Wenn Notenbanker und Politiker dem Rausch der Sinne erliegen
Beim jährlichen Stelldichein der Notenbanker wird klar: Es wird ein böses Erwachen aus dem Drogenrausch des billigen Geldes geben.
Jackson Hole – der Name klingt schon nach Ruhe und Abgeschiedenheit. Tatsächlich ist der Ort in der Wildnis der Rocky Mountains ein Mal im Jahr Rückzugsort für eine kleine, ausgewählte Berufsgruppe, die in der klaren Bergluft versucht, den Kopf freizubekommen. Nimmt man die vergangenen Jahre zum Maßstab, dann gelingt ihnen das immer seltener.
Dass sich alles ums Geld dreht, wenn Notenbanker zusammenkommen, liegt auf der Hand. Aber das Treffen heuer macht deutlich, in welchem Dilemma sie stecken. Und leider nicht nur sie. Denn die Niedrigzinspolitik erweist sich als Drogenprogramm, das zwar legalisiert ist, aber dennoch fatale Wirkungen hat.
Einer aus dem Kartell der Dealer fehlt auch heuer wieder – EZB-Präsident Mario Draghi schwänzt das Treffen. Er lässt sich von Benoît Coeuré vertreten, der vor seiner Abreise in die USA zu Protokoll gab: „Das Wachstum zieht zwar an, aber nicht so stark wie gewünscht.“ Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass Notenbanker habituell nicht zur Übertreibung neigen, muss man bei Herrn Coeuré und vielen seiner Berufskollegen einen schweren Fall von Déformation professionnelle diagnostizieren.
Es greift freilich zu kurz, sich an den Notenbankern abzuputzen, auch wenn sie mit ihrer Droge recht sorglos umgehen. Aber sie wirkt nicht, zumindest nicht bei den Geschäftsbanken, die direkt an der Nadel hängen. Anders ist das bei Politikern, die dem Sinnesrausch des billigen Geldes voll erlegen sind. Denn vom billigen Geld profitieren die Staaten am meisten.
In Deutschland leisten die Negativzinsen sogar einen schönen Beitrag zum Budgetüberschuss, weil der Staat dafür, dass er sich Geld von Investoren leiht, noch Geld kassiert. Ein Sonderfall, gewiss, aber er zeigt, wie sehr die ultralockere Geldpolitik mittlerweile das Geschehen an den Märkten verzerrt. Die Verwerfungen betreffen aber nicht nur Staatspapiere, sondern haben längst andere Bereiche erfasst, etwa Unternehmensanleihen, die die EZB jetzt auch kauft. All das bringt neben den Banken auch Pensionsfonds und Versicherer immer stärker unter Druck, für die Renten der nächsten Generation bedeutet das nichts Gutes.
Nur darauf zu hoffen, dass sich Unternehmer ein Herz fassen, Kredite aufnehmen und investieren, und Private mehr Geld ausgeben und so die Konjunktur beleben, ist zu wenig. Ein Ausbruch aus dem Teufelskreis niedriger Inflation und niedriger Zinsen gelingt nur, wenn die Politiker endlich aufwachen. Wenn sie schon Schulden machen, sollten sie das Geld zumindest in Infrastruktur und Bildung stecken und ihre Ausgaben durchforsten. Die Neigung, sich freiwillig in eine Entziehungskur zu begeben, ist bei Abhängigen aber bekanntlich gering. Manchmal geht es nur mit Zwang.