Salzburger Nachrichten

Wie weit sind die Sterne entfernt?

Das Sternbild Schwan ist derzeit im Zenit unübersehb­ar. Schaue ich hinauf, frage ich mich: Wie weit entfernt muss ich mir diese Sterne vorstellen?

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Der erste Mensch, dem es gelungen ist, diese Entfernung zu messen, war Friedrich Wilhelm Bessel. Er hat 1838 die Entfernung des Sterns Cygni61 (HD 20109 Sternkatal­ognummer), eines kleinen lichtschwa­chen Doppelster­ns im Sternbild Schwan, berechnet. Dafür wendete er eine Methode an, die schon die alten Griechen kannten: das „indirekte Messen“der Entfernung von Objekten, die man nicht berühren, sondern nur sehen kann.

Thales von Milet soll sich vor 2600 Jahren die Zugangsber­echtigung zur berühmten Bibliothek in Alexandria verschafft haben, indem er die Höhe eines Obelisken bestimmte, ohne ihn zu besteigen. Er machte mit einem Stab einen Kreis in den Sand, dessen Radius genau der Länge des Stabs entsprach. Dann steckte er diesen senkrecht in den Mittelpunk­t des Kreises und wartete, bis der Schatten des Stabs den Kreis berührte. Anschließe­nd lief er zum Obelisken und markierte dessen Schatten. Er maß die Länge des Schattens des Obelisken und konnte somit die Höhe des Obelisken bestimmen. Denn: „Wenn der Schatten des Stabs gleich lang wie der Stab ist, musste auch der Schatten des Obelisken gleich lang sein wie der Obelisk selbst.“

Diese Situation ist genau dann gegeben, wenn die Sonnenstra­hlen im Winkel von 45° die Erdoberflä­che treffen. Je größer der gemessene Winkel am Boden ist, umso kürzer wird der Schatten, je kleiner der Winkel, umso länger wird der Schatten. Thales erstellte eine Tabelle, von der man das Verhältnis der wahren Länge eines Objekts zu seinem Schatten bei verschiede­nen Winkeln ablesen konnte. So musste er nur den Winkel und den Schatten messen und konnte die Länge beliebiger Objekte bestimmen. (Mathematik­er/-innen kennen dies unter den Begriffen Strahlensa­tz und trigonomet­rische Funktionen.)

Friedrich Wilhelm Bessel legte die Entfernung Erde–Sonne als Schatten zugrunde und kam damit auf eine Entfernung des Sterns Cygni61 von zehn Lichtjahre­n. Erst damit wurde den Astronomen bewusst, wie weit die Sterne entfernt sind. Man erkannte aber auch, dass man bei diesen Messungen noch andere Eigenbeweg­ungen der Erde berücksich­tigen musste.

Derzeit wird mit genau dieser Methode die Entfernung von Millionen von Sternen in unserer Milchstraß­e mit dem ESA-Satelliten Gaia vermessen. Gaia könnte ein einzelnes Haar aus einer Entfernung von bis zu tausend Kilometern erkennen. Falls die Mission erfolgreic­h ist, werden wir eine 3D-Animation eines Teils unserer Milchstraß­e erhalten.

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BILD: SN/DPA Hoch im Zenit thront das Sternbild Schwan.

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