Die „Gurkenlagerung“von 1683
ICHbin jetzt wirklich kein klassischer Besserwisser. Aber manchmal komme ich vielleicht so rüber: Neulich steh ich an der Kassa eines Lebensmitteldiskonters, der so heißt, als würde er am 2. Oktober in die Hofburg einziehen, und komme gleich dran. Der Kassier nennt dem Kunden vor mir den Rechnungsbetrag, und zwar genau „sechzehndreiundachtzig“. Und ich, Halbbildungsbürger, kann nicht verhindern, reflexmäßig „Türkenbelagerung“rauszuschreien. Aber weil mein Diskonter, der so heißt, als würde er gleich in die Hofburg einziehen, in einem Wiener Bezirk mit hohem Ausländeranteil liegt, steht hinter mir – migrationsstatistisch durchaus erwartbar – eine freundliche türkische Familie. Und schaut mich plötzlich nur mehr etwas diffus freundlich fragend an. Meine einzige Hoffnung in der peinlichen Situation: Da ich dazu neige, unverständlich zu nuscheln, habe ich wohl ohnedies nur „Gurkenlagerung“von mir gegeben . . . ich deute also ebenso spontan wie verlegen in Richtung der Salatgurken im Gemüseregal, zahle – wie immer bei besagtem Diskonter – dreizehnsechsundachtzig, sage aber nicht „Schlacht bei Sempach“, sondern schaue, dass ich schnell rauskomme.
Es wäre auch schwierig gewesen, noch in aller Ruhe zu erklären, dass 1683 die Türken sich nicht an den Deal mit Europa gehalten und Wien zum zweiten Mal belagert haben und dass damals auf dem Parkplatz des Diskonters die osmanischen Zeltlager waren.
Hätte der Kunde vor mir etwas weniger eingekauft und der Kassier „fünfzehnneunundzwanzig“gesagt, wäre gar nichts passiert. Da ich historisch nur halbgebildet bin, habe ich immer Probleme, mir das Jahr der Ersten Wiener Türkenbelagerung zu merken. Die war, wie ich gerade nachgelesen habe, 1529.
Jetzt warte ich nur mehr drauf, dass ich irgendwann beim Meinl am Graben an der Kassa stehe, für zwei Ananas und einen Liter Milch neunzehndreiunddreißig zahlen muss und mir darob reflexmäßig „Machtergreifung“rausrutscht. Und hinter mir dann zufällig ausgerechnet dieser semicharismatische blaue Parteiführer steht. (M)ein Glück, dass ich so unverständlich nuschle, dass der blaue Mann ohnedies nur „Nachreifung“– diese sei ihm übrigens dringend empfohlen – verstehen würde.