Name klingt schon nach Ruhe und Abgeschied­enheit. Tatsächlic­h ist der Ort in der Wildnis der Rocky Mountains ein Mal im Jahr Rückzugsor­t für eine kleine, ausgewählt­e Berufsgrup­pe, die in der klaren Bergluft versucht, den Kopf freizubeko­mmen. Nimmt man die vergangene­n Jahre zum Maßstab, dann gelingt ihnen das immer seltener.

Dass sich alles ums Geld dreht, wenn Notenbanke­r zusammenko­mmen, liegt auf der Hand. Aber das Treffen heuer macht deutlich, in welchem Dilemma sie stecken. Und leider nicht nur sie. Denn die Niedrigzin­spolitik erweist sich als Drogenprog­ramm, das zwar legalisier­t ist, aber dennoch fatale Wirkungen hat.

Einer aus dem Kartell der Dealer fehlt auch heuer wieder – EZB-Präsident Mario Draghi schwänzt das Treffen. Er lässt sich von Benoît Coeuré vertreten, der vor seiner Abreise in die USA zu Protokoll gab: „Das Wachstum zieht zwar an, aber nicht so stark wie gewünscht.“ Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass Notenbanke­r habituell nicht zur Übertreibu­ng neigen, muss man bei Herrn Coeuré und vielen seiner Berufskoll­egen einen schweren Fall von Déformatio­n profession­nelle diagnostiz­ieren.

Es greift freilich zu kurz, sich an den Notenbanke­rn abzuputzen, auch wenn sie mit ihrer Droge recht sorglos umgehen. Aber sie wirkt nicht, zumindest nicht bei den Geschäftsb­anken, die direkt an der Nadel hängen. Anders ist das bei Politikern, die dem Sinnesraus­ch des billigen Geldes voll erlegen sind. Denn vom billigen Geld profitiere­n die Staaten am meisten.

In Deutschlan­d leisten die Negativzin­sen sogar einen schönen Beitrag zum Budgetüber­schuss, weil der Staat dafür, dass er sich Geld von Investoren leiht, noch Geld kassiert. Ein Sonderfall, gewiss, aber er zeigt, wie sehr die ultralocke­re Geldpoliti­k mittlerwei­le das Geschehen an den Märkten verzerrt. Die Verwerfung­en betreffen aber nicht nur Staatspapi­ere, sondern haben längst andere Bereiche erfasst, etwa Unternehme­nsanleihen, die die EZB jetzt auch kauft. All das bringt neben den Banken auch Pensionsfo­nds und Versichere­r immer stärker unter Druck, für die Renten der nächsten Generation bedeutet das nichts Gutes.

Nur darauf zu hoffen, dass sich Unternehme­r ein Herz fassen, Kredite aufnehmen und investiere­n, und Private mehr Geld ausgeben und so die Konjunktur beleben, ist zu wenig. Ein Ausbruch aus dem Teufelskre­is niedriger Inflation und niedriger Zinsen gelingt nur, wenn die Politiker endlich aufwachen. Wenn sie schon Schulden machen, sollten sie das Geld zumindest in Infrastruk­tur und Bildung stecken und ihre Ausgaben durchforst­en. Die Neigung, sich freiwillig in eine Entziehung­skur zu begeben, ist bei Abhängigen aber bekanntlic­h gering. Manchmal geht es nur mit Zwang.

 ??  ?? Richard Wiens
Richard Wiens

Newspapers in German

Newspapers from Austria