Erstmals Gefechte zwischen Türken und Kurden in Syrien
Die Türken wollen nicht nur die Terrormiliz IS aus dem syrischen Grenzgebiet vertreiben, sondern dort auch die Macht der Kurden eindämmen.
Fünf Tage nach der türkischen Invasion in Syrien sind bei Angriffen auf kurdische Truppen Dutzende Menschen ums Leben gekommen. Bei zwei Bombardements der türkischen Luftwaffe im Norden des Bürgerkriegslands seien am Sonntag mindestens 35 Zivilisten gestorben, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Weitere 75 Menschen seien verletzt. Dagegen sprach die türkische Armee von 25 Mitgliedern der Kurdenmiliz YPG, die bei Luftangriffen im Bereich der syrischen Grenzstadt Dscharablus umgekommen seien.
Die türkischen Streitkräfte hätten „alle Vorkehrungen getroffen, dass die in der Region lebende Zivilbevölkerung nicht zu Schaden kommt“, hieß es mit Blick auf die Berichte über getötete Zivilisten. In dieser Hinsicht gehe die Armee mit „äußerstem Feingefühl“vor, hatte der Generalstab in Ankara schon zwei Tage nach Beginn der Offensive erklärt. Der türkische Vorstoß gilt einerseits der Vertreibung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), ande- rerseits will das türkische Militär auch die kurdischen Kämpfer in Nordsyrien zurückdrängen. Die Kurden kontrollieren bereits große Gebiete an der Grenze zur Türkei und haben dort eine Selbstverwaltung errichtet. Die türkische Regierung befürchtet Auswirkungen auf die kurdischen Autonomiebestrebungen im eigenen Land.
Der erste auf syrischem Territorium gefallene türkische Soldat wurde sehr wahrscheinlich mit einer amerikanischen Waffe getötet. Kämpfer der kurdischen Volksverteidigungseinheiten hatten am vergangenen Samstagabend eine drahtgelenkte Abwehrrakete vom Typ „Tow“auf einen türkischen Panzer abgefeuert. Nach Berichten von Augenzeugen ging das südlich der Grenzstadt Dscharablus getroffene Stahlross sofort in Flammen auf. Die Besatzung verbrannte.
Dem Zwischenfall vorausgegangen waren heftige türkische Luftangriffe auf Stellungen der kurdisch dominierten Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF), bei denen „Waffenlager und Kommandoposten terroristischer Organisationen“getroffen worden seien. Dies berichteten die nach dem Putschversuch in der Türkei gleichgeschalteten türkischen Medien. Sie bestritten am gestrigen Sonntag sehr energisch, dass bei Angriffen der türkischen Luftwaffe in Nord-Syrien bis zu 35 Zivilisten ums Leben kamen. Die Dorfbewohner seien von Sprengbomben zerfetzt worden, hatten zuvor die mit der syrischen Opposition sympathisierenden Menschenrechtsbeobachter berichtet.
Auch ihre Verlautbarungen müssen mit Zurückhaltung und Vorsicht zur Kenntnis genommen werden. Wirklich unparteiische Beobachter sind im Kriegsgebiet unerwünscht. Trotz der sich häufig widersprechenden Meldungen aus der Krisenregion wird die Stoßrichtung der türkischen Offensive mit dem Namen „Schild des Euphrats“aber immer deutlicher: „Erobert“oder von „Terroristen befreit werden“sollen vor allem jene 170 Dörfer und Ortschaften westlich des Euphrats, aus denen die kurdischen Milizen in den vergangenen vier Monaten die Terrormilizen des „Islamischen Staats“(IS) vertrieben hatten.
Der erfolgreiche Vorstoß war mit massiver Unterstützung der USamerikanischen Luftwaffe durchgeführt worden. Hundert amerikanische Militärberater koordinierten die Waffenlieferungen an die kurdisch dominierten Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF). Darunter waren und sind auch jene „Tow“Panzerabwehrraketen, die am Wochenende auf türkische Panzer abgefeuert wurden.
Mit deren Vorrücken habe „ein neuer Konfliktabschnitt in der Region“begonnen, verkündete der Militärrat der SDF am Wochenende: Nicht mehr der Kampf gegen die „IS-Terrorbrigaden“stehe jetzt im Mittelpunkt. Die – aus türkischer Sicht – „neuen Terroristen“sind vielmehr jene Kurden, die mit USUnterstützung das „Kalifat“des IS erfolgreich zerstückelt hatten. Die USA scheinen die von Ankara forcierte „Neuordnung“vorerst zu akzeptieren.
Dennoch stellt sich für Washington die Frage, wie lang man es zulassen will, dass sich zwei der wichtigsten Verbündeten bekämpfen wollen. Für die Türkei ist diese Frage zweitrangig. Ziel ist es, einen zusammenhängenden Kurdenstaat an der Südgrenze zu verhindern. Ein autonomer Kurdenstaat würde auch die Autonomiebestrebungen der türkischen Kurden anfachen.